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Zwischen Getriebensein und Hoffen – zum Geburtstag von Jimi Hendrix (27. November)

Als ich als Jugendlicher erstmals Musik von Jimi Hendrix hörte, war ich erschrocken und fasziniert zugleich: Mit seiner Gitarre zauberte der Musiker Rückkoppelungen, Frequenzüberlagerungen, wahnsinnige Gitarrenläufe und Klangkaskaden, die kein anderer so aus seinem Instrument hervorholte. Hendrix bearbeitete seine Gitarre, schlug und prügelte auf sie ein, um sie im nächsten Moment wieder liebevoll zu streicheln, ja, um mit ihr intim zu werden: Wenn Hendrix sie mit seiner Zunge liebkoste – dankte sie es ihm liebevoll mit sanften Tönen. Selbst wenn das Instrument in Hendrix Händen zum wilden Tier wurde, konnte er es doch immer wieder zähmen. Sogar hinter seinem Rücken ließ sie sich willig Töne entlocken.

Woodstock: Star Spangled Banner

Ein Meilenstein: Hendrix Auftritt beim legendären Woodstock-Festival 1969. Da spielt er die amerikanische Nationalhymne und unterbricht sie immer wieder mit martialischen Tonfolgen: mit Tönen, die den Abwurf von Bomben amerikanischer Flugzeuge auf Nordvietnam imitieren. Sein Protest gegen einen menschenverachtenden Krieg, seine Art und Weise, das biblische „du sollst nicht töten“ in Erinnerung zu rufen.
Als Hendrix 1967, zwei Jahre vor Woodstock, seine Gitarre am Ende eines Konzerts in Brand setzt, löst er einen handfesten Skandal aus. Diese Rockmusiker… nichts als Unsinn im Kopf.

Religiöse Seite

So leicht allerdings sollte man sich das nicht machen. Ein paar wenige Blicke auf den Menschen machen vor allem deutlich: Jimi Hendrix war zeitlebens ein Getriebener, ein Suchender, der, was vielleicht manchen überrascht, auch eine Beziehung zum Religiösen hatte. Inwieweit der Mann, durch dessen Adern auch indianisches Blut floss, allerdings an einen persönlichen Gott glaubte, ist nicht abschließend geklärt.

Geburtsname und Pseudonyme

In Jimis Geburtsurkunde steht ursprünglich John Allen Hendrix. Als Jimi geboren wird, ist sein Vater beim Militär. Angeblich erfährt er erst nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst und damit Monate nach der Geburt seines Sohnes, dass er Vater geworden ist. Warum auch immer: Kaum ist der Vater vom Militär zurück, lässt er den Namen seines Sohnes offiziell in James Marshall Hendrix ändern. Der macht daraus zuerst Jimmy, später Jimi. Und zwischendurch distanziert er sich so sehr von seinem eigenen Namen, dass er unter den Pseudonymen Maurice James und Jimmy James auftritt.

Bedeutung des eigenen Namens

Der eigene Name hat eine immense Bedeutung für die eigene Persönlichkeit. Pubertierende fremdeln oft mit der eigenen Identität, legen sich selbst Spitz- oder Kosenamen zu. Schon in der Bibel wird es zum Privileg der Menschen, Tieren (und übrigens ihren Kindern) einen Namen geben zu dürfen: Wer Namen vergibt, hat Macht über den Träger des Namens, so die Meinung damals, die durch die moderne Psychologie untermauert wird. Dort gilt der eigene Name als identitätsstiftend, wird zu einem Ruhepol (oder auch zu einem Unruhepol) für die eigene Psyche. Wie also sieht das mit einem Menschen aus, dessen Name jemand ändert und der sich selbst von diesem Namen distanziert?

Frühe Kindheitserfahrungen

Übertrieben? Vielleicht. Aber schon als Dreijähriger gilt Jimi als zurückgezogen und – in heutigem Sprachgebrauch – als introvertiert, erschafft sich seine eigene Welt, in die er sich zurückzieht. Dass er zeitlebens zu einem Getriebenen wird, der nach Liebe und Anerkennung sucht – ganz

sicher spielt dabei sein mehr als unruhiges Elternhaus eine große Rolle: Die Eltern sind beide streitbar, es kommt zu häuslicher Gewalt, das Geld fehlt, so dass die Familie mehrfach umziehen muss. Die Streitigkeiten eskalieren so lange, bis die Eltern schließlich geschieden werden. Eine ganze Menge für einen kleinen Jungen, der zu diesem Zeitpunkt neun Jahre alt ist.

“Illegitimer“ Bruder

Schwer zu sagen, wie viel er von den Streitigkeiten um Joseph „Joey“, dem dritten Sohn, mitbekommt. Sein Vater erkennt Jimis Bruder nicht als Sohn an. Entsteht hier das Gefühl, alles dafür tun zu müssen, geliebt und gewollt zu werden?
Vielleicht wäre es auch Jimis Stiefschwester ein Thema für die Psychiatercouch. Nach der Scheidung der Eltern – und dem frühen Tod seiner Mutter – lebt Jimi bei seinem Vater, der erneut heiratet. Durch diese Heirat bekommt Jimi eine Stiefschwester, die sein Vater später adoptiert. Was stellen solche Erfahrungen mit einem Kind an, das alles daransetzt, selbst geliebt zu werden? Trotz der Biographie von Leon Hendrix, Jimis jüngerem Bruder, ist diese Problematik kaum zu ergründen.

Rassismus

Jimis Eltern haben afroamerikanische und indianische Vorfahren. Während seiner Kindheit erlebt Jimi rassistische Anfeindungen. Allerdings ist er zu introvertiert, als dass man klar ablesen könnte, welche Einflüsse diese Erfahrungen auf ihn haben. Immerhin sympathisiert er später mit den Black Panthers, einer sozialistischen schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA. Dass er den Krieg des weißen Establishments in Vietnam nicht gutheißt, gilt als verbrieft. Was geht in diesem Mann vor, als er beim Woodstock-Konzert nahezu entrückt seine Version des „Star Spangled Banner“ spielt – eine Fassung, die sofort von vielen als Anti-Kriegs-Song angesehen wird? Er habe doch „einfach nur so gespielt“, erklärt er später das, was man auch als „Entladung seiner Seele“ beschreiben könnte.

Knast oder Army

In jungen Jahren vor die Wahl gestellt, ob er wegen eines Autodiebstahls in den Knast oder lieber zur Army geht, entscheidet sich Jimi für die Army, wird leidenschaftlicher Fallschirmspringer. Bereits nach 13 Monaten schickt man ihn nach Hause: Mit einem System aus Befehl, Anordnungen und erwarteten Unterordnungen kommt Hendrix einfach nicht zurecht. Steckt dahinter dasselbe Prinzip, weshalb er bei immergleichen Sets auf der Bühne gelangweilt ist? Weshalb er lieber improvisiert und auf diese Weise mit der Zeit ein Meister der Improvisation wird?

Dass Hendrix drogenabhängig wird, dass er auf Fehmarn sein letztes Konzert in Deutschland und sein vorletztes insgesamt gibt, dass er mit 27 Jahren stirbt und damit unfreiwillig den legendären Club 27 begründet – alles längst Geschichte, alles tausendmal erzählt. Oder noch viel öfter.

Treuebruch und Mord: „Hey Joe“

Wie kommt einer damit klar, dass die Sehnsucht nach einer heilen Welt ständig enttäuscht wird, dass Hoffnungen und Realität im eigenen Leben so weit auseinanderklaffen? Bereits als Kind erfährt Jimi Hendrix, dass die erhoffte heile Welt voller Ehrlichkeit und Harmonie massive Risse hat. Dies wird auch zum Thema vieler Songs. Sein erster großer Hit, „Hey Joe“, präsentiert gleich eine extreme Lösung, die für Gesprächsstoff sorgt: Der Song erzählt von einem Typen, der auf der Flucht ist. Denn er hat die Untreue seiner Frau oder Freundin mit der Waffe beantwortet und sie erschossen.

Der resignierende Tramp: „Highway Chile“

Das Motiv des Treuebruchs wiederholt sich in „Highway Chile“: In diesem Song sieht sich Jimi als umherziehenden Tramp. Statt zu Hause auf die Heimkehr dieses Tramps zu warten, geht sein Mädchen eine Beziehung mit jemand Anderem ein. Das führt nicht mehr, wie noch in „Hey Joe“ zum Mord, aber zu tiefer Resignation: Im Krieg und in der Liebe kannst du nur verlieren, so die traurige Feststellung, die beinahe untergeht.

Zerplatzte Träume: „Castles Made Of Sand“

Ein Song, der stellvertretend für gleich alle zerplatzten Träume und Hoffnungen steht, ist „Castles Made Of Sand“: Menschliche Hoffnungen zerbrechen, so wie auch Burgen aus Sand ohne Bestand sind. Aber dieser Song ist auch lyrisch außergewöhnlich, steckt voller Metaphern: streitende Eheleute, die ihr erhofftes Eheglück am Boden sehen; ein junger Indianer, der von seinen Feinden ermordet wird, bevor er alt genug ist, den Kriegstanz anstimmen zu dürfen; eine Rollstuhlfahrerin, die sich die Klippen hinunterstürzen will, aber von einem Schiff mit goldenen Flügeln, einem Engel, gerettet wird. Einer der Songs, in dem Jimis religiöses Grundvertrauen zum Ausdruck kommt.

Farben: „Purple Haze“

Das gilt auch für „Purple Haze“: Von einem Science-Fiction-Film (und nicht von Drogen) beeinflusst sieht er sich in letzter Sekunde von Gott vor einer todbringenden violetten Wolke Tod gerettet. Hendrix macht daraus „Purple haze, Jesus saves“, streicht aber Jesus später wieder aus dem Text.

Astrologie: „Bold As Love“

Stichwort „violett“: Schon in „Bold As Love“ spielte Hendrix mit Farben: Für ihn entspricht jede Farbe einem besonderen Gefühl. Bei „Bold As Love“ verursacht das Spiel mit den Farben und damit die Entschlüsselung der Metaphern „Übersetzungsschwierigkeiten“. Aber in diesem Song spielt Hendrix auch mit der Astrologie: Denkt man sich eine Verlängerung der Erdachse, wandert diese, wie der Zeiger einer Uhr von Ziffer zu Ziffer, im Laufe der Jahrtausende von Sternbild zu Sternbild.
Zu Lebzeiten Hendrix erwarteten Sternengläubige das Zeitalter des Wassermanns. Dieses „Age of Aquarius“ findet sich übrigens auch im Hippie-Musical „Hair“ wieder. Hendrix scheint nicht an den Einfluss der Sterne auf das „Wohlbefinden der Welt“ geglaubt zu haben. Trotzdem sehnte er sich nach einer Verwandlung, nach mehr Liebe und Harmonie. Denn ein liebender Mensch, so seine feste Überzeugung, verwandelt sich, wird ein anderer, als er ohne wahre Liebe war.

In „Freedom“ träumt Jimi Hendrix von einer erlösten Freiheit und glaubt in „Message Of Love“ an die Botschaft der Liebe. Vieles in Hendrix Songs und Leben war Ausdruck seiner Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Flucht vor der Einsamkeit, die letztlich zu seinem frühen Drogentod führte.

Heute würde Jimi Hendrix 79 Jahre alt. Für seine Fans lebt weiter. In ihren Herzen, mit seiner Musik.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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