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Aufbruchstimmung: Jetzt wird alles besser: Gurudeb Rabindranath Tagore (7. Mai)

Endlich mal eine gute Nachricht! Und dazu braucht es einen Dichter, Philosophen und Musiker aus Indien. Name: Rabindranath Tagore. Ort: Universität Berlin. Dort hält Tagore eine begeisternde Lesung zur Erneuerung der Menschen aus dem Geist. Vor allem aber ruft er zu universaler Bruderliebe auf. In Ostasien, in den USA, in vielen Ländern Europas, auch bei uns, wie gesagt:

in Berlin. Eine frohe Botschaft in einer Welt, die von Krieg, Hass und Gewalt gezeichnet ist. Gott-sei-Dank, ein neuer Prophet, einer, der zeigt, wo es lang geht. So und ähnlich heißt es in den Medien. Und Erleichterung macht sich im ganzen Land breit.

Sie haben davon nichts, aber auch gar nichts mitbekommen? Machen Sie sich keine Sorgen. Das ist nämlich kein Wunder! Denn die ganze Angelegenheit ist 100 Jahre her, passierte 1921. Damals, nach dem 1. Weltkrieg, war Deutschland süchtig nach guten Nachrichten. Und nahm sie bereitwillig auf von einem, der ein paar Jahre zuvor den Nobelpreis für Literatur erhalten hatte.

Der Reformer

Das alles aus gutem Grund: Wie kein Zweiter wandte sich Tagore gegen die strikte Struktur und gegen die klassische Formensprache der Kunst seiner Heimat und modernisierte sie, hob sie auf einen neuen Stand. Das Alte hinter sich lassen, zu neuen Ufern aufbrechen – das wollte dieser schier unglaubliche Mensch: ein Maler, Komponist und Musiker, ein Dichter und ein Philosoph – alles in einer Person. Ja, der Mann war ein Universalgenie, wurde als engagierter Kultur- und Sozialreformer gefeiert. Und erhielt zu Recht 1913 als erster Asiate einen Nobelpreis. Die Inder brauchten übrigens keinen Nobelpreis, um ihn zu feiern. Sie nannten ihn einfach Gurudeb – ein Ehrentitel, der die Elemente von Guru und Deva in sich vereinigt. Und der allein dadurch deutlich macht, wie hoch angesehen ein Mensch ist, der so genannt wird.


Damals, unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, waren die Menschen süchtig nach guten Nachrichten. Süchtig nach neuen Wegen. Süchtig nach Personen, die ihnen den Weg aus Schutt und Asche, den Weg hin zu Frieden und Glück zeigten.

Divide et impera

Genutzt allerdings hat es wenig. Auch wir heute sind süchtig nach guten Nachrichten. Oder soll ich besser sagen: „immer noch“? Auch heute gibt es in unserer Welt Krieg, Hass und Gewalt. Gibt es Menschen, die ihre Macht dazu nutzen, sich persönlich zu bereichern, und zwar auf Kosten anderer. Gibt es Menschen, die spalten, so wie es die alten Römer taten: Divide et impera – Spalte und beherrsche deine geschwächten, gespaltenen Gegner umso leichter. Es gibt genügend Analysten, die genauso die Politik eines Donald Trump erklären. Und die Einflussnahmen auf Wahlen in den USA seitens Russlands. Und und und. Selbst der Brexit könnte so eine sinnvolle Erklärung bekommen: Sowohl die Überreste eines früheren Weltreiches wie auch ein durch den Austritt des United Kingdom geschwächtes Europa verlieren auf internationalem Terrain an Einfluss. Gehen sie getrennte Wege, sind sie leichtere Gegenspieler im politischen Geschäft. Von Hausmacht sprach man früher bei Institutionen. Und meinte damit eine Macht, die auf Personen, auf Verbündeten basierte, zu denen man unverbrüchliches Vertrauen haben konnte. Mit deren Hilfe man seine politischen und wirtschaftlichen Ziele verfolgen konnte. Und zwar erfolgreich.

Aber müssen wir überhaupt so weit gehen? Ist es nicht in Beziehungen, in Familien ähnlich? Sicherlich gibt es gute Gründe, warum Menschen heute mehr als früher ihren eigenen Weg gehen. Was aber auch bedeutet, dass sie auch auf sich allein gestellt sind. Und sich im Notfall nicht mehr auf die Familie verlassen können, sondern sich auf die Hilfsinstitutionen des Staates verlassen müssen. Oder andersherum: Es ist lange bekannt, dass eine Wildgans, die in der Gruppe fliegt, weitaus größere Strecken zurücklegen kann als eine Wildgans, die allein fliegt. Irgendwie einfach, irgendwie logisch.

Einstein und der Wahnsinn

So gut, so bewegend Rabindranath Tagore war: Wirklich verändert hat er am Verlauf der Welt nichts. Auch wir heute brauchen keine neuen Propheten. Die, die als „Propheten“, als starke Menschen in ihren jeweiligen Staaten auftreten, bereiten schon genug Probleme. Und vielfach ihren eigenen Leuten auch. Französische und britische Kriegsschiffe vor Jersey? Die einen wollen die anderen nicht fischen lassen, die anderen wollen ihnen dafür den Strom abdrehen? Wie kleinkariert, wie egoistisch, dumm und anachronistisch ist das? Druck, Ultimaten, Gewalt haben schon immer eines erzeugt: Gegengewalt. Ja, manchmal zucken die Anderen zurück. Zumindest für den Moment. Um sich dann irgendwann für die erlittene Schmach zu revanchieren. Es dem Anderen heimzuzahlen. Albert Einstein hat es als Wahnsinn bezeichnet, immer das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten. Davon müssen wir wegkommen. Endgültig.

Seit Jahrtausenden hat die Menschheit erfahren: Gewalt ist nicht durch Gegengewalt aus der Welt zu schaffen, Unrecht nicht durch eine „passende Bosheit“. Es dennoch immer wieder zu versuchen und dabei ein anderes Ergebnis zu erwarten, ist im Sinne Einsteins Wahnsinn. Es wird wieder und wieder zum selben Ergebnis kommen. Wenigstens das hätten wir modernen Menschen aus der Geschichte der Menschheit lernen können.

Paradigmenwechsel schon in der Bibel: Überraschung statt Vergeltung

Aber umgekehrt wird ein Schuh draus: Eine Chance, die Spirale von Gewalt, Hass, Neid und Missgunst zu verlassen, besteht nur darin, auf die eigentlich erwartete Antwort zu verzichten, stattdessen mit etwas zu reagieren, was den anderen überrascht. „Wenn dir einer auf die linke Wange schlägt, dann halte ihm auch die rechte hin“, heißt es schon in der Bibel. Und: „Wenn jemand von dir verlangt, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm.“ Noch so ein Satz, den wir allerdings kaum noch verstehen. Hinter ihm steht das römische Recht des Siegers: Römische Soldaten konnten als Besatzer des alten Israel verlangen, dass ein beliebig ausgewählter Bürger ihr Gepäck eine Meile für sie zu tragen hatte. Eine Meile, nicht mehr. Aber die musste er!
Der Gedanke, freiwillig eine zweite Meile anzuhängen, ist das Gegenteil von Hass und Vergeltung, ist eine freiwillige Vorleistung. Ein derartiges Verhalten ist so etwas wie eine vertrauensbildende Maßnahme. Eine, die sagt: Schau mal, wir können auch ohne Zwang miteinander, ohne Gewalt, ohne Konfrontation. Und damit fahren wir beide am besten.

Wir zuerst, nach uns die anderen

Das genaue Gegenteil davon geschieht, wenn Regierungschefs sagen: „Mein Land steht an erster Stelle.“ Was heißt das eigentlich? Diese Vorstellung impliziert eine Vormachtstellung zu Lasten und auf Kosten anderer. Wir sind die Besseren. Die anderen sind allenfalls zweitklassig. Wenn sie es selbst nicht merken, dann sorgen wir dafür, dass sie es kapieren. Dummerweise werden sich das die Anderen kaum gefallen lassen abgehängt zu werden, hintanzustehen. Wer um jeden Preis besser sein will als andere, gerade der riskiert den Frieden, das harmonische Miteinander. Noch ein Satz aus der Bibel? Wie wäre es mit dem hier: „Viele aber, die jetzt die Ersten sind, werden dann die Letzten sein, und die Letzten werden die Ersten sein.“ Und das gilt nicht erst in einer anderen Welt, in einem anderen Leben. Das gilt bereits auf dieser Welt. Phönizier, Perser, Meder, Babylonier, Alamiter und viele andere – wer kennt sie noch? Weltreiche kommen und vergehen. Wer heute groß ist, läuft Gefahr, morgen ganz klein zu sein. Auch das lehrt uns die Geschichte.

Kompromisse als Heilsbotschaft

Statt neuer Propheten mit letztlich gar nicht so neuen Programmen brauchen wir etwas Anderes: Pragmatismus und Kompromisse. Wir müssen aufeinander zugehen, Kompromisse schließen, auch mal freiwillig auf den einen oder anderen Vorteil verzichten. Das erhöht die Kompromissbereitschaft des Anderen: Ich springe hier über meinen Schatten, gebe an dieser Stelle nach – das beste Argument, um zu bitten: Gib du bitte an dieser Stelle etwas nach. Dann kommen wir zu einem gemeinsamen, für beide Seiten tragbaren Ergebnis. Dann haben wir beide etwas erreicht.
Natürlich sind Kompromisse und ein gerütteltes Maß an Pragmatismus kein Patentrezept, das garantiert funktioniert. Aber sie sind eine Chance. Vom altbekannten Arsenal der Drohgebärden wissen wir schon, was es auf Dauer bringt: nichts. Zumindest nichts Gutes.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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