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Mit dem Fahrrad über die Autobahn – wenig Öl und die Folgen (28. Oktober)

Ich weiß noch genau, dass es ein Sonntag war. Vergessen habe ich, ob es kalt war. Uns war warm, schon vor Aufregung. Und vor Anstrengung: mit dem Fahrrad über die Autobahn. So schnell es ging. Vollgas, linke Spur. Kilometerweit. Und natürlich wieder zurück. Wieder über die Autobahn! Sicher, das war verboten. Aber das Autofahren auch. Damals, im November 1973. An allen vier Sonntagen.

Dumme Jungs

Das Donnerwetter kam, als wir Jungs heimkamen und von unserer vermeintlichen Heldentat berichteten. Viel zu gefährlich, hieß es sofort. Denn schließlich durften ja durchaus Autos fahren. Mit Sondergenehmigung. Gar nicht mal so wenige. Zwei waren uns entgegengekommen, zwei hatten uns überholt. Wild hupend. Dumm und unerfahren, wie wir waren, war uns das egal. Aus der Rückschau glaube ich sogar, wir hatten unseren Spaß an den entsetzten Fahrzeuglenkern. Dumme Jungs, eben!

Öl und politischer Druck

Warum ich ausgerechnet heute davon erzähle? Weil am 28. Oktober 1973 neun arabische Ölförderländer ihren Export in Richtung USA und Niederlande um 75 Prozent drosselten. Das Ziel: kräftig Druck ausüben, damit Staaten, die Israel freundlich gesonnen waren, ihre Unterstützung für dieses Land aufkündigten. Etwa so: „Es tut uns ja leid. Und eigentlich stehen wir ja an eurer Seite. Aber da uns das Hemd näher sitzt als der Frack, geben wir dem Druck nach. Seht zu, wie ihr klarkommt. Räumt die Gebiete, die ihr 1967 erobert habt, als euch eure Nachbarn angriffen und ins Meer treiben wollten, ihr aber den Spieß umgedreht habt. Dann wird alles gut!“

Keine Reservekanister

Das US-Amerikaner und Europäer so oder ähnlich reagieren würden – das war wohl die Überlegung der neun Länder, die ihre Erdölförderung zurückschraubten. Ein klarer Fall von Erpressung. Der die westlichen Staaten zum Glück nicht nachgaben! Da, wo man in der Politik klare Worte vermeidet, gebraucht man ja statt Erpressung lieber das Wort vom „sanften politischen Druck“. Also, wenn man ihn selbst anwendet. Wenn das die anderen tun, dann bezeichnet man das als Erpressung. Oder als Ölkrise. Das war das Schlagwort im einsetzenden Winter 1973. Und die hatte Auswirkungen: Um die Bevorratung mit Benzin und damit eine zusätzliche Verknappung durch das Verbraucherverhalten zu unterbinden, war die Befüllung von Reservekanistern ab sofort untersagt.
Die Älteren unter uns erinnern sich: Damals war es völlig normal, einen gefüllten 5 Liter-Reservekanister im Auto spazierenzufahren. Und am besten noch ein paar 20 Liter-Kanister in die heimische Garage zu stellen. Oder in den Schuppen. Oder gar in den Keller, direkt neben Kohlen, Kartoffeln und Eingemachtem.

Energiesparen um jeden Preis

„Energiesparen um jeden Preis“, forderte die Bundesregierung. Und verhängte vier autofreie Sonntage! Keine Spazierfahrten, kein Besuch bei Oma oder bei anderen Verwandten. Weniger Friedhofsgänge am Totensonntag, jammerten die Blumenhändler später und beklagten ihre Umsatzverluste. Habe ich nachgelesen. Bewusst war mir das damals nicht. Auch nicht, dass die Verknappung des Öls die schlimmste Wirtschaftskrise in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg auslöste. Aber: mit dem Fahrrad über die Autobahn – selbst erlebt. Unvergessen. Und immer noch mit einer Gänsehaut am ganzen Körper. Allerdings nicht mehr wegen dieses großartigen, vermeintlichen Gefühls von Freiheit, sondern wegen unserer Unwissenheit und grenzenlosen Dummheit.

Der Mensch, ein geschichtliches Wesen

Szenenwechsel: Ich liebe diesen Satz, nach dem der Mensch ein geschichtliches Wesen sei. Gemeint ist damit: Wenn ein Mensch etwas erlebt, verändert ihn das. Ob er will oder nicht. Und: Egal, was es ist, der Mensch ist anschließend nicht mehr derselbe. Gerade bei drastischen Fällen leuchtet das schnell ein:

Wer einmal auf einem See beim Schlittschuhlaufen eingebrochen ist, wird in Zukunft die Tragfähigkeit des Eises genauer prüfen, vielleicht sogar die offizielle Freigabe des Sees zum Schlittschuhlaufen durch Experten abwarten.
Wer einmal Geld an Freunde verliehen und nicht zurückbekommen hat, wird in Zukunft vielleicht der uralten Erkenntnis mehr Glauben schenken, wonach bei Geld die Freundschaft aufhört. Es gibt ungezählte Beispiele, mit denen sich der Zugewinn an Erfahrung verändernd auf den Menschen auswirkt. Gebranntes Kind scheut eben das Feuer. So einfach ist das. Pädagogen nennen das übrigens „Lernen“. Learning by doing? Na ja, in diesem Fall mehr by try and error.

Wirklich gelernt?

Was für den Einzelnen zutrifft, scheint aber immer dann, wenn er in einer Gemeinschaft aufgeht, verlorenzugehen. Anders ist es kaum zu erklären, dass wir bis vor kurzem, also fast 50 Jahre nach der damaligen Ölkrise, die

weltweite Globalisierung so blind gefeiert haben. Dass das Individuum auf der Strecke blieb, dass Einzelne damit nicht klarkamen und sich abgehängt, ausgeliefert und „verkauft“ fühlten – das hat unsere Gesellschaft als Kollateralschäden hingenommen.

Schutzmasken und Medikamente

Dass wir uns längst in neue, zusätzlich Abhängigkeiten begeben hatten – das wurde mit dem Aufflammen der Corona-Pandemie überdeutlich: Schon wieder hatten wir uns von Produzenten und Lieferanten im Ausland abhängig gemacht. Ein Hauen und Stechen um Schutzmasken und Medikamenten zwischen befreundeten europäischen Staaten hätte niemand für möglich gehalten. Lieferungen, die für einen bestimmten Markt gedacht waren, aber ganz woanders hingingen, weil mehr Geld geboten wurde? Wer mag, kann selbst noch einmal recherchieren. Das Internet vergisst bekanntlich nie.

Vakzine

Als endlich die ersten Vakzine auf den Markt kamen, wurde es nicht besser. Da stritt die EU mit Großbritannien über die Mengen, die von AstraZeneca geliefert werden sollten, aber die Insel gar nicht erst verließen. Na gut, als anschließend gesundheitliche Probleme die Runde machten, die genau bei einer bestimmten Personengruppe mit genau diesem Impfstoff auftraten, waren wir auf dem Kontinent ja froh, dass die Briten das Zeug erst einmal bei ihrer Bevölkerung verimpft hatten. Schadenfreude ist eine miese Sache. Aber es gibt immer Gründe, warum sie entsteht…

Corona – die größte Krise

Schließlich erreichte die die Corona-Pandemie das, was wir ihren Höhepunkt nennen – bis heute! Man weiß ja nie…. Damals sprachen unsere Politiker schon wieder von der schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Und was passiert jetzt? Opel, Mercedes, Volkswagen und andere – immer wieder stehen die Produktionsbänder still. Da geht es ans Eingemachte. Bei den Konzernen und bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern: Immer mehr Menschen bangen um ihre Arbeitsplätze.
Der banale Grund: Weil die Automobilhersteller knapp kalkulierten und jetzt die Produktionskapazitäten der Chiphersteller anderweitig ausgelastet sind, können die Autobauer ihre Fahrzeuge eben nicht mehr zusammenbauen. Was nützt das schönste und beste Fahrzeug, wenn ein winziger Chip nicht lieferbar ist? Ach was, einer! Unmengen werden längst in aktuellen Fahrzeugen verbaut. Die Abhängigkeit von Produzenten „am anderen Ende der Welt“ hat verheerende Folgen bei uns. Und für uns. Und das zwar auch, aber nicht nur als Nachklapp der Corona-Pandemie.

Ever Given

Wie schnell das geht und wie anfällig wir sind, zeigt das Beispiel der „Ever Given“: Da langt es, an einer strategisch wichtigen Stelle einen einzigen Pfropfen zu setzen – und schon geht gar nichts mehr. Ein Schiff fährt mit viel zu hoher Geschwindigkeit im Suezkanal auf Grund – und schon steht alles still. Denn hinter diesem einen Pfropfen, an dem nichts vorbeigeht, staut sich die gesamte Weltwirtschaft. Die Folge: Zuerst bleiben in den Anlandehäfen die Schiffe aus, dann kommen so viele Schiffe innerhalb so kurzer Zeit an, dass die Kapazitäten zum Löschen der Ladung einfach nicht ausreichen. Unglaublich, wie viele Schiffe weltweit zum Teil monatelang warten müssen, bis ihre Fracht andlich gelöscht wird. Rund ein Jahr wird es seit der Havarie der „Ever Given“ dauern, bis die Überhänge abgearbeitet sind. Und alles wieder so normal läuft wie früher. Bis dahin heißt es warten, warten, warten.

Alles nur ein Unfall. Aber…

Die Nummer mit der „Ever Given“ war ein Unfall, keine Frage. Aber einer, der sich jederzeit absichtlich herbeiführen lässt. Man muss nur gut genug ergründen, wo man die Blockade ansetzt, und schon befindet sich die Weltwirtschaft im Würgegriff. So wie 1973, als die neun erdölfördernden Länder am gleichen Strick zogen und ihren Pfropfen in die Förderlöcher der Erölproduktion drückten.
Der Mensch also ein geschichtliches Wesen? Eines, das lernt? Das proaktiv gegen Krisen vorgeht, sich gegen sie wappnet? Als Individuum vielleicht. Nie hatte der Deutsche mehr Klopapier im Haus als seit Beginn der Coronakrise. Aber als Gemeinschaft? Meine Zweifel bleiben nicht nur. Sie sind in den letzten Jahren mehr und mehr gewachsen.

Claus Weselsky for president

Deshalb mein – zugegeben – nicht ganz ernst gemeinter Vorschlag: Gebt Claus Weselsky, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Lokführer (GdL), in der neuen Regierung einen Ministerposten und eine ganze Behörde. Weselsky weiß wie keiner, wo und wie ein gigantischer Konzern mit minimalem Aufwand lahmzulegen ist. Wenn Weselsky sein Wissen um neuralgische Punkte einsetzt und diese schließt, bevor dort jemand zuschlagen kann, wird er eine unschlagbare Geheimwaffe für unsere Souveränität. Und spart jede Menge Geld und Aufregung.

Individuelles Lernen

Spaß beiseite: Ich habe gelernt! Nie wieder würde ich mit dem Fahrrad über eine Autobahn fahren, auch dann nicht, wenn sie „für den allgemeinen Verkehr“ gesperrt ist. Heute weiß ich, dass autofrei noch lange nicht autofrei heißt! Wer rechnet schon mit der Dummheit jugendlicher Radfahrer, wenn er mit einer Sondergenehmigung unterwegs ist und sich über freie Fahrt freut? Nein, da muss jeder bei sich selbst anfangen und eindeutigen Unfug unterlassen.
Aber was hat unsere Politik gelernt, was lernen unsere Firmenbosse aus der jüngsten Vergangenheit? Trotz allen Pessimismus hoffe ich, dass sie eine Menge lernen. Und alles daransetzen, um ihre Abhängigkeit von anderen zu verringern. Da es um ganz konkrete Einnahmen in der Gegenwart geht, müsste dieses Umdenken doch nun wirklich möglich sein!

Was haben wir in Sachen Klima gelernt?

Aber zum Beispiel mit dem Blick auf die Klimadebatte bekomme ich schon wieder Gänsehaut. Eine Gänsehaut der Angst: Zuerst haben wir mit den Abgasen aus Kohle und Petrochemie unsere Umwelt versaut, dann träumten wir von Atomenergie, die alle Energieprobleme lösen sollte. Die aber hinterlässt uns bis heute Abfälle, für die wir immer noch keine Lösung haben, mit denen wir immer noch nicht umgehen können. Was wir heute nicht können – unsere Kinder werden es schon richten! Die werden strahlen vor Freude!

Wohin mit dem CO2?

Jetzt träumen Spezialisten davon, das CO2 in Gestein und Meeren zu binden, quasi zu versenken. Haben diese Spezialisten im Blick, dass sich Zeiten ändern? Sogar so gewaltig ändern, dass Permafrostböden, seit Millionen von Jahren so etwas wie „bombensichere Gräber“ für Methan und andere Stoffe, plötzlich auftauen und zurzeit äußerst unerwünschte Substanzen freigeben – mehr als uns lieb ist? In einer Menge, die neue Probleme schafft und uns zwingt, neue Lösungen zu finden? Welche Hinterlassenschaft für unsere Nachkommen, welchen Rucksack schnüren wir für unsere Kinder und Enkelkinder, wenn wir heute unser Problem CO2 „bombensicher“ in Gestein und in den Meeren versenken? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass wir großartig darin sind, zielsicher Lösungen zu finden, die mittel- und langfristig neue Probleme hervorbringen.

Aufgaben? Keine Option

Der Mensch ein geschichtliches Wesen? Das dies auch für den vergesellschafteten Menschen gilt – daran glaube ich wohl erst dann, wenn unsere Problemlösungen dauerhaft angelegt sind und sich nicht mehr am schnellen Profit orientieren. Ob ich das noch erleben werde? Ich bin skeptisch. Ob es sich lohnt, sich trotzdem dafür einzusetzen, seine Stimme zu erheben und bei sich selbst anzufangen? Davon bin ich überzeugt! Wie sagte doch eine große Philosophin unserer Zeit? Aufgeben ist keine Option!

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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