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Dylan, Bob – Highway 61 Revisited

1946 brauchte Bobby Troup jr. zehn lange Tage, um mit dem Auto von Harrisburg in Pennsylvania nach Los Angeles in Kalifornien zu fahren. Immer über die Fernstraße mit der Ordnungsnummer 66. Die vorüberziehenden Eindrücke, die Erlebnisse während

(Get your kicks on) Route 66)

seiner Übernachtungen und Tankstopps veranlassten den Pianisten im Orchester von Tommy Dorsey, einen Song zu schreiben. Nat King Cole, Perry Como, Chuck Berry, The Rolling Stones, Them mit Van Morrison, Dr. Feelgood, Ray Charles und Depeche Mode gehörten zu den über 130 Interpreten, die diesen Song später coverten. Und heute weiß jedes Kind: Wenn du über die Route 66 fährst, kannst du eine Menge erleben, findest du eine Menge Anregungen für dein Leben. Oder wie es im Song heißt: You get your kicks on Route 66.

Roadsongs, Roadmovies

Fernstraßen versprühen schon immer eine magische Anziehungskraft. Die Liste der Roadsongs und natürlich der Roadmovies ersparen wir uns an dieser Stelle. Schließlich wollen wir auf einen einzigen weiteren Roadsong hinaus, der einen ähnlich hohen Stellenwert hat wie der über die „Route 66“, vielleicht sogar einen noch höheren.

Bob Dylans Longplayer „Highway 61 Revisited“

Am 30. August 1965 veröffentlichte ein gewisser Robert Zimmerman sein sechstes Studioalbum, wie alle Vorgängeralben unter seinem Künstlernamen Bob Dylan. „Highway 61 Revisited“ hieß das Album, dass in der Folgezeit als Höhepunkt von Veröffentlichungen Dylans in den 1960er Jahren gilt. Die Musikzeitschrift „Rolling Stone“ kürte 2004 mit „Like A Rolling Stone“ sogar einen der Songs aus dem Album zum besten Song aller Zeiten. Für unseren Zusammenhang aber interessanter ist der Song, der auch dem Album seinen Namen gibt: „Highway 61 Revisited“.

Highway 61 – Tor zur Welt des Blues

Das elektrische Licht der Welt erblickte Bob Dylan in Duluth, Minnesota. Wer in Duluth auf den Highway 61 fährt, kommt mehr oder weniger bequem nach Memphis, New Orleans und St. Louis, also an Städte, die als Hochburgen des Blues unterschiedlichster Variationen bekannt sind. Hier begründeten unter anderem Musiker wie Son House, Charley Patton, Muddy Waters und übrigens auch Elvis Presley ihre großen Karrieren – allesamt Musiker, die den jungen Bob Dylan mit ihrer Musik stark beeinflussten.

Dem Teufel die Seele verkauft

Hier, am Highway 61, kann man sich ebenfalls seine „Kicks“ holen. Auf dem Highway 61 verunglückte Betty Smith, vielfach als Kaiserin des Blues bezeichnet, tödlich. 15 Stunden südlich von Dylans Geburtsort geht der Highway 61 in den Highway 49 über. Genau hier soll der Legende nach Blues-Gitarrist Robert Johnson seinen Deal mit dem Teufel gemacht haben: Johnson verkaufte dem Teufel seine Seele, um im Gegenzug ein besserer Gitarrist zu werden. Tatsache ist, dass Johnsons Gitarrenspiel legendär wurde.

Club 27

Dass der Musiker im Alter von 27 Jahren starb, führt manch einer auf den Pakt mit dem Teufel zurück. (In jedem Fall wurde Johnson durch seinen frühen Tod Begründer des legendären Club 27: Kurt Cobain, Jimi Hendrix, Brian Jones, Janis Joplin, Jim Morrison, Amy Winehouse und etliche andere, die mit 27 Jahren plus / minus ein paar Tagen verstarben, lassen grüßen. Doch das ist eine andere Geschichte.)


Für Bob Dylan gilt: Die vielen Mythen und Legenden, die sich rund um den Highway 61 ranken, waren mehr als ein unerschöpflicher Brunnen für Songideen. Der Musiker empfand für den Highway 61 eine Art „Verwandtschaftsgefühl“, wie er in seiner Biographie „Chronicles: Volume One“ berichtet.

Georgia Sam und Mack The Finger

Dylans Song „Highway 61 Revisited“ enthält eine Reihung von Geschichten und Erlebnissen, von denen man einige tatsächlich am Rande des Highways erleben könnte. Wobei die Betonung auf dem Konjunktiv liegt: Denn Dylan erschafft Kunst, geht mit seinen kleinen Geschichten also über die Realität hinaus.
Aber immerhin: Es KÖNNTE ja tatsächlich so sein, dass jemandem wie Georgia Sam eine dringende medizinische Hilfe verweigert wird, er stattdessen auf einen Kriminellen stößt, der wiederum ihm, dem Hilfsbedürftigen, rät, über den Highway 61 möglichst schnell und weit zu verschwinden.
Es KÖNNTE ebenfalls real passieren, dass ein Vertreter wie Mack The Finger keine Abnehmer für seine Ware findet. Ihm macht man den Vorschlag, doch auf dem Highway herumzustreunern. Dass die Ware in den US-Nationalfarben gehalten ist, soll ein Indiz dafür sein, dass sich Patriotismus nicht lohnt.

Krieg aus Langeweile

Gesellschaftskritik as it‘s best also, die in der letzten Strophe einen Höhepunkt findet: Hier scheint Dylan Politiker im Blick zu haben, die gelangweilt wegen Nichtigkeiten Kriege beginnen – eine Replik auf den Kalten Krieg, den der Musiker selbst erlebte. Und ein Finger in die Wunde späterer US-amerikanischer Politik, ja sogar eine Überlegung, die zum Krieg Russlands gegen die Ukraine passt und damit aktuell wie eh und je ist.
Eine weitere Strophe, ziemlich kryptisch und nur schwer in wenigen Worten zu beschreiben, unterschlagen wir an dieser Stelle.

Die erste Strophe

Nicht so die erste Strophe von „Highway 61 Revisited“, die ziemlich aus dem Rahmen fällt. In ihr heißt es:

Gott sprach zu Abraham: „Bring für mich deinen Sohn um!“
Abe sagt: „Mann, du willst mich wohl hochnehmen.“
Gott sagt: „Nein.“ Abe fragt: „Wie bitte?“
Gott sagt: „Du kannst natürlich tun, was du willst, Abe.
Aber wenn du mich das nächste Mal kommen siehst, rennst du besser fort.“
Worauf Abe fragte: „Und wo soll ich ihn umbringen?“
Gott antwortete: „Draußen auf dem Highway 61.“

Abraham soll seinen Sohn opfern

Mit viel Sarkasmus verwendet Bob Dylan für sein „Highway 61 Revisited“ eine uralte biblische Erzählung. In ihr fordert Gott unbedingten Gehorsam, verlangt sogar ein Menschenopfer. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, besteht er auf der Opferung des Sohnes Isaak, auf den die schon ziemlich alten Eheleute viele Jahre vergeblich gewartet hatten. Und auch das noch nicht genug: Abrahams Mission ist es, ein großes Volk zu gründen. Tötet er jedoch den lang ersehnten, einzigen Stammhalter, ist diese Mission im Ansatz gescheitert.

In Dylans Song ist Abraham aus Angst gehorsam. Schließlich könnte Gott später seine ganze Macht gegen ihn ausspielen. In der biblischen Vorlage ist das anders: Hier gehorcht Abraham, weil er Gott als seinen Schöpfer anerkennt. Bedingungslos! Was für Menschen völlig unsinnig erscheint, kann bei Gott durchaus einen Sinn ergeben, so der biblische Text.

Keine Menschenopfer, kein religiöser Fanatismus

Letztlich endet Abrahams Gehorsam in einem Happy End: Gott verhindert die Opferung des Sohnes. Denn Gott will nicht, dass Menschenblut vergossen wird – ein starkes Signal gegen andere Religionen vor rund 4000 Jahren, in denen auch durchaus Menschenopfer praktiziert wurden. Und ganz nebenbei lässt sich diese Episode auch als Einschreiten Gottes gegen religiösen Fanatismus interpretieren. Vernichtung von Menschen im Namen Gottes? Nein, danke! So schon zu finden beim alten Abraham, den bekanntermaßen Christentum, Judentum und Islam als Stammvater ansehen.

Autobiographisch: Dylan und sein Vater

Dass Dylan die Erzählung auf den Highway 61 verlegt, kann unterschiedlich interpretiert werden: Einerseits hieß Dylans Vater Abraham und wurde Abe genannt. Dylan selbst scheint hier zum Sohn zu werden, der, zumindest während der Kindheit, den Prinzipien des eigenen Vaters zum Opfer fällt – wenn nicht glücklich Umstände, göttliche Fügung oder was auch immer sein Zerbrechen verhindert hätten.

Allgemeingültig: Umgang mit Menschen

Andererseits ist eben der Highway 61 der Ort, der im Song stellvertretend für Ereignisse im Leben unterschiedlichster Menschen steht. Und so scheint der Song die Frage aufzuwerfen: Wie ist eigentlich mein Umgang mit meinen Mitmenschen? Bin ich auch jemand, der für Prinzipien über Leichen geht? Schicke ich Hilfsbedürftige fort, statt ihnen zu helfen? Und was passiert, wenn ich mit meinen Idealen scheitere? Werfe ich dann mein gesamtes Leben über Bord, resigniere ich und tauche einfach ab?
Fragen, die Dylans Song auch fast 60 Jahre nach seiner Veröffentlichung stellt. Ein Text mit einer gewissen Allgemeingültigkeit jenseits aller zeitlichen Veränderungen – genau das, was einen Autor zu einem würdigen Literaturnobelpreisträger werden lässt.

Bob Dylan – Highway 61 Revisited.

Der bei Classic Rock Radio gesendete Beitrag ist eine Kurzfassung dieses Textes.

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