Diez, Karlheinz – Weibischof im Bistum Fulda
Kameras sind unerbittlich. Aber sie zeigen nur das, was „vor den Kulissen“ passiert. Was er mit seinen Gästen „hinter den Kulissen“ und „abseits der Kameras“ erlebt hat, erzählt Moderator Klaus Depta hier. Zum Beispiel mit
Diez, Karlheinz – Weibischof im Bistum Fulda
Wenn man sich im Bischöflichen Generalvikariat in Fulda einmal umhört, fällt eines sofort auf: Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
schätzen ihren Weihbischof Karlheinz Diez. Ein Mann, der, wie auch ich selbst erfahren konnte, gut zuhören kann, der guten Argumenten gegenüber offen ist, der Mut macht und der sich nicht zu schade ist zu sagen: „In diesem und jenem Bereich bin ich kein ausgewiesener Fachmann. Gut, dass ich dafür meine Experten habe. Und von denen lasse ich mich gerne beraten.“ Oder zumindest so ähnlich.
Karlheinz Diez ist eher ein ruhiger Vertreter. Einer, der sich nach vorne drängt, ist er ganz sicher nicht. Was getan muss, muss getan werden. Im Rundfunk eine Ansprache zu halten oder gar vor Fernsehkameras zu agieren, das kann er zweifellos. Aber er reißt sich nicht darum. Das ist nicht ganz sein Ding, sagt er selbst. Und erledigt die ihm gestellten Aufgaben trotzdem mit Bravour.
Eines meiner intensivsten Erlebnisse hatte ich mit Weihbischof Diez Ende Oktober 2014, also ein gutes Jahr nach unserem „Talk am Dom“ bei Hessentag in Kassel. Und wie es der Zufall wollte: Wieder war Kassel der Schauplatz. Am 1. November sollte der ARD-Fernsehgottesdienst aus einer Kirche aus dem Bistum Fulda gesendet werden. Prima hinbekommen hatten das die Planer bei der ARD, hatten – wie man früher bei uns zu Hause zu sagen pflegte – so lange nachgedacht, wie der Übergang von der Tagesschau bis zur Wetterkarte dauert: Ausgerechnet einen Gottesdienst zu Allerheiligen aus Hessen übertragen zu wollen, wo nun mal der Allerheiligentag kein Feiertag ist und der zudem 2014
auch noch auf einen Samstag fällt. Bayern oder Nordrhein-Westfalen wäre jeweils eine intelligentere Wahl gewesen.Für Verantwortliche vor Ort stellt sich dann sofort die Frage: Wie kann es gelingen, Menschen in so großer Zahl zum Gottesdienstbesuch zu bewegen, dass die Reihen gefüllt sind – und zwar nicht von arbeitenden Fernsehleuten, sondern von interessierten, mitfeiernden Gottesdienstbesuchern? Irgendeine Dorfkirche kommt wegen des technischen Aufwandes und des umfangreichen Equipments erst gar nicht in Frage. Etwas Größeres muss es schon sein. Der Fuldaer Dom allerdings würde nicht einmal auch nur halbvoll. Ohnehin bleiben bei einem eher ländlich geprägten Bistum wie dem Bistum Fulda dann eigentlich nur Kassel oder Hanau, die beiden größten Städte, die sich komplett im Bistumsgebiet befinden und in denen entsprechend viele Katholiken leben.
Die Wahl fiel dann tatsächlich auf Kassel. Wegen einer hervorragenden Kirchenmusik. Und wegen Weihbischof Karlheinz Diez. Der hatte nämlich viele, viele Jahre vorher, während seiner Zeit als Kaplan, Pfarrei St. Marien in Kassel gelebt und gearbeitet. Und selbst wenn seitdem etliche Jahre vergangen waren, besucht der Weihbischof seine alte Gemeinde immer wieder, ist dort auch jederzeit gern gesehen. Die Christen dort würden sich freuen, mit ihrem ehemaligen Kaplan an Allerheiligen Gottesdienst zu feiern, so die Annahme. Auch der Weihbischof reagierte erfreut auf die Anfrage. Obwohl: Fernsehen? Vor allem wusste er noch nicht, welche Prozedur an Proben im Vorfeld auf ihn zukommen würde. Und wenn er es gewusst hätte? Dann hätte er ganz gewiss auch seine Zustimmung gegeben. Vielleicht eine Idee weniger euphorisch. Zumal er sich ja ohnehin nicht ins Rampenlicht drängt… siehe oben.
Wie das nun einmal immer so ist: Auch für einen Gottesdienst, der im Fernsehen übertragen wird, gibt es ein Drehbuch. Schließlich muss der Gottesdienst, egal was passiert, genau dann zu ende sein, wenn die Programmzeitschriften sein Ende angekündigt haben. Satt überziehen – das kann nur Gottschalk. Und selbst der mittlerweile nicht mehr. Also wurden Texte geschrieben, verändert, gekürzt, erweitert – das volle Programm. Und dann kam der Tag vor der Übertragung. Und mit ihm die Proben. Jetzt würde sich zeigen, ob alle Vorüberlegungen passten. Und genau das taten sie. Pünktlich auf die Minute würde der Gottesdienst zu ende sein. Falls er am nächsten Tag ein Eigenleben entwickeln sollte, falls die Musiker schneller singen würden, dann würde die Kamera notfalls noch ein paar Sekunden länger auf dem Organisten, dem Chor oder sonst wem bleiben – Hauptsache, der Gottesdienst war nicht zu lang.
Eine einzige Panne gab es dann aber doch. Und zwar schon im Vorfeld, unmittelbar vor der Generalprobe. Leseprobe und Stellprobe waren zur allgemeinen Zufriedenheit verlaufen. Jetzt noch die Generalprobe. Und eine Stunde später würden alle Beteiligten Gewissheit haben, dass sie gut geplant hatten. Wo aber war der Weihbischof? Weg!
Na ja, nicht wirklich. Der Weihbischof hatte seine Leseprobe mit Bravour absolviert, setzte sich in eine Kirchenbank… und wurde von einem älteren Herrn angesprochen. Ein intensives Gespräch, wie man schon nach kurzer Zeit selbst von weitem sah. Der Besucher hatte ganz offensichtlich Kummer, Sorgen und Probleme – da kam ihm der Weihbischof gerade recht, um das alles mal loszuwerden.
„Herr Weihbischof, alle warten mit der Generalprobe auf sie!“
„Ich komme, bin sofort da!“
Natürlich kommt er nicht, kann sich aus dem Gespräch einfach nicht losreißen. Die Mitarbeiter vom Sender wollen irgendwann einmal Feierabend haben. Morgen würde ein spannender Tag kommen, bei dem alle topfit sein müssen, damit auch ja alles klappt.
„Herr Weihbischof, Sie müssten…“
„Ja, ich bin sofort da.“
Der Chor wird unruhig, der Chorleiter schaut auffordernd, die Messdiener, die ja auch an der Generalprobe teilnehmen sollen, beginnen zu zappeln. Und die Musiker, allesamt Profis, haben eine derartige Verzögerung noch nicht erlebt. Zumindest nicht, weil man auf einen einzigen Mann warten muss. Und der Weihbischof? Der bekommt von alldem gar nichts mit. Dem ist der Mann mit seinen Nöten und Sorgen wichtiger als alles andere. Was ich, bei aller organisatorische Not, in die ich nun auch langsam gerate, als unglaublich beeindruckend und richtig empfinde. Irgendwie ganz anders als im Gleichnis vom barmherzigen Samariter, wo alle etwas Wichtigeres zu tun haben, mit ihren Köpfen im Himmel sind und das Elend des Einzelnen nicht sehen. Ja, so müssen Kirchenmänner sein – auch wenn dadurch eine ganze Reihe von Leuten mal warten müssen. Davon geht die Welt nicht unter.
Endlich scheint das Gespräch an sein Ende zu kommen. Schnell zieht der Weihbischof noch sein Portemonnaie, ein paar Geldscheine wechseln ihren Besitzer, über das Gesicht des Besuchers huscht ein zufriedenes Lächeln. Und er gibt den Weihbischof frei.
Auch der lächelt zufrieden:
„Jetzt kann sich der Mann erst einmal etwas zu essen kaufen. Und sich irgendwo einquartieren, damit er heute Nacht einen Platz zum Schlafen hat.“
Auf die Frage, ob er den Mann kennt, schüttelt er nur den Kopf. Das ist ja auch völlig egal. Da war einer in Not. Dem konnte er helfen.
„Ich bin soweit! Wir können anfangen.“
Der Weihbischof klatscht in die Hände.
„Kommen Sie?“
Dieses Mal ist die Frage an mich gerichtet. Ich war wohl kurz in Gedanken versunken. Ja, klar. Ich komme. Schließlich soll die Generalprobe auf keinen Fall durch mich verzögert werden.
„Wenn der das morgen auch so macht, haben wir ein Problem“, sagt ein Kameramann grinsend zu mir.
Keine Angst. Macht er nicht. Morgen nicht. Morgen macht er eine Ausnahme.
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