O’Connor, Sinead – Nothing Compares 2 U
Ein neues Album und eine Welttournee hatte Sinead O’Connor zuletzt noch ganz optimistisch geplant – der unerwartete Tod der 56jährigen durchkreuzt diese Pläne unwiderruflich. Dabei sah es tatsächlich so aus, als käme die Irin nun endlich
in ruhiges Fahrwasser; so, als habe sie endlich zu sich selbst gefunden. Bis dahin war „Trouble“ ihr beständigste all ihrer Lebensbegleiter: 966 kam sie als drittes von fünf Kindern zur Welt.
Schwere Kindheit
Acht Jahre später trennten sich ihre Eltern. Die Mutter ist alkoholkrank, prügelt beständig auf Klein-Sinéad ein. Misshandlungen erfährt sie auch durch Geistliche – ein Schmerz, der nie wieder weg geht, wie sie selbst später sagt. Und: Lediglich die Musik sei ein Ort, wo sie mit der allgegenwärtigen psychischen Qual umgehe könne.
Musik lässt Schmerz vergessen
Musik ließ sie ihren Schmerz vergessen. Schon früh machte sie sich als Independent-Musikerin einen Namen, bekam mit 17 Jahren ihren ersten Plattenvertrag. Drei Jahre später verkaufte sich ihr erstes Album „The Lion And The Cobra“ in den USA über eine Million Mal – bemerkenswert für eine Sängerin, die in den USA eigentlich niemand kannte. Den Karrierestart unterstützte das Plattencover: Das zeigte Sinéad mit ihrem späteren Markenzeichen, nämlich einem extremen Kurzhaarschnitt. Der kam zustande, weil ihr ihr Plattenlabel vor der Veröffentlichung ihres ersten Albums riet, sich mädchenhafter zu geben. Aus Protest rasierte sich Sinéad die Haare komplett ab. „Ich bin stolz darauf, unbequem zu sein“, erklärte sie später in anderem Zusammenhang.
Immer unbequem
Weil sie unbequem war, keilte sie auch immer wieder aus: gegen Kim Kardashian, U2 und Miley Cyrus. Ex- Pogues-Sänger Shane McGowan war durch eine Attacke so genervt, dass er Sineád sogar verklagen wollte. Auch Kris Kristofferson bekam sein Fett weg – und dass, obwohl er der Sängerin nach einem Skandal um ein zerrissenes Papst-Foto – später dazu mehr – als einziger beiseite stand, ja, sogar einen Song über die taffe Frau schrieb [„Sister Sinéad“]. Prince brachte Sinéad einmal so weit, dass er sie beinahe verprügelt hätte. Und dass, obwohl Prince der Schöpfer von Sinéads größtem Hit „Nothing Compares 2 U“ war.
The Family: Nothing Compares 2 U
1984 befand sich Prince durch den Song „Purple Rain“ auf der Welle des Erfolgs. „Nothing Compare To You“ schrieb er angeblich in einer kurzen Studiositzung, war mit dem Ergebnis aber nicht zufrieden, so dass nur wenig später eine veränderte, neue Fassung folgte. Trotzdem glaubte Prince, dass der Song gemessen am hohen Maßstab von „Purple Rain“ zur Veröffentlichung unter seinem Namen taugte. Also er ihn für die Band The Family frei – eine Formation, die Prince selbst gegründet hatte und der er häufiger Songs zuspielte, die er selbst nicht veröffentlichen wollte. 1985 erschien die einzige, selbstbetitelte LP von The Family. Als sechsten von insgesamt acht Titeln enthielt die eine Fassung von „Nothing Compares 2 U“, wenn man so will das Original. Allerdings verliefen Song und Band quasi jenseits der Wahrnehmungsgrenze im Sande.
Mutmaßliche Adressaten
Prince-Biographen gehen davon aus, dass Prince im Song entweder seiner Haushälterin Sandy Sciponi ein Denkmal setzte oder einen Trostsong für seinen Freund Jerome Benton schrieb, dessen Beziehung zu seiner Verlobten in die Brüche gegangen war. Wie auch immer – Fachtna O’Ceallaigh, zu diesem Zeitpunkt Manager von Sinéad O’Connor, schlug der Sängerin nach ihrem international viel beachteten Album „The Lion and The Cobra“ vor, „Nothing Compares 2 U“ zu covern. Durch einige wenige geringfügige Textveränderungen machte Sinéad einen Song daraus, der auf die komplizierte Beziehung zu ihrer Mutter anspielt. Die war unmittelbar vor der Aufnahme des Songs verstorben.
Sinéads Adressat in „Nothing Compares 2 U“
Sinéad singt:
„Es ist sieben Stunden und 15 Tage her,
seit du mir deine Liebe entzogen hast.
Ich gehe nun jede Nacht aus und schlafe den ganzen Tag.
Seit du weg bist, kann ich tun, was ich will
Ich kann sehen, wen immer ich will.
Ich kann in einem schicken Restaurant zu Abend essen.
Aber nichts, ich sagte, nichts kann diese Traurigkeit wegnehmen.
Denn nichts ist vergleichbar.“
Nur ein Take!
Nur einen einzigen Take brauchte Sinéad für die Aufnahme von „Nothing Compares 2 U“ – und der Song war im Kasten. Ein Song, der aufs Wesentlichste reduziert ist, so dass Sinéads eindringlicher Gesang alles andere überstrahlt. Überdeutlich ist die Botschaft von Verlust, Einsamkeit und Selbstzweifel. Übertroffen wird dies durch einen Videoclip, der sogar noch mehr unter die Haut geht: Denn er zeigt fast durchgängig Sinéads Gesicht in Großaufnahme: kurz rasiertes Haar, schwarzer Rollkragenpullover vor schwarzem Hintergrund –
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„Alle Blumen, die du gepflanzt hast, Mama, im Hinterhof,
alle starben, als du weggingst“.
Die Tränen
Wie auf Kommando fließen an dieser Stelle Tränen. Sie hatte dies nicht geplant, sagte Sinéad später dem Musikmagazin Rolling Stone. Aber als es passierte, dachte sie, dass sie es zulassen solle.
Sinéads Mutter starb bei einem Autounfall. Trotz der vielen Prügel und häufigen Misshandlungen, trotz des insgesamt schwierigen Verhältnisses zu ihrer Mutter und aller geschlagenen Wunden, trauerte die Sängerin um sie. Erst später erklärte sie: Sie schließe die Augen und spreche mit ihrer toten Mutter. Das sei die einzige Zeit, die sie mit ihr verbringen können. Und das sei nicht mehr traurig. Das sei herrlich. Eine schönere Umschreibung für ein Gebet kann es wohl kaum geben.
Sinéad O’Connor und der Glaube
Stichwort Glaube: In Sinéads Kindheit ist der Katholizismus in Irland noch allumfassend. Zwar räumte die Sängerin ein, dass sich mittlerweile vieles geändert habe. Dennoch habe die Form, in der der Glaube verkündigt worden sei, die Menschen unterdrückt und Freude am Glauben an Gott nahezu unmöglich gemacht. Auch die irische katholische Kirche ist mittlerweile von einem massiven Missbrauchsskandal erschüttert. Als Konsequenz aus ihrer persönlichen Haltung entfernt Sinéad ein Bild von Papst Johannes Paul II. aus dem Schlafzimmer ihrer Mutter noch an deren Todestag.
Papst Johannes Paul II.
Das gleiche Foto wird zum Gegenstand eines handfesten Skandals in den USA: Am 3. Oktober 1992 ist Sinéad Gast der US-Comedyshow „Saturday Night Live“ bei NBC. Dort performt sie „War“, einen Bob Marley-Klassiker, der seinerseits nahezu wörtlich aus der 1963er Rede des äthiopischen Kaisers Haile Selassie vor der UN zitiert. Wem Sinéad O’Connor den Krieg erklärt, wird dabei überdeutlich: Das gleiche Foto von Papst Johannes Paul II., das sie aus dem Schlafzimmer ihrer Mutter entfernt hatte, zerreißt sie vor laufenden Kameras – Sinéads Protest gegen sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche.
Der Rest ist Schweigen – nur Sinatra ätzt
Das Saalpublikum schweigt eisig und konsterniert. Als Sinéad die Bühne verlässt, tritt sie in eine große Leere: Alle Mitarbeitenden haben sich entfernt. Selbst ihr Manager schließt sich ein und reagiert drei Tage lang nicht auf Sinéads Anrufe. Kurze Zeit später belegen die Allgewaltigen von NBC Sinéad mit einem lebenslangen Sendeverbot. Und Frank Sinatra ätzt kurze Zeit später in einem Konzert: Sie müsse eine dumme Tussi sein. Wäre sie ein Mann, würde er ihr in den Arsch treten.
Plattenverbrennungen im Bible Belt
Auch Teile der Öffentlichkeit reagieren massiv: Ähnlich wie 30 Jahre vorher bei den Beatles rufen Kirchentreue vor allem aus dem Bible Belt der USA zur Vernichtung von Tonträgern der irischen Sängerin auf. Legendär ist das Foto einer Dampfwalze, die kurz davor ist, Schallplatten und Musikkassetten von Sinéad im wahrsten Sinn des Wortes platt zu machen – wie bei solchen „Veranstaltungen“ üblich „pars pro toto“, also steht die Arbeit der Sängerin symbolisch für die Vernichtung des gesamten Menschen.
Ablehnung im Konzert für Bob Dylan
Wie massiv die Ablehnung ist, erfährt Sinéad hautnah am 16. Oktober, also keine zwei Wochen später: Zur Feier des 30jährigen Releasejubiläums von Bob Dylan ist die junge Sängerin neben etablierten Größen wie Lou Reed, John Cougar-Mellencamp, Woodstock-Legende Richie Havens und den Countrystars Willie Nelson und Rosanne Cash, um nur einige zu nennen, in den Madison Square Garden in New York geladen. Kris Kristofferson kündigt die Sängerin, wohl bereits Böses ahnend, als „Synonym für Mut und Integrität“ an. Doch es hilft nichts: Sofort ertönen Pfiffe und Buhrufe. Sinéad muss ihren Vortrag unterbrechen, lässt ihr Mikrophon lauter stellen, um den Tumult zu übertönen… und bringt dann mit Ach und Krach ihren kurzen Auftritt zu Ende – zwischendurch lediglich aufgemuntert durch Kris Kristofferson. Als der bei der Veranstaltung angefertigte Mitschnitt veröffentlicht wird, ist der Auftritt von Sinéad O’Connor nicht enthalten.
Zerstörte Karriere? Keinesfalls!
Jahre später wird Sinéad O’Connor sagen: Eine Menge Menschen sähen das Zerreißen des Papstfotos als den Moment an, der ihre Karriere zum Entgleisen gebracht habe. Das Gegenteil sei der Fall. Ihr Erfolgstitel „Nothing Compares 2 U“ habe ihre Karriere entgleisen lassen; das Zerreißen des Papstfotos habe sie wieder auf den richtigen Weg gebracht.
Steiniger Lebensweg
Wie dieser Weg aussah, wusste sie lange selbst nicht. Denn zeitlebens, so scheint es aus der Rückschau, war Sinéad O‘Connor auf der Flucht vor ihren Erlebnissen und auf der Suche nach einem Mehr, was ihr Halt geben konnte. Die Schicksalsschläge in der Kindheit, Schulverweise, Aufenthalte in Erziehungsheimen, das Reiben an der katholischen Kirche – nicht nur Küchenpsychologen erkennen hierin traumatische Erlebnisse. Über Jahre war die Sängerin alkohol- und drogenabhängig, überlebte mehrere Suizidversuche. Viermal flüchtete sich Sinéad in eine Ehe – eine davon mit einem Drogenberater hielt ganze 16 Tage. Mit knapp über 50 Jahren öffnete sie sich einem TV-Psychologen und gewährte ohne Scham Einblick in das Leben einer psychisch Kranken. Im selben Jahr benannte sich Sinéad O’Connor in Magdaa Davitt um – für sie ein wesentlicher Schritt, um sich von ihrer Kindheit und ihren Eltern zu distanzieren und wohl auch um ihre Traumata durch einen symbolischen Akt hinter sich zu lassen.
Kraft durch Glauben und Religion
So unglaublich es auch scheinen mag: In all ihrer Not suchte Sinéad O’Connor zeitlebens Kraft und Stärke in Glauben und Religion. 1999 erklärt sie explizit: Sie glaube an die Kirche. Deshalb wollte sie sich zur Priesterin weihen lassen. Weil die Frauenordination in der katholischen Kirche aber nicht erlaubt wird, wechselte sie zur Latin Tridentine Church, einer Freikirche mit Nähe zum Sektenhaften. Konsequent tritt sie in dieser Lebensphase in Priesterrobe und einem gewaltigen Kreuz um den Hals auf.
2018 konvertierte sie zum Islam, nannte sich von nun an abseits des Bühnenlebens Shuhada Sadaqat. Der lebenslangen Suche hat nun der plötzliche Tod ein Ende bereitet.
Ein letzter Schicksalsschlag
Doch das alles half nicht. Vor rund 1 ½ Jahren verpasste ihr das Schicksal einen letzten Schlag: Sinéads Sohn Shane, gerade 17 Jahre alt, war mehrere Tage vermisst worden. Ahnend, was ihr Sohn vorhatte, twitterte Sineád: „Shane, dein Leben ist kostbar. Gott hat dir nicht umsonst dieses wunderschöne Lächeln in dein wunderschönes Gesicht gemeißelt. Meine Welt würde ohne dich zusammenbrechen. Du bist mein Herz. Bitte halte es nicht vom Schlagen ab. Bitte, tu dir nicht weh.“ Doch vergebens. Shane, der ihr ein und alles war, nahm sich selbst das Leben. „Das ist nicht gut für den Körper und die Seele einer Mutter“, so Sinéad vielsagend in einem späteren Interview.
Eine verstörte Seele, die schreien muss
Was bleibt, sind großartige Songs einer großartigen Sängerin, einer Frau, die ihr Leiden an Gott und der Welt in Songs packte und dadurch zu verarbeiten, aber auch ihre Kritik öffentlich zu machen suchte. Dazu gehören vor allem Sexismus, Missbrauch, Polizeigewalt und das Missbrauchen von Religion zur Unterdrückung von Menschen. Eine Frau, die in ihrer Autobiographie über sich selbst schrieb. „Ich bin nur eine verstörte Seele, die ab und zu in ein Mikro schreien muss.“
Manchmal kann eine verstörte Seele wohl auch ganz leise schreien: So wie Sineád O’Connor in „Nothing Compares 2 U“
Der bei Classic Rock Radio gesendete Beitrag ist eine Kurzfassung dieses Textes.
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