Pflegeversicherung beschlossen (1994) (29. April)
Bismarck ist schuld! Der ehemalige Reichskanzler Otto von Bismarck hat das uns allen eingebrockt: dass wir nämlich Steuern zahlen und Steuern zahlen, nur damit unsere Sozialsysteme am Laufen bleiben. Und wissen Sie was? Das ist auch gut so! Denn ohne den umsichtigen Reichskanzler hätten wir vieles nicht, um das uns heute die meisten Menschen dieser Welt beneiden. Auch wenn uns manche Medienberichte zweifeln lassen: In Deutschland ist das soziale Netz
besser gewoben als irgendwo anders auf der Welt. Eines der großen Verdienste des alten Bismarcks.
Denn vor rund 150 Jahren gab es noch keinerlei soziale Absicherungen. Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung? Ohne den einstigen Ministerpräsidenten von Preußen gäbe es das Sozialversicherungssystem wahrscheinlich nicht. Oder zumindest nicht in dieser Form! Daran muss ich ausgerechnet heute denken. Denn heute feiert die bislang letzte Auswirkung dessen, was der olle Bismarck seinerzeit anstieß, Geburtstag. Kein runder Geburtstag, aber immerhin: Heute vor 27 Jahren, also am 29. April 1994, war das Gesetz zur Pflegeversicherung unter Dach und Fach. In Kraft trat sie zum nächsten Jahreswechsel.
Auch wenn sich in letzter Zeit Zweifel mehren: Was wir machen, das machen wir gründlich! Bereits 1981 hatte die „48. Gesundheitsministerkonferenz der Länder“ – ja, auch sperrige Namen können wir – darüber beraten, wie – Achtung, jetzt kommt schon wieder so ein Beamtendeutsch – der „Aufbau und die Finanzierung ambulanter und stationärer Pflegedienste“ zu realisieren seien. Danach gab es ein parlamentarisches Tauziehen, wie man es sich außerhalb der Politik kaum vorstellen kann. Vorschläge, Anträge, Weiterleitung an den Vermittlungsausschuss, Änderungsanträge zum Vorschlag des Vermittlungsausschlusses, erneutes Anrufen des Vermittlungsausschlusses, Vorlage im Bundestag, Vorlage im Bundesrat – mehr Details ersparen wir uns.
Damals, als über die Pflegeversicherung debattiert wurde, waren viele skeptisch: noch mehr Geld, das den Bürgern aus der Tasche gezogen wird. Noch mehr Belastungen für die Arbeitgeber! Deshalb bestimmte auch das Stichwort vom „sozialen Umbau statt Ausbau“ lange die Diskussion. Was am Ende bedeutet: Zwar beteiligen sich auch die Arbeitgeber an den zusätzlichen Kosten für die neue Sozialversicherung – als Ausgleich aber
wurde ein ehemals bezahlter Feiertag gestrichen und zum ganz normalen Arbeitstag. Getroffen hat es den Buß- und Bettag. Nur in Sachsen freuen sich die Bewohner über einen weiterhin arbeitsfreien Tag. Konsequent bleiben natürlich auch die Geschäfte geschlossen.
Heute hat sich die Einsicht durchgesetzt: Immer mehr Menschen werden im Alter pflegebedürftig. Und immer mehr Menschen fehlt das Geld, mit dem sie sich im Alter eine angemessene Versorgung leisten könnten. Gut also, dass es die Pflegeversicherung gibt ihre Pflege und Versorgung nicht ausschließlich vom Sozialamt leben müssen. Dass Kinder für ihre Eltern aufkommen, für sie sorgen, sich um sie kümmern, ist längst nicht mehr selbstverständlich.
„Du sollst Vater und Mutter ehren“ – im alten Israel galt so ein Satz unumstößlich, manifestierte sich in den Zehn Geboten. Wenn Sie so wollen ist das die Urformel für das, was wir später „Generationenvertrag“ nennen. Wer nicht für seine Eltern, für die Alten sorgte, stellte sich außerhalb der Gesellschaft. Und um sich selbst abzusichern, hatten die Eltern Kinder über Kinder. Das alles ist heute anders, zumindest bei uns. Nicht besser oder schlechter, sondern anders. Trotz des einen oder anderen Mangels ist es gut, dass es die Pflegeversicherung gibt. Dankbar sein können wir dafür dem damaligen Arbeits- und Sozialminister Norbert „Die-Rente-ist-sicher“ Blüm und seinem Staatssekretär Karl Jung. Da sie gern als „Vater der Pflegeversicherung“ bezeichnet werden, gebührt dem ollen Bismarck zumindest das Prädikat „Großvater der Pflegeversicherung“. Wer weiß, wo wir ohne seine Ideen gelandet wären.
Die moralische Verpflichtung, Vater und Mutter zu ehren, sprich: sich um sie zu kümmern, ist dadurch aber noch lange nicht aufgehoben!
Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.
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