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Meine schönste Weihnachtsgeschichte – „Monolog eines Kellners“ von Heinrich Böll (24.Dezember)

Was gibt’s bei Ihnen zu Weihnachten? Gans, Truthahn oder Karpfen? Bei uns zu Hause gibt es an Weihnachten Erbsensuppe. Und das jede Menge – allerdings im übertragenen Sinne. In einer Weihnachtsgeschichte von Heinrich Böll habe ich sie entdeckt, vor vielen, vielen Jahren. Seitdem begleitet mich Bölls „Monolog eines Kellners“ als meine absolute Lieblings-Weihnachtsgeschichte. Ich weiß gar nicht, wie vielen Menschen ich diese Geschichte schon vorgetragen habe. Ihnen möchte ich sie kurz erzählen.

Erbsensuppe nach Feierabend

Es ist die Geschichte eines Kellners, der in einem Nobelrestaurant arbeitet. Als Mitarbeiter des Hauses könnte er zwar die tollsten Leckereien essen. Aber er bestellt sich beim Koch eine Erbsensuppe. Die muss allerdings auf eine ganz besondere Weise zubereitet sein. Gerade so, wie die Mutter des Kellners ihm früher die Suppe zubereitete.

Besuch im Hotelzimmer

Nachts, unmittelbar nach Feierabend, als sich der Kellner gerade seine Erbsensuppe auf den Teller füllt, kommt ein Hotelgast in sein Zimmer: ein kleiner Bengel, gerade acht Jahre alt. Dieser Junge streift allein durchs Hotel. Von seinem Vater erfährt der Leser nichts, von seiner Mutter nur wenig. Aber das Wenige reicht: Die Frau verbringt mit ihrem Sohn Weihnachten im Hotel, überhäuft ihm mit allem, was es für Geld zu kaufen gibt.

Erbsensuppe – etwas Märchenhaftes

Als der Junge beim Kellner die Erbsensuppe entdeckt, ist er erstaunt: Die kennt er nicht. In einem Märchen hat er schon einmal von Erbsensuppe gehört. Eine Erfindung Bölls, der damit zum Ausdruck bringen will: Erbsensuppe ist etwas Märchenhaftes, etwas, was im realen Leben des

Jungen nicht vorkommt. Die bekommt der Bengel nun vom Kellner. Drei Teller isst der Bengel, dem Kellner bleibt selbst gerade einmal die Hälfte. Aber das reicht ihm, um noch satt zu werden.

Liebe, Zuneigung, Geborgenheit

Nur ganz langsam enthüllt Heinrich Böll die Zusammenhänge dieser herrlichen Geschichte: Die Erbsensuppe wird dabei zum Symbol von Liebe, Zuneigung und Geborgenheit – allesamt „Dinge“, die der Kellner als Kind von seiner Mutter erhalten hatte. Aber die der kleine Bengel nicht kennt.

Drei Stunden Murmelspiel

Nachdem die Suppe aufgegessen ist, bittet der Junge den Kellner, mit ihm Murmeln zu spielen. Weil man zum Murmelspielen ein Loch braucht, schlägt der Kellner auf Bitten des Jungen ein Loch in den Parkettboden. Anschließend spielen sie Murmeln. Nahezu beiläufig teilt Böll dem Leser mit, dass die beiden drei Stunden lang Murmeln spielen. Die Symbolzahl drei – aller guten Dinge sind schließlich drei – spielt ganz vorsichtig auf die drei Teller Erbsensuppe an, die der Junge im Zimmer des Kellners gegessen hat.

Kündigung

Man ahnt es schon: Das Loch im Parkettboden hat natürlich ein Nachspiel: Ausgerechnet die Mutter des Jungen bricht sich wegen dieses Lochs ein Bein. Und zwar als sie nachts betrunken aus der Bar zurückkommt, wie Böll, fast wieder beiläufig, anmerkt. Klar, dass das den Kellner den Arbeitsplatz kostet. Denn eine plausible Erklärung kann er nicht liefern. Eine schöne Bescherung!

Drei Gründe für ein Happy End

Eine traurige Geschichte, meinen Sie? Für mich ist es eine wunderschöne Geschichte, ja, sogar eine mit Happy End. Und das gleich aus einem dreifachen Grund: Denn wohl zum ersten Mal in seinem Leben erfährt der kleine Junge Liebe, Zuneigung und Geborgenheit! Ein zweiter Grund für das Happy End: Die Mutter kann vor ihren Problemen nicht mehr davonlaufen. Mit ihrem Gipsbein hat sie Zeit zum Nachdenken. Äußerst geschickt macht Böll das in dieser Geschichte. Und bietet zum Schluss sogar positive Aussichten für den Kellner an: Gute Kellner, so Böll, würden überall gesucht. Vor diesem Schlusssatz aber hat Böll, wieder ganz unmerklich, eine Lebensweisheit versteckt. Über die Erbsensuppe hätten Junge und Kellner kein Wort verloren, lässt der Autor seine Leser wissen. Und sagt damit: Liebe zerredet man nicht!

Frohe Weihnachten

Ahnen Sie schon, was ich Ihnen jetzt zu Weihnachten wünsche? Dass auch Sie jemandem ein paar Schöpflöffel voll Erbsensuppe auf einen Teller füllen und so Liebe, Zuneigung und Geborgenheit schenken. Keine Sorge, für Sie bleibt noch genug übrig, wie Heinrich Böll deutlich macht. Wenn Sie aber etwas Glück haben, dann packt auch Ihnen jemand etwas von dieser märchenhaften Erbsensuppe auf Ihren Teller. Dann haben Sie im Sinne von Heinrich Böll nämlich wirklich frohe Weihnachten!

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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