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Der Marathon beginnt – nur noch ein Monat bis Weihnachten (24. November)

Ist es Ihnen auch aufgefallen? Der Blick auf den Kalender ließ mich bereits am frühen Morgen zusammenfahren. 24. November – heute in einem Monat haben wir Heilig Abend. Und sofort sträubten sich mir die Nackenhaare. Nicht wegen des Weihnachtsfestes. Ich liebe Weihnachten. Aber wegen der Erfahrungen, die ich in meinem zwar jungen, aber dann doch nicht mehr ganz so jungen Leben gemacht habe.

Flip Flops und Lebkuchen

Es sind schon merkwürdige Bilder, die mich bedrängen: Ich in Flip Flops, T-Shirt und kurzem Röckchen Anfang September im Supermarkt und mit starrem Blick auf die ersten Lebkuchen, Spekulatius und Dominosteine. Und wie immer denke ich: Doch nicht schon jetzt! Nicht bei 25 Grad, nicht im Hochsommer. Bis Weihnachten ist es doch nun wirklich noch ein bisschen Zeit. Ein großes Bisschen! Obwohl ich ja nicht umhinkomme zuzugestehen: Lecker ist das Zeug ja. Auch schon Anfang September!
Ab Totensonntag – und den haben wir bereits seit drei Tagen hinter uns – die ersten Weihnachtsmärkte. Bis dort „Stille Nacht“ gedudelt wird, dauert es zwar meistens bis kurz vor Weihnachten, aber irgendwie Weihnachtliches von John Lennon und Co hallen üblicherweise ab Anfang Dezember aus den Lautsprechern.

O du Fröhliche

Dann ist es nicht mehr weit, bis Kinderchöre auf dem Weihnachtsmarkt, bibbernd vor Kälte und vor allem Aufregung, „O du Fröhliche“ zum Besten geben. Jetzt mal abgesehen davon, dass ich mich bei diesem Lied immer frage, warum es zwar etwas Fröhliches beschreibt, aber das mit einer so unglaublich traurig-getragenen Melodie tun muss. Ist Traurigkeit die typisch deutsche Fröhlichkeit? Gehört aber vielleicht nicht unbedingt hier hin.

Ab Ende November hagelt es Einladungen zu Weihnachtsfeiern: in der Redaktion, im Sportverein, im Fitnessstudio, bei Freunden, bei Hank, der immer betont, es handele sich nicht um eine Weihnachtsfeier, sondern um ein adventliches Zusammensein – vor lauter Einladungen weiß man gar nicht, wo überall man zusagen soll. Muss das denn alles im Dezember sein? Da hat man doch mit seinen Vorbereitungen auf das Weihnachtsfest wirklich genug zu tun. Dazu kommt natürlich der eine oder andere berufliche Termin, der irgendwie mit dem bevorstehenden Weihnachtsfest verbunden ist:

Weihnachten kommt immer so plötzlich

Die Pressekonferenz zu den Hilfsmaßnahmen für Obdachlose: Der Oberbürgermeister höchstpersönlich wird am 1. Weihnachtstag im Haus xy ein Weihnachtsessen für Bedürftige verteilen, dazu mit Unterstützung der örtlichen Kleiderkammer warme Socken, Schals, Mützen und und und. Alles, was Obdachlose und sonstige Bedürftige in der kalten Jahreszeit so brauchen. Ein toller Kerl, unser Oberbürgermeister. Hoffentlich ist der Winter auch eingeweiht und kommt nicht schon vor dem 1. Weihnachtstag. Als ob man die wärmenden Sachen nicht schon Anfang November verteilen könnte. Aber am 1. Weihnachtstag die Familie hintanzustellen und sich stattdessen um das Wohl von Obdachlosen und sonstigen Bedürftigen zu kümmern – das ist nicht für die Beschenkten, dafür aber für das Image des Oberbürgermeisters weitaus besser.
Weihnachten kommt immer so plötzlich? Wohl kaum! Kein anderes Fest wirft seine Schatten so früh voraus wie Weihnachten. Und wenn ich Schatten sage, nutze ich nicht nur eine Redewendung, sondern meine das auch so.

Weihnachtsstress

Denn aus dem Freundeskreis höre ich jedes Jahr ab Ende November dieselben Fragen: Ob man wirklich alle Geschenke hat? Wie nur man den Festtagsrummel heil überstehen soll? Wie man mit den enttäuschten Erwartungen und Hoffnungen in der Familie am besten umgehen kann, damit die schöne überdrehte Weihnachtsstimmung nicht in ein fürchterliches Chaos umkippt. Hedi, die immer kocht wie eine Wahnsinnige, vorher aber alle Fenster wienert, Schränke auswäscht und die ganze Bude poliert als gebe es kein Morgen mehr, ist schon am Ende, bevor Weihnachten überhaupt angefangen hat.

Weihnachten im Puff

Und irgendwann verkündet wie in jedem Jahr jemand im Kollegenkreis, dass sich Polizei, Notärzteteams und Bestatter auf die Tage mit der höchsten Selbstmordrate vorbereiten. Ob man dazu nicht vielleicht mal einen Beitrag machen solle? Das wäre doch mal Weihnachten von einer ganz anderen Seite, irgendwie gegen den Strich gebürstet.
Ein Kollege, immer etwas neben der Spur, wirft bei solchen Gelegenheiten ein, dass „Weihnachten im Puff“ in dieselbe Richtung ginge. Die Damen, die an Weihnachten arbeiten, wären für die vielen Einsamen an den Weihnachtstagen doch so etwas wie Seelsorger. Das wäre nun wirklich einen Beitrag wert.
Glauben Sie nicht? Erlebe ich jedes Jahr! Ist schon so etwas wie ein Running Gag in unserer Redaktion, auch wenn schon lange niemand mehr darüber lacht. Außer besagtem Kollegen vielleicht.
Oder wie wäre es mit einem Beitrag über Krisenmanager? Die haben bekanntlich Jahr für Jahr ab Ende November Hochkonjunktur. Winterdepressionen ausgelöst durch einen dunklen November plus

Weihnachtsblues – eine unschlagbar-unheilvolle Kombination. In vielen Fällen führe die zu ungeahnten Explosionen…
Können Sie verstehen, warum mit dem 24. November bei mir alle Warnlampen angehen?

Wieder Weihnachten im Lockdown?

In diesem Jahr wird alles anders! Das nehmen sich Jahr für Jahr viele Menschen vor. Und scheitern kläglich. 71 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung sind aktuell der Meinung, dass in diesem Jahr tatsächlich alles anders werden könnte. Nicht, weil sie selbst endlich die Kraft hätten, etwas an ihrem eigenen Verhalten zu ändern. Sondern weil uns dieses dämliche Corona-Virus möglicherweise wieder das Weihnachtsfest verhagelt. Die Befragten gehen nämlich davon aus, dass die rasante Ausbreitung des Virus bis Weihnachten doch wieder zu einem Lockdown führen wird. So wie im letzten Jahr. So wie jetzt schon in Österreich. Und wie jetzt schon in Teilen Deutschlands für Ungeimpfte.

Vielleicht das letzte Mal…

Weihnachten – das Fest der Liebe, des Friedens, der Familie… und der Geschenke. Käme wirklich wieder ein Lockdown – ich würde ihn als schrecklich empfinden. Genau so schrecklich wie im letzten Jahr. Zwei Omas und ein Opa, meine Eltern und ich – vier Haushalte, die im letzten Jahr nicht zusammenkommen durften. Aus Gründen des Selbstschutzes. Aus Gründen der Sicherheit. Wenn ich mir zu Weihnachten mit Blick auf Alter und Gesundheitszustand der Großelterngeneration sage: „Es könnte das letzte Mal sein“ und glücklich und froh bin über jede Minute, die wir miteinander teilen – dann hat dieses schreckliche Virus die Welt auf den Kopf gestellt: Wir treffen uns nicht etwa, weil es das letzte Mal sein könnte. Sondern weil es ansonsten das letzte Mal sein könnte, treffen wir uns gerade nicht! Nicht auszudenken, wenn ich mir bei einem Interviewtermin das Virus einfange und es trotz Impfung und Test an meine Großeltern weitergebe. Oder an meine Eltern. Nein, wenn die Situation sich so dramatisch zuspitzt, wie viele es glauben, dann ist es besser, auf die Familienfeier zu verzichten.

Das Virus schafft, was viele nicht schaffen

Ist es nicht irgendwie pervers, dass das Virus genau das schafft, woran viele Menschen Jahr für Jahr scheitern? Hat sich was mit den zahllosen Adventsfeiern in Betrieb, Sportverein und Freundeskreisen. Wer in der Vergangenheit gestöhnt hat, dass ihm das alles zu viel werde, sieht sich durch das Virus urplötzlich befreit: Viele dieser Feiern fallen aus oder werden verschoben. In der Redaktion wollen wir „ein Frühlingsfest anstatt…“ feiern. Unsere Chefs wollen daran festhalten, danke schön zu sagen – aber nicht jetzt. Aufgeschoben ist zum Glück nicht aufgehoben. Und wenn ich ganz ehrlich bin: Die eine oder andere Adventsfeier geriet in der Vergangenheit auch bei mir zu einer Pflichtveranstaltung, die ich am liebsten abgesagt hätte. Was natürlich nicht ging. So etwas tut man nicht. Und wenn doch, dann hat das Konsequenzen – und wenn man sich nur selbst ein Image verpasst, das man dann doch lieber nicht haben möchte.

Hohes Risiko

In diesem Jahr übernimmt das das Virus. Landauf, landab gibt es die Diskussionen, ob Weihnachtsmärkte und größere Weihnachtsfeiern überhaupt stattfinden. In manchen Regionen übernimmt die Politik bereits diese Entscheidung. Woanders sagt manch einer: „Sorry, geht nicht. Könnte man vielleicht durchführen. Aber im Moment ist uns das Risiko dann doch zu hoch. Können wir gerne später nachgeholen. Aber nicht jetzt!“ Was für ein Glück!
Auch wenn mir natürlich die Einzelhändler leidtun, dazu die Gastronomen, Kinobesitzer, Menschen im Entertainment- und Eventbereich und alle, die mit ihnen zu tun haben. Bei all den Absagen, die es hagelt, bangen die zu Recht um ihre Existenz. Schöne Aussichten mit Blick auf Weihnachten sehen anders aus.

Ich liebe Weihnachten

Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich würde es bedauern, wenn wir wieder einen Lockdown bekämen, der das Fest der Familie zu einem Fest der Einsamkeit werden ließe. Ich liebe Weihnachten. Nicht unbedingt das Brimborium, das um dieses Fest gemacht wird. Aber Weihnachten mit Schnee, mit einem feierlichen Gottesdienst, mit meinen Lieben. Schon vor etlichen Jahren haben wir uns in unserer Familie von der allgemeinen Geschenkehatz befreit, haben ein „größer, höher, weiter“, was Geschenke anbelangt, lange gestrichen und schenken nur noch Kleinigkeiten – die aber von Herzen. Hetze, Pflichten, Druck haben wir auf ein Minimum reduziert. Aber aus dem Kollegen- und Freundeskreis weiß ich nur allzu gut, dass vielen genau das nicht gelingt.

Es kommt drauf an, was man draus macht

Während ich diesen Text schreibe, merke ich, wie ich mich entspanne. Ja, der Weihnachtsmarathon ist eingeleitet. Auch ich habe Erwartungen an Weihnachten. Und auch ich befürchte, dass diese Erwartungen vielleicht auch in diesem Jahr wieder auf eine besondere Weise enttäuscht werden. Am Ende zählt, dass möglichst viele Menschen heil und unversehrt aus diesem Schlamassel herauskommen. Ich tröste mich mit dem alten Sprichwort: Wat mutt, dat mutt. Oder meinetwegen mit einer uralten Werbung für Beton: „Es kommt drauf an, was man draus macht!“ Noch ist ja ein ganzer Monat Zeit, um Hoffnungen und Erwartungen so an die Realität anzupassen, dass am Ende mehr bleibt als Enttäuschungen.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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