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Warnung vor dem Faschismus – zum 120. Geburtstag des Schriftstellers Ödön von Horváth (9. Dezember)

„Eigentlich bin ich ganz anders“, singt Udo Lindenberg auf seinem Album „Stark wie zwei!“ Ein Satz, der erst durch den zweiten Teil zur genialen Dichtung wird. Komplett heißt der Text nämlich: „Eigentlich bin ich ganz anders, nur komm ich so selten dazu!“ Ein Satz zum drüber Nachdenken! Diesen großartigen Satz hat Udo allerdings geklaut. Und zwar bei

Aufgewachsen in halb Europa

Ödön von Horváth, einem österreichischen Dichter, der heute 120 Jahre alt würde. Als Sohn eines Diplomaten im heutigen Kroatien geboren, aufgrund etlicher Versetzungen des Vaters in halb Europa aufgewachsen, mit deutscher Muttersprache, wie er selbst von sich sagte. Seinen „Geschichten aus dem Wiener Wald“, seinem „Glaube Liebe Hoffnung“ und vor allem „Kasimir und Karoline“ bin ich im Studium begegnet, letzterem sogar vor einigen Jahren im Theater. Ein Stück, das nicht mehr allzu oft auf den Spielplänen erscheint. Schade!

Menschen auf der Suche nach ein bisschen Liebe

Dabei hat von Horváth gerade mit diesem Theaterstück einen besonderen Kontrast geschaffen: Menschen auf der Suche nach einem kleinen bisschen Liebe, aber gefangen in trostlosen wirtschaftlichen Verhältnissen. Für meine persönliche Sammlung von Aphorismen und sonstigen Sätzen, über die es sich nachzudenken lohnt, habe ich zwei Sätze von Ödön von Horváth herausgeschrieben. Den einen kennen Sie schon: „Eigentlich bin ich ganz anders, nur komm ich so selten dazu.“ Der zweite stammt aus „Kasimir und Karoline“ und ist weniger leicht zu merken. Ihn musste ich für diesen Text noch einmal nachlesen. Aber es hat sich gelohnt, ihn wiederzuentdecken:

Zerbrochene Flügel – und das Leben geht weiter

„Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich – aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln und das Leben geht weiter, als wär man nie dabei gewesen.“ Ist das nicht furchtbar traurig? Aber irgendwie auch wahr. Zumindest manchmal. Dass von Horváth das Zerbrechen einer Beziehung ausgerechnet auf der Folie des Münchner Oktoberfestes ansiedelt, spitzt die Wirkung des Stücks unglaublich zu. Die einen feiern, die anderen würden gern zu den Feiernden gehören, zerbrechen aber. Zerbrechen daran, dass sie nicht aus ihrer Haut herauskönnen. Dass sie ihre Muster nicht durchbrechen können, die Herkunft, Erziehung und Ausbildung ihnen auferlegt haben. Dabei wären sie so gerne „anders“, spüren das auch. Aber sie schaffen den Sprung nach oben einfach nicht. Bis heute ein brandaktuelles Thema, für das man nicht in Staaten gehen muss, die wir ach-so-gern als Entwicklungsländer bezeichnen. Dieselbe Problematik finden wir bei uns in Europa, auch bei uns im Land.

Im Pariser Exil: „Jugend ohne Gott“

Trotzdem muss ich weg von „Kasimir und Karoline“, muss den Blick auf ein anderes Werk des Schriftstellers lenken: „Jugend ohne Gott“ ist ganz sicher sein wichtigstes Werk. Und sein erfolgreichstes. Das liegt nicht nur daran, dass es sich bei „Kasimir und Karoline“ nun mal um ein Theaterstück handelt, bei „Jugend ohne Gott“ um einen Roman. Es liegt wohl auch daran, dass von Horváth in diesen Roman sehr viel Existentielles einfließen lässt, das er selbst erfahren hat. Der Roman entstand nämlich, nachdem die Nationalsozialisten das Aufführen seiner Stücke untersagt hatten.

Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus

Schon in den 1920er Jahren hatte von Horváth in mehreren seiner Stücke vor dem Faschismus gewarnt. Nachdem Hitler 1933 zum Reichskanzler wurde,

die so genannte „Machtergreifung“ also erfolgt war, durchsuchte die SA das Elternhaus von Horváths im oberbayerischen Murnau am Staffelsee. Der Schriftsteller verließ Deutschland, lebte auch eine Zeitlang in Österreich. 1936 verwies man ihn offiziell aus Deutschland, strich ihn ein gutes halbes Jahr später aus der Reichsschrifttumkammer, was einem Berufsverbot als Schriftsteller gleichkam. Als die Nazis 1938 den „Anschluss Österreichs“ feierten, sah sich von Horváth gezwungen, die Alpenrepublik zu verlassen. Über Umwege emigrierte er nach Paris. Mit diesen sehr persönlichen Fluchterfahrungen vor dem Nationalsozialismus entstand in der französischen Hauptstadt „Jugend ohne Gott“.

Warnung vor dem Faschismus

In diesem Roman skizziert von Horváth den Aufstieg des Nationalsozialismus. Wollte man die Interpretation des Romans in zwei, drei Sätzen zusammenfassen – was genaugenommen gar nicht geht – , wären das diese: Wo kein Glaube an Gott ist, verliert irgendwann die Moral, siegt irgendwann die Ideologie. Das gilt erst recht, wenn sie das Gegenteil von dem transportiert, was der Glaube transportieren will: nämlich Menschen verachtendes Denken statt unendlicher Liebe.
Starke Aussagen von einem Schriftsteller, der bereits 1929 selbst aus der katholischen Kirche ausgetreten war. Von jemandem, der das unheilvolle Vorgehen der Nazis gegen Juden mehr oder weniger am eigenen Leib erfahren hatte:

Umgang mit jüdischen Mitbürgern

Dass er – wenn auch nur für ein Jahr – mit der jüdischen Mezzosopranistin Maria Elsner verheiratet war, zudem mit jüdischen bzw. halbjüdischen Autoren wie Carl Zuckmayer („Des Teufels General“, „Schinderhannes“, „Der Hauptmann von Köpenick“ u.v.a.) und anderen Kunstschaffenden einen engen, freundschaftlichen Umgang pflegte – warum auch nicht? – , war neben seiner Faschismuskritik ganz sicher Grund genug für das Regime, diesen unbequemen Schriftsteller zum Schweigen zu bringen. Wenig verwunderlich, dass „Jugend ohne Gott“ im Reichsgebiet 1938 auf den Index kam, auf die
„Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“, wie es im Sprachjargon der staatlichen Zensur hieß.

Vorhergesagter Tod

Ödön von Horváths Leben war dramatisch. Dramatisch, zumindest auch im literarischen Sinne, war auch sein Tod. Aber der Schriftsteller wurde weder verhaftet, noch in ein Massenvernichtungslager deportiert. Angeblich hatte ihm ein Wahrsager für Anfang Juni 1938 das „bedeutendste Ereignis seines Lebens“ vorhergesagt. Von Horváth, extrem abergläubisch, wollte sich gegen drohende Gefahren schützen und benutzte von diesem Tag an keine Fahrstühle mehr. Als er am 1. Juni 1938 in Paris den Regisseur Robert Siodmak traf, mit dem er die Verfilmung von „Jugend ohne Gott“ plante, bot ihm der Regisseur am Ende des Gesprächs an, ihn mit dem Auto zurück zum Hotel zu bringen. Von Horváth lehnte dankend ab. Eine Fahrt im Auto erschien dem abergläubischen Schriftsteller zu gefährlich. Als von Horváth am selben Abend während eines Gewitters auf den Champs-Élysées unterwegs war, erschlug ihn ein herabstürzender Ast. Von Horváth wurde nicht einmal 37 Jahre alt.

Mitläufern werden zu Mittätern

„Eigentlich bin ich ganz anders, ich nur komm ich so selten dazu!“ – ein Gedanke, den Ödön von Horváth mehrfach variierte. Zum ersten Mal findet sich dieses Wort bereits 1926 in seinem Theaterstück „Zur schönen Aussicht“ – ein Werk, das eine „windige Pension“ und reale Personen in besagtem Murnau am Staffelsee als Vorlage verwendet. Schon damals signalisiert der Autor: Es ist gefährlich, wenn man aus lauter Bequemlichkeit den Dingen ihren Lauf lässt, sich anpasst und schweigt. So wird man schnell zum Mitläufer und damit auch zum Mittäter.
Stattdessen fordert von Horváth: Farbe bekennen, sagen, wo man wirklich steht, sich lautstark, aber klug gegen Unrecht wenden. So sein, wie man wirklich ist. Der Nachsatz „Nur komm ich so selten dazu“ ist wie eine Kapitulationserklärung vor dem Zeitgeist. Bei Udo Lindenberg eine ganz normale, weil menschliche Sache. Für Ödön von Horváth vielleicht das Schlimmste, was man sich denken kann.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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