Zwei „Gedenktage“, ein Gedanke – Tag der Berge und Jahrestag des Kyoto-Protokolls (11. Dezember)
Heute ist der „Internationale Tag der Berge“. Schön, schön, aber eigentlich möchte man sagen: Jeden Tag ist der „Tag von irgendwas. Diese inflationäre Hervorhebung eines besonderen, weltweit angeblich so wichtigen Ereignisses führt dazu, dass „der-Tag-von-was-denn-heute-auch-immer“ kaum noch jemanden interessiert.
Mein Nachbar zur Linken sieht das ganz anders. Schon gestern Abend, als wir uns zufällig am Müllcontainer trafen, sprach er mich an. Morgen, Tag der Berge! Während ich wohl eher einfallslos wie immer ausgesehen haben muss, ging ein Leuchten über sein Gesicht. Der heutige Tag der Berge spricht ihn voll an. Schon wenn er „die Berge“ nur sagt, strahlt er. Ein Bergwanderer durch und durch. „Hast du schon einmal einen Sonnenaufgang in den Bergen erlebt“, fragte er strahlend. „Wenn die Sonne hinter dem Bergkamm hervorklettert, ihre wärmenden Strahlen langsam den Frühdunst durchdringen und alles in leuchtendes Gelb tauchen?“
Internationaler Tag der Berge
Im Jahr 2003 wurde der „Internationale Tag der Berge“ von den Vereinten Nationen offiziell eingerichtet. Erstmals stattgefunden hat er bereits im Jahr zuvor – so erfolgreich, dass die UNO auf den Zug aufsprangen. Erklärtes Ziel war es, eine Balance zwischen Bergidyll auf der einen Seite und Massentourismus auf der anderen Seite zu schaffen. Weil ich diesen Gedanken nachging, war mein Nicken in Richtung meines Nachbarn wohl zu zaghaft. Denn sofort schaltete er von emotional auf sachlich, erklärte, dass dank der Erderwärmung die Gletscher in den Alpen in wenigen Jahrzehnten passé seien und dass wir längst unter dem Klimawandel leiden: Hochwasser und Felsstürze seien bereits an der Tagesordnung. Das müsse ich mir so vorstellen, als ob der Frost im Boden wie Zement wirke und loses Gestein binde. „Und wenn der Zement dann taut, donnert das lose Gestein ratzfatz zu Tal und vernichtet alles, was sich ihm in den Weg stellt.“ Das könne ich doch nicht wollen.
Zusatzprotokoll von Kyoto
Damit hatte er mich ohne es zu wollen an einer Stelle gepackt, an der ich schon lange leicht zu packen bin. Und wo ich Bescheid weiß. Denn in der Redaktion hatten wir lange darüber diskutiert, was wir zum heutigen Jahrestag des Kyoto-Protokolls machen wollen. Sie wissen schon, jenes Zusatzprotokoll zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen, am 11. Dezember 1997 von 38 Industrienationen unterzeichnet. „24 Jahre her – kein rundes Datum. Ja, wenn es 25 Jahre wären… Also machen wir nichts“, sagten die einen. „Wenigstens eine kleine Notiz“, forderten zwei Kolleginnen. „Und wenn wir es an Glasgow aufhängen? Frei nach dem Motto: Erst das Rahmenabkommen, dann das Zusatzprotokoll von Kyoto… und passiert ist immer noch nichts!“
Für und wider
Was in unserer Redaktion heftige Diskussionen auslöste. Schließlich sei eine Menge passiert. Nur ganz arme Menschen im Geiste ließen ihre Autos noch im Stand warmlaufen. Umweltverschmutzung und vorgezogener Motorschaden, sozusagen. Papier, Lebensmittelreste, Plastik – landen schon lange nicht mehr im selben Eimer. Mülltrennung! Und wer lässt schon beim
Lüften die Heizung auf vollen Touren weiterlaufen? Bei den aktuellen Heizöl- und Gaspreisen eh Wahnsinn! Aber rettet das das Klima?Klimaleugner belasten das Klima am meisten
Zumindest in diesem Punkt waren wir uns schnell einig: Nein, das rettet das Klima nicht. Das reicht nicht. Ja, wir haben gelernt: Das sind Umweltsünden, die wir lassen sollten. Wir wissen auch: Wenn wir die Umwelt schädigen, schlägt die zurück. Wobei das mit dem „Wir“ dann doch nicht so eindeutig ist. Die größten Leugner des Klimawandels sitzen ausgerechnet da, wo ohnehin der meiste Müll produziert, die Umwelt am stärksten belastet wird. Grüße an den Mann mit der gelben Föhnfrisur jenseits des Atlantiks! Der meint ja vermutlich bis heute, dass wir noch nicht genug Sommer haben. Weil es sich bei Sonne ja wohl besser Golf spielen lässt als bei Regen.
Verschwörung der Skilift-Betreiber
Immer noch gibt es Menschen, die den Klimawandel schlichtweg leugnen. Die glauben, das ganze Gerede von steigenden Temperaturen und damit einhergehend einer vermehrten Zahl von Umweltkatastrophen schade allenfalls den Betreibern von Skiliften. Hat sich was. Längst geben die kleinen Inselstaaten mehr Geld für Hochwasserschutz aus, als sie überhaupt an Staatseinnahmen haben. Diese Länder merken hautnah, dass die menschengemachte Erderwärmung, das Abschmelzen der Polarkappen und der steigende Meeresspiegel zusammenhängen. Und dass sie lebensbedrohlich sind.
Ratten und Kakerlaken überleben
Klar, wenn man in Norddeutschland Wein anbauen und auf Island Erdbeeren ernten kann, ist das schon eine feine Sache. Dass aber das Artensterben eine unglaubliche Beschleunigung erfährt, ist dann weniger angenehm. Und selbst Menschen, die den Klimawandel immer noch leugnen, beginnen zu verstehen, dass auch der Mensch zu den bedrohten Arten gehört – wenn auch ziemlich am Ende. Aber noch vor Ratten, Skorpionen und Kakerlaken. Die wird es noch geben, wenn die Menschheit längst ausgestorben sein sollte. Sie kennen diese Diskussion!
Ronald und Donald
Als das Kyoto-Protokoll unterschrieben wurde, als man sich auf erneute Gespräche in Cancún vertagte, war das alles graue Theorie. Damals hörte man noch „besonders fromme“ amerikanische Politiker, die behaupteten: „Die Welt ist von Gott gemacht. Und nur er kann sie zerstören!“ Mein erklärter „Liebling“ ist Donald Regan. Der Mann war im Kabinett von Ronald Reagan Finanzminister und erklärte seinerzeit lauthals, wer einen Mammutbaum gesehen habe, habe alle gesehen. Mit dieser Begründung wollte er Naturschutzgebiete zur wirtschaftlichen Ausbeutung freigeben. Und argumentierte, Gott haben den Menschen die Erde gegeben, damit sie sie nutzten. Das müsste natürlich geschehen, bevor Gott wiederkehre. Also los!
Nach mir die Sintflut
Wirtschaftliche Interessen vor Umweltschutz, schnelles Geld vor dem Blick über den Tellerrand und der Möglichkeit, auf Dauer zu überleben. Noch so ein Donald, der sich aus lauter Narzissmus und Egoismen nachdrücklich um den Titel des „größten Totengräbers der Menschheit“ bewirbt. Der lebt nach dem Motto: Nach mir die Sintflut! Okay, okay, Regan habe ich natürlich noch gar nicht erlebt. Damals, zwischen 1981 und 1985 gab es mich noch gar nicht. Aber wer lesen kann, ist nun mal schwer im Vorteil.
Mindestens fünf Prozent weniger Treibhausgase als 1990 – das sollte der erste wichtige Schritt gegen die Klimaerwärmung sein. Passiert ist eine Menge – aber viel zu wenig. Was zählt, ist nämlich das, was am Ende herausgekommen ist. Na, danke!
Selbst erleben
Der Redeschwall meines Nachbarn reißt mich aus meinen Gedanken. Auch ich hätte an der Klimaerwärmung und der Vernichtung der Berge meinen Anteil. Mitverantwortung für die Schöpfung – ob ich das wohl schon einmal gehört hätte? Vielleicht müsse ich mal mit ihm eine Bergtour unternehmen. Rauf auf die Gipfel, die frische Luft dort oben atmen, genießen, weitab von Stress, Lärm und Hektik zu sein. Und die Welt von oben als winzig klein, unwirklich und unbedeutend zu erleben. Vielleicht würde mich das ja zum Umdenken bringen.
Mehr Engagement notwendig
Umdenken muss ich nicht. Dass wir alle, also auch ich, für das Klima verantwortlich sind, weiß ich schon lange. Und dass wir alle mehr tun müssen, auch. Woran es noch hapert, ist nicht das Denken, sondern das Tun. Hier habe ich noch Luft nach oben, hier ist noch längst nicht alles so, wie es sein könnte. Deshalb nehme ich mir fest vor, mein Klimaverhalten noch mehr zu verbessern. Und nie wieder über die Bedeutung eines „Tags von irgendwas“ die Nase zu rümpfen. Denn auch das ist mir jetzt klar: Es gibt eine Menge guter Gründe, auf Missstände und Probleme hinzuweisen. Wenn Tage wie der heutige Tag des Berges und der gleichzeitige Jahrestag des Kyoto-Protokolls dazu beitragen – dann bitte gerne.
Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.
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