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Weihnachtsmärkte trotz Corona – zwischen wünschenswert und sinnvoll (20. November)

Hatten Sie sich auch schon gefreut? Schritt für Schritt steigt bei mir am Mitte November die Vorfreude auf Glühwein, Punsch und sonstige winterliche Heißgetränke. Gepaart mit Maronen und Lebkuchen sind die etwas für den Leib, während schöne Düfte, Kerzen und allerlei Kleinkram die Seele erfreuen. So sehr erfreuen, dass die Bereitschaft wächst, sich und anderen eine Freude zu bereiten. Und zu kaufen.

Auf die Plätze, fertig… HALT!

Doch danach sieht es im Moment nicht aus. Wenn ich das Ganze einmal mit einem Wettlauf in der Leichtathletik vergleiche: Da greift der Kampfrichter nach seiner Waffe, streckt die in die Höhe, dann heißt es „auf die Plätze, fertig…“. Und statt „los“ und dem Knall der Starterpistole kommt in diesem Jahr wieder einmal ein müdes „HALT!“. Bayern hat als erstes Bundesland die diesjährigen Weihnachtsmärkte komplett abgesagt. Zu hoch erscheinen die Inzidenzen der Landesregierung. Oh, sorry, natürlich sind es die Hospitalisierungsquoten. Nicht mehr die Infizierten werden gezählt, sondern die, die bereits in überlasteten Kliniken mit dem Tod ringen.

Sachsen, Bayern, Thüringen

Da wundert man sich dann nur noch, wieso das Signal der Absage von Weihnachtsmärkten nicht zuerst aus Sachsen kam. Wie sieht es in dem Bundesland mit den wenigsten Impfungen aus? Auf über 1400 schwerstkranke Infizierte ohne Impfung kommen in den Kliniken weniger als 70, die trotz Impfung angesteckt wurden und nun nicht mehr in häuslicher Quarantäne bleiben können.
Nun ist die Sieben-Tage-Inzidenz in Sachsen rund 50 Prozent höher als in Bayern. Herzlichen Glückwunsch zum ersten Platz! Ob das ein Grund ist, stolz zu sein, müssen andere klären.

Der Staat wird’s schon richten

Zum Beispiel die, die aus purem Egoismus jetzt die Kliniken verstopfen und denen, die – vielleicht auch schweren Herzens – bereit waren, das Risiko einer Impfung auf sich zu nehmen, jetzt in den überfüllten Kliniken die Plätze wegnehmen. Auch in Sachsen wachsen die Intensivbetten nicht in den Himmel. Und so findet im Freistaat wohl bereits eine Triage statt.
Der Staat wird’s schon richten? Nööö, dass alles der Staat macht, Eigenverantwortung nicht zählt – das ist über 30 Jahre vorbei. Seitdem gelten Werte wie Solidarität und Eigenverantwortung. Irgendwie schade, dass in bestimmten Regionen in Deutschland Menschen immer noch nicht

begriffen haben, dass eine Gesellschaft, eine Gemeinschaft immer nur so stark ist wie ihr dümmstes Glied. Oh, sorry, wollte „schwächstes Glied“ schreiben. Das war dann wohl eine freudsche Fehlleistung.
Entsetzen in Erfurt

In Erfurt, immerhin größte Stadt in Thüringen, ist man entsetzt. Weil der Oberbürgermeister, so meldete noch gestern der MDR, unbedingt den Weihnachtsmarkt stattfinden lassen will, geht die Opposition auf die Barrikaden. Auch hier scheint es an der Logik zu hapern: Die Inzidenzen in einzelnen Bundesländern sind in den letzten Tagen massiv gestiegen. Gut, Thüringen kommt da erst an dritter Stelle von sechszehn Bundesländern – aber damit immerhin noch auf dem Treppchen und Bronzemedaillengewinner. Selbst wenn die Inzidenzen in den nächsten Tagen nicht mehr steigen , sondern auf ähnlichem Niveau verharren sollten, steigt die Zahl der Infizierten in den nächsten 14 Tagen um mehrere Hunderttausend Menschen. Es dauert eben ein bisschen, bis sich der Ausbruch der Krankheit einstellt.

Prognosen bis Weihnachten

Bis Weihnachten wären das locker weit über eine Million. Und selbst wenn sich alle Kurzdenker doch noch blitzschnell impfen lassen wollten – auch wenn Tag und Nacht durchgeimpft würde, benötigen 20 Millionen Erstimpfungen oder mehr, dazu noch ausstehende Zweitimpfungen und die ersten 30 Millionen Boosterimpfungen mehrere Wochen, um verimpft zu werden. Dass es dann noch ein paar Wochen dauert, bis die Impfungen im wahrsten Sinne des Worte Wirkung zeigen, kommt erschwerend hinzu. Wenn Sie eins und eins zusammenzählen, können Sie nur zu einem Ergebnis kommen: Weihnachten ist dann schon längst vorbei. Bis dahin freut sich das Virus über jedes Spreader-Event, bei dem es von einem Träger auf den nächsten hüpfen kann.

“… hasse es, immer Recht zu haben…“

Um den Anschein von Großveranstaltungen zu unterlaufen, will der Erfurter OB den Weihnachtsmarkt in drei abgetrennte Bereiche unterteilen, zu denen jeweils „nur“ 2000 Personen Zugang haben. An dieser Stelle fällt mir der Chaostheoretiker aus dem ersten Film der Jurassic-Parc-Serie ein. Der Mann, der entsetzt darüber war, dass man einen T. Rex und andere gefährliche Saurier zum Leben erweckt hatte. Weil er nämlich fest davon überzeugt war, dass es keine absolute Sicherheit gäbe. Als dann der T. Rex aus seinem Gehege ausbricht, kommt von ihm der Satz, der für mich zum geflügelten Wort geworden ist: Ich hasse es, immer Recht zu haben.

Was heißt hier Sicherheit?

Absolute Sicherheit gibt es nicht. Dennoch gaukelt die der Oberbürgermeister in Erfurt vor. Die Besucher des Weihnachtsmarktes in Erfurt müssen nämlich gegen Corona geimpft oder selbst genesen sein. Was er nicht sagt: Alternativ können sie auch einen gefälschten Impfnachweis bei sich haben. Oder sich einfach trotz einer Coronainfektion in die lange Schlange stellen und am Einlass mal sehen, was geht. Ging doch sonst auch eine Menge in Sachsen und Thüringen.

Zynismus

Okay, wer mir Zynismus vorwirft, hat Recht. Anders kann ich mit so viel Unvernunft schon nicht mehr umgehen. Wobei ich wirklich zugestehe: Wir haben keine Impfpflicht. Jeder kann selbst entscheiden, ob er sich impfen lässt oder nicht. Was mich ärgert, ist die Arroganz der Ungeimpften: Die Geimpften können das allgemeine Risiko ja mittragen. Den Rest wird der Staat schon richten. Wofür zahlt man denn Steuern, wenn man nicht auch die Gesundheitsleistungen inklusive Intensivbett mal in Anspruch nehmen darf?

Böser Vorschlag

In meinem Bekanntenkreis machte neulich jemand einen bösen Vorschlag: Jeden schriftlich zum Impfen auffordern. Wer nicht will, lässt es. Es zu lassen, bedeutet aber auch: Wenn ein Intensivbett für einen benötigt wird, der sich aus gesellschaftlicher Solidarität hat impfen lassen, bekommt der den Vorrang vor einem Ungeimpften. Eine klare Ansage an die Impfverweigerer, dass der Staat durchaus bereit ist, „es“ zu richten – wenn denn auch die Bürger mitspielen. Sie merken – ich bin nicht die einzige, deren Hilflosigkeit sich in Zynismus Bahn bricht.

Kluges Niedersachsen

Was mich beruhigt: Bundesländer, die im aktuellen Corona-Ranking ganz weit hinten stehen, erwägen, ihre Maßnahmen zu verschärfen. Niedersachsen zum Beispiel landet mehr oder weniger abgeschlagen auf einem 13 Platz. Weit, weit hinter den Sachsen, Bayern und Thüringern. Trotzdem kündigt die Landesregierung an, ihre Maßnahmen zu verschärfen. Und bevor die Betreiber von Ständen auf den Weihnachtsmärkten weiterplanen, Personal und Waren ordern, ihre Stände aufbauen und dann angesichts weiter steigender Coronazahlen gar nicht erst öffnen dürfen, sagen die Kommunen in Niedersachsen bereits reihenweise ihre Weihnachtsmärkte ab. Gut so! Das nämlich bewahrt die Händler vor immensen Kosten und Verlusten und viele, viele Menschen vor Infektionen mit dem Coronavirus. Und den Rest wird Olaf Scholz mit seiner Bazookaa dann tatsächlich richten. Vorausgesetzt, Scholz übernimmt als Bundeskanzler die Verantwortung dafür. Und sein Finanzminister oder seine Finanzministerin haben einen ähnlichen Kampfgeist.

Was bleibt eigentlich von Weihnachten?

Merken Sie was? Bei all der Diskussion um das, was diesem Land und seinen Menschen in den nächsten Wochen droht, geht die ganze Weihnachtsmarktidylle ohnehin flöten. Klar, Glühwein und Punsch, Maronen und Lebkuchen schmecken draußen, in der Kälte und im Dunklen einfach besser als bei warmen Temperaturen. Da fühlt man sich ähnlich wie die mittelalterlichen Menschen, die vor Weihnachten in die Städte zogen, um sich gegen Ende der vorweihnachtlichen Fastenzeit mit allerlei Nützlichem für ihr Zuhause einzudecken, in die Kirche zu gehen, sich durch Gebete und Gottesdienste auf das Weihnachtsfest vorzubereiten. Auf das Fest der Geburt Jesu Christi, dem Sohn Gottes, so der im Mittelalter im christlichen Europa unangetastete Glaube.

Wintermarkt im Januar oder Februar

Mittlerweile leben wir in einem Land, in dem immer wieder Gruppen versuchen, den christlichen Ursprung von Festen auszulöschen. Dass dabei nur sinnentleerte Hüllen übrigbleiben, ist diesen Ideologen völlig egal. So findet der traditionelle Umzug an St. Martin, der „Martinsumzug“, vielfach an einem anderen Tag statt, hat nichts mehr mit seinem Ursprung, nämlich der Legende vom heiligen Martin zu tun und wird als „Laternenumzug“ deklariert. Die Weihnachtsmärkte haben schon lange damit zu kämpfen, dass sie – abgesehen vom „zusammen einen trinken“ – sinnentleert sind und als „Wintermärkte“ umfirmiert werden.
Als Pragmatikerin frage ich ganz ernsthaft: Was hindert eigentlich diejenigen, die eh den Zusammenhang mit dem christlichen Weihnachtsfest vergessen machen möchten, daran, im Januar oder Februar einen Wintermarkt abzuhalten? Vielleicht sind da die Coronazahlen ja schon wieder niedriger. Oder so hoch, dass auch die Dümmsten nicht mehr umhinkommen zu verstehen, welchen Unfug sie gerade fordern.

Schwindender religiöser Hintergrund

Was Erfurt anbelangt: Altbischof Joachim Wanke hat sich in den ersten Jahren nach dem Mauerfall in Erfurt auf den Weihnachtsmarkt begeben. In Zivil, also nicht als Bischof erkennbar. Dort hörte er dann auch, wie junge Mütter ihren Kindern zu erklären versuchten, was Aschenputtel und Dornröschen mit der Futterkrippe und dem Kind darin zu tun hatten. Sicher nicht die Regel, aber auch keine Einzelfälle. Die zeigen zumindest: Gerade in Erfurt wäre ein Wintermarkt im Januar oder Februar kein Weltuntergang. Und in einigen anderen Regionen Deutschlands auch nicht.

Fußball-WM-Weihnachtsmärkte 2022

Ich bin mir sicher: Es werden noch etliche Absagen von Weihnachtsmärkten auf kommunaler Ebene folgen, möglicherweise werden sogar einzelne Bundesländer nachziehen. Dann bleibt nur noch, sich auf das nächste Jahr und die nächste Chance zu freuen. Mit Glühwein, Punsch, Maronen und künstlicher Vor-Weihnachtsstimmung. Dann sogar mit etwas völlig Neuem: mit Großleinwänden, über die wir Kicker in kurzen Hosen hinter dem Ball herlaufen sehen können. Denn während es bei uns jahreszeitlich bedingt dann – trotz Klimaerwärmung – wieder verhältnismäßig kühl werden wird, werden gleichzeitig im Wüstenstaat Katar die Fußballstadien künstlich heruntergekühlt – damit die Elitekicker dieser Welt keinen Hitzschlag bekommen. So klimaneutral übrigens wie möglich. Wie auch immer das gehen soll…
Aber immerhin haben wir dann ein anderes Thema, was uns rund um die Tradition von Weihnachtsmärkten beschäftigt. Falls nicht Corona… Aber daran möchte ich gar nicht denken.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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