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Werner Althaus – Gebärdendolmetscher

Kameras sind unerbittlich. Aber sie zeigen nur das, was „vor den Kulissen“ passiert. Was er mit seinen Gästen „hinter den Kulissen“ und „abseits der Kameras“ erlebt hat, erzählt Moderator Klaus Depta hier. Zum Beispiel mit Gebärdendolmetscher Werner Althaus.

Meine erste sehr konkrete Begegnung mit blinden Menschen hatte ich aufgrund eines Radiobeitrags, den ich machen wollte: In Steinbach bei Hilders (Rhön) unterhält die Caritas ein Heim für taube und blinde Menschen. Was bedeutet: Hier leben Menschen, die nur stark eingeschränkt bis gar nicht sehen, nur eingeschränkt bis gar nicht hören können. Im schlimmsten Fall sogar beides. Im Heim erfuhr ich, wie sich Blinde verständigen, wie sich Taube trotz fehlenden Gehörs morgens von einem Wecker wecken lassen und die Türklingel wahrnehmen können. Details finden Sie im „Talk am Dom“-Video unterhalb dieses Textes.

Durch die Recherche für meinen Radiobeitrag war ich sensibilisiert für blinde Menschen. Vielleicht fiel mir deshalb beim nächsten Bonifatiusfest in Fulda der Gebärdendolmetscher auf, der auf dem Domplatz die verschiedenen Ansprachen „übersetzte“: Werner Althaus. Wie ich später feststellen konnte, ein liebenswürdiger, freundlicher und äußerst engagierter Mann, der fast nicht aus der Ruhe zu bringen ist. Für die Caritas in Fulda engagiert er sich für Gehörlose und Hörgeschädigte. Dieses Engagement bezieht sich nicht nur auf die direkt Betroffenen, sondern auch auf deren Angehörige und Personen aus dem Umfeld. Denn die Probleme, die im Rahmen einer schweren Hörschädigung oder völligen Ertaubung entstehen, können gewaltig sein. Wer zum ersten Mal damit konfrontiert wird, kann sich schnell im Umgang mit Behörden und Arbeitgebern vor scheinbar unüberwindbaren Hürden sehen. Hier können Werner Althaus und seine Kollegen unterstützen, bieten zudem auch

individuelle Hilfen bis hin zur psychosozialen Beratung an. Dazu gehört auch, dass Angehörige und Betroffene die Gebärdensprache erlernen, um sich so zu verständigen und damit einen Weg aus ihrer Isolation zu erlangen.

Was mich zurück zum Taub-Blindenheim in die Rhön führt: Als Reflex auf meinen Radiobeitrag erreichte mich die Anfrage, ob ich mir vorstellen könnte, für die Bewohner des Heimes aus einem meiner Bücher zu lesen. Man bemühe sich immer um ein kleines Programm für die Heimbewohner, fände aber nur selten Personen, die sich bereiterklärten mitzuwirken.
Einige Wochen später war es dann soweit. Während ich las, stand neben mir der Gebärdendolmetscher, der für die tauben, aber sehenden Menschen meine Texte übersetzte. Neben jedem völlig erblindeten und tauben Menschen saß wiederum ein „Übersetzer“, der ihm meine Texte quasi in die Hand schrieb. Grundlage dafür ist – zumindest in Deutschland, Tschechien und den Niederlanden – Lormen. Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich um ein Alphabet, bei dem derjenige, der gerade „spricht“, einzelne Punkte an den Fingern und bestimmten Handpartien des „Hörenden“ berührt. Jeder dieser Punkte steht stellvertretend für einen einzelnen Buchstaben. Namensgeber ist Heinrich Landesmann, der unter dem Pseudonym Hieronymus Lorm als Schriftsteller arbeitete und dieses System im 19. Jahrhundert für den eigenen Gebrauch entwickelte. So konnte sich Lorm mit seiner Familie, die dieses System ebenfalls beherrschte, verständigen – und die gehörlosen Menschen im Taub-Blindenheim konnten meine Texte miterleben. Je mehr ich darüber nachdachte, dass ich ja in ganzen Sätzen las, die Dolmetscher aber immer nur einzelne Buchstaben „in die Hand schrieben“, desto mehr wuchs mein Respekt vor der kognitiven Leistung der „Sprechenden“ und „Hörenden“, wenngleich mir auch klar wurde, dass nur Fragmente übersetzt werden konnten. Dafür enthält eine Lesung viel zu viele Wörter.
Kleine Randnotiz: Nach meiner Lesung wurde ich gefragt, ob ich damit einverstanden wäre, dass mich die blinden Menschen nun näher kennenlernten. Ja, natürlich. In den nächsten Minuten wurde mir eindrücklich klar, wie eng das tatsächliche Begreifen mit der Hand von Bart, Nase, Mund, Haaren etc. mit dem Begreifen, dem Verstehen im Kopf zusammenhängt…

Werner Althaus war genau der richtige Mann, um auf die Schwierigkeiten von tauben und blinden Menschen vor laufender Kamera und vor Live-Publikum souverän und nachvollziehbar aufmerksam zu machen und für ihre Anliegen eine Lanze zu brechen. Das Live-Publikum lauschte fasziniert seinen Ausführungen, wie Blinde und Gehörlose trotz aller Probleme kommunizieren und mit welchen Hilfsmitteln sie den Problemen des Alltags begegnen.

Als Verantwortlicher für die Veranstaltung bedauere ich im Nachhinein allerdings zwei Dinge:
Erstens hätten wir gerade für diesen Talk eine Gebärdendolmetscherin oder einen Gebärdendolmetscher hinzuziehen müssen, der zeitgleich unser Gespräch in Gebärdensprache übersetzt. Das hätte die Zielsetzung des Talks unterstrichen, wäre zudem für alle Betroffenen live vor Ort oder später an den Bildschirmen und Monitoren eine Hilfe gewesen. Dass wir mit einem Team von Ehrenamtlichen hinter den Kameras damit vermutlich technisch überfordert gewesen wären, mag sein, wäre aber eine Ausrede. Denn wir sind nicht einmal auf die Idee gekommen, was im Nachhinein mehr als ärgerlich ist.
Das Zweite: Für „Talk am Dom“ gab es zwar (fast) immer ein Vorgespräch, um dann auch während der Veranstaltung die Besonderheiten des jeweiligen Gastes herauskitzeln zu können – es gab aber nie ein Drehbuch. Bei den ersten Veranstaltungen fuhr unser „Regisseur/Produzent“ – wie auch unsere Kameraleute ein (im positiven Sinne) Amateur, kein Profi – die Signale der einzelnen Kameras live zum endgültigen Fernsehbild zusammen. Beim Auftritt von Werner Althaus führte das dazu, dass seine Begrüßung, die er in Gebärdensprache durchführte, im späteren Fernsehbild leider nicht zu sehen ist, stattdessen für den Fernsehzuschauer eine unerklärliche Pause entsteht. Unser „Regisseur/Produzent“ hätte eine Kristallkugel gebraucht, um diese spontane Reaktion vorherzusehen. Schade, schade!
Als Konsequenz war dies der letzte Talk am Dom, dessen Kamerabilder live zusammengefahren wurden. Danach nahm jede Kamera die komplette Veranstaltung auf. Im Studio schnitt dann ein Mitarbeiter nach der Veranstaltung die Bilder von drei, später vier Kameras mühsam zusammen.

Trotzdem: In Sinne von tauben und blinden Menschen war die Teilnahme eines engagierten Werner Althaus bei „Talk am Dom“ ein Gewinn. Sehen Sie selbst:

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