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Reichspogromnacht und Mauerfall – 9. November: ein Schicksalstag der Deutschen? (9. November)

9. November 1989: Mauerfall! Völlig unerwartet fällt die Grenze zwischen den zwei deutschen Staaten. Erst in Ostberlin, dann überall. Tausende strömen in die Freiheit. Ein großer Tag! Der Beginn vom Ende der ehemaligen DDR. Ein Tag zum Feiern für Millionen. Freude über das Ende des geteilten Deutschlands. Auch wenn heute manche vergessen, dass Freiheit ihren Preis hat, auch wenn manche durch ihr Dauernörgeln und Jammern die Freude über die Wiedervereinigung eintrüben – dass es den Menschen auch und gerade im Osten besser geht denn je, ist unbestreitbar.

Reichspogromnacht

Doch es gibt ganz andere Gründe, weshalb der 9. November kein Datum der ungeteilten Freude ist. 1938, ebenfalls am 9. November, brannten in Deutschland jüdische Synagogen. Die „kochende Volksseele“, wie es später verharmlosend heißt, zerstört und plündert Geschäfte. Es kommt zu Überfällen, Misshandlungen, Verhaftungen und Ermordung von Menschen. Von jüdischen Menschen. Der Höhepunkt einer Judenhetze, die rund fünf Jahre vorher begann. Denn schon seit dem April 1933 durften Juden keine Museen mehr betreten, keine Theater, Parks oder Krankenhäuser.

Nacht des Schreckens

9. November 1938 – eine Nacht des Schreckens. Unschuldige, Wehrlose, Alte, Erwachsene und Kinder werden zu Opfern. Vordergründig, weil sie eine andere Religion haben, eine andere Identität als die Machthaber. Und Sachwerte, wie Historiker nicht müde werden festzustellen. Sachwerte, die sich der Staat einverleiben wollte. Reichskristallnacht nannten die Nationalsozialisten euphemistisch diese Nacht, an dem der staatliche Terror einen Höhepunkt erreichte. Die Kölner Gruppe BAP macht 1982 mit „BAP – Kristallnaach“ einen bemerkenswerten, noch heute hörenswerten Song darüber.
Wenn Sprachlenker den Begriff durch „Reichpogromnacht“ zu ersetzen suchen, nehmen sie einerseits dem ursprünglichen Wort seine durchaus positive Wirkung. Sie tragen aber auch dazu bei, dass das so bezeichnete Ereignis nüchtern und emotionslos betrachtet wird.

Betrug an den Geldverleihern

Pogrome, also Hetze gegen Juden, ihre planmäßige Verfolgung und Ermordung, gab es in Europa über Jahrhunderte. Das Strickmuster war zumeist einfach und fast immer dasselbe: Da der christliche Glaube seinen Anhängern den Geldverleih gegen Zinsen verbot, füllten vielfach Juden diese Lücke. Bereitwillig liehen sie Fürsten, Kaufleuten und anderen Mächtigen die von ihnen benötigten Finanzmittel. Die aber zahlten nicht immer ihre vertraglich vereinbarten Zinsen. Manch ein Fürst entledigte sich seiner Schuld, indem er die Geldverleiher aus seinem Fürstentum vertrieb. Einen europäischen Gerichtshof, bei dem die Ausgebeuteten und Entrechteten hätten klagen können, gab es noch nicht.

Religiöse Pseudo-Begründung

Die eigentlichen Absichten zu verschleiern, fiel den Mächtigen noch nicht einmal schwer. Die Vorstellung, dass „die Juden“ – welch unsinnige, zudem falsche Verallgemeinerung – den Heiland ermordet hätten, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte und wird immer wieder dazu missbraucht, um Gewalt gegen Menschen jüdischen Glaubens auszuüben.

Missbrauch von Religion: Nordirland

Wie Religion ohnehin über die Jahrhunderte immer wieder dazu missbraucht wird, um eine menschenverachtende Politik angeblich zu legitimieren. Wer glaubt, dass die Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland bis heute religiös motiviert sind, lässt das

jahrhundertealte soziale Gefälle zwischen beiden Volksgruppen außer Acht. Die aber sind der Hauptgrund für das, was vordergründig gern als Krieg der Konfessionen bezeichnet wird.

Missbrauch von Religion: Kreuzzüge

Der Blick zurück in die Geschichte zeigt unzählige weitere Beispiele, führt schnell zu den Kreuzzügen. Die waren zwar vordergründig religiös motiviert, sollten das Heilige Land aus den Händen der Muslime befreien. Tatsächlich aber wären verarmte europäische Ritter nie auf die Idee gekommen, ans andere Ende der Welt zu reisen, wäre nicht geschickt die Hoffnung auf unermessliche Reichtümer geschürt worden – nicht nur im Himmel, sondern vor allem auf Erden.

Christen gegen Christen: „Kreuzzug“ gegen Konstantinopel

Das eklatanteste Beispiel ist der Vierte Kreuzzug, der 1204 mit der Eroberung und Plünderung Konstantinopels endete. Jerusalem war von vornherein nur das Pseudoziel. In einem geheimen Zusatzprotokoll hatten die der Anführer als eigentliches Angriffsziel Ägypten festgelegt. Das tatsächliche Ziel der Kreuzfahrer, wenn auch nicht von Papst Innozenz III., war das christliche Konstantinopel. Denn die Venezianer, die größte Handelsmacht der damaligen Zeit, stellte die Schiffe für die Kreuzfahrer. Und diese Venezianer hatten ein immenses Interesse daran, Konstantinopel als ihren direkten Handelskonkurrenten auszuschalten, zumindest aber zu schwächen.

Genau geplant

Historische Untersuchungen legen nahe, dass die Vorräte der Kreuzfahrer nicht zufällig vor Konstantinopel aufgebraucht waren. Als sich die Bewohner der Stadt außerstande sahen, das Kreuzfahrerheer zu versorgen, kam es zum Kampf von Christen gegen Christen. Da konnte Papst Innozenz III. die Venezianer zwar schnell noch exkommunizieren – genutzt hat das nichts: Die Boten des Papstes wurden abgefangen, so dass dessen Intervention wirkungslos blieb. Am Ende war Konstantinopel gefallen, die Venezianer rieben sich die Hände. Mit religiösen Zielen und Überzeugungen hatte das alles längst nichts mehr zu tun.

Deus vult

Wobei das Gemetzel der Kreuzfahrer unter dem Ruf „deus vult“, „Gott will das“ ohnehin in einem fragwürdigen Verhältnis zur ach-so-frohmachenden Botschaft steht, der Botschaft der Nächstenliebe und dem Aufruf, auch die andere Wange hinzuhalten, wenn jemand auf die eine schlägt. Gott will das Gemetzel? Zumindest das Neue Testament spricht da eine andere Sprache.

Neid als Triebfeder

Doch zurück zu den Judenpogromen, zurück zum 9. November 1938. Immer wieder paar sich die geschickt lancierte Behauptung, „die Juden“ hätten den Sohn Gottes ermordet, mit dem Neid einfacher Menschen. Klar, auch sie würden gern in Wohlstand leben wie die jüdischen Geldverleiher – allein sie waren zu dieser Art von Geschäft nicht in der Lage. Sich ihres Besitzes, ihres Hab und Guts zu bemächtigen und gleichzeitig den Stachel im eigenen Fleisch zu beruhigen, führten viel zu oft zu grausigen Geschehnissen. Das Ziel, gesellschaftliche Vorrangstellungen zu nivellieren, und finanzielle Eigeninteressen erzeugen schnell ein Feindbild, dem, um das eigene Rest-Gewissen zu beruhigen, nur noch das religiöse Mäntelchen als unsinnige Begründung übergestülpt werden musste. Oder wie bei den Nazis rassenideologische.

9. November: Märzrevolution und Abdankung des Kaisers

Aus gutem Grund gilt der 9. November als so etwas wie der Schicksalstag der Deutschen. Schon 1848 scheiterte am 9. November die so genannte Märzrevolution: Die Truppen der Gegenrevolution erschossen in Wien den Demokraten Robert Blums, dessen letzte Worte „Ich sterbe für die Freiheit“ gewesen sein sollen.
Bereits im Sommer 1918 wurde deutlich, dass Deutschland den 1. Weltkrieg verlieren würde. Am 9. November und damit zwei Tage vor Kriegsende verkündete der amtierende Reichskanzler Prinz Maximilian von Baden eigenmächtig die Abdankung des Kaisers. Er tat dies unter dem Eindruck einer Revolutionsbewegung, bei der Betriebe bestreikt und in vielen Städten Arbeiter- und Soldatenräte gebildet wurde. Als Konsequenz rief der stellvertretende Vorsitzende der SPD, Philipp Scheidemann, die erste deutsche Republik aus. Das Ende der Herrschaft durch das Haus Hohenzollern war damit besiegelt.

9. November als Schicksalstag mit Auftrag

Wohl kaum ein Zufall war es, dass die Nationalsozialisten für ihr größten Judenpogrom, dass sie euphemistisch „Reichskristallnacht“ nannten, den 9. November auswählten. Die Freude über den Mauerfall im Jahr 1989, ausgerechnet wieder am 9. November, rundet dieses Datum als geschichtsträchtigen Tag des Feierns, aber auch des Erschauderns ab.
Unsere Aufgabe ist es, Gelegenheiten zum Erschaudern möglichst auszuschließen. Und Ereignisse wie am 9. November 1938 nie wieder zuzulassen.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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