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Tag der Arbeit (1. Mai)

USA, 1. Mai 1886: Etwa 400.000 Arbeiter beteiligen sich an einem Streik. Mit ihm wollen sie erreichen, dass die Arbeitszeit maximal acht Stunden am Tag beträgt. Gleich in mehreren großen Städten gehen dafür die Arbeitnehmer auf die Straße. Für die Arbeitgeber und das US-amerikanische Establishment mag das nach einer Art Revolution ausgesehen haben. Denn Streiks sind in den USA erst seit 1935 ausdrücklich erlaubt, vorher illegal. Dementsprechend
prallen zwei Gruppen scheinbar unversöhnlich aufeinander: die, die Beschäftigungsverhältnisse neu regeln wollen, und die, die die bestehenden Zustände aufrechterhalten wollen. In Chicago sind die Auseinandersetzungen besonders massiv. Dort dauern sie selbst am 3. und 4. Mai noch an. Als trauriger Höhepunkt wird am 4. Mai eine Bombe auf Polizisten geworfen, was zu einer weiteren Radikalisierung der Auseinandersetzung führt. Insgesamt sind acht Tote und viele Verletzte, sowohl unter den Streikenden, wie auch unter den Polizisten, zu beklagen. Diese Ereignisse gehen als „Haymarket Riot“ gehen in die Geschichte ein. Und findet Nachfolger: In England streiken Dockarbeiter, im Ruhrgebiet treten Bergarbeiter 1889 in den Ausstand.

Erste Internationale

Bereits 1864 hatten die unterschiedlichsten Gruppen in London die Internationale Arbeiterassoziation gegründet. Ihre Ziele werden später unter dem Stichwort der „Vereinigung des Proletariats“ zusammengefasst. Allerdings ist die Erste Internationale, wie diese Gruppe später auch genannt wird, bereits im Jahr 1876 wieder Geschichte. Doch sie findet eine Nachfolgerorganisation: Mit Blick auf den Sturm auf die Bastille, die am 14. Juli 1789 die vielleicht größte gesellschaftliche Umsturzbewegung aller Zeiten, nämlich die Französische Revolution, auslöst, findet auf den Tag genau 100 Jahre der Zweite Internationale Arbeiterkongress statt.

Zweite Internationale

Konsequent wählen die Organisatoren Paris zu ihrem Tagungsort und kommen dort bis zum 21. Juli zusammen. Ironie des Schicksals: Ausgerechnet die Gastgeber der Ersten Internationale, nämlich die englischen Trade Unions, spalten sich ab und tagen separat. Nach schwierigen Verhandlungen einigen sich die Gründer der Zweiten Internationalen darauf, sich in Zukunft über die Lage der Arbeiter in ihren jeweiligen Ländern zu informieren, den Arbeitsschutz voranzutreiben und vor allem in Gedenken an die Streikenden von 1886 im Folgejahr,

also 1890, eine Internationale Kundgebung durchzuführen. Auf dieser werden die bereits erhobenen Forderungen wiederholt und unterstrichen: eine maximal achtstündige Arbeitszeit pro Tag, bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne.

Vom einmaligen Tag der Arbeit zum alljährlichen gesetzlichen Feiertag

Unter dem Eindruck dieser internationalen Kundgebung beschließt im Oktober 1890 in Deutschland die SPD die Einführung eines Tags der Arbeiterbewegung am 1. Mai. In den nächsten Jahren kommt es in Deutschland am 1. Mai immer wieder zu Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen, auf die die Arbeitgeber mit Aussperrungen und Entlassungen reagieren. Ein geregeltes Streikrecht gibt in Deutschland zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Immerhin einigt sich die Weimarer Nationalversammlung darauf, im Jahr 1919 einmalig (!) einen Feiertag einzuführen, der im Interesse des „Gedanken des Weltfriedens, des Völkerbundes und des internationalen Arbeiterschutzes“ begangen werden soll. Die ehemaligen Freistaaten Braunschweig und Lübeck behielten diesen Feiertag als Einzige auch in den Folgejahren bei. Erst mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 wird der 1. Mai ein staatlicher Feiertag, an dem auch eine Lohnfortzahlung erfolgt. Mit der Gleichschaltung der Gewerkschaften zeigen die Nationalsozialisten, worum es ihnen wirklich geht: nämlich darum, die Arbeiterschaft zu vereinnahmen und vor allem einen im Bewusstsein bereits vorhandenen Feiertag für ihre propagandistischen Aufmärsche und Militärparaden umzuwidmen.

Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg führen vor allem östliche Staaten und Diktaturen die Tradition der Aufmärsche und Militärparaden fort. Im Westen versuchen die Gewerkschaften, an die Tradition der Kundgebungen im Sinne der Arbeitnehmer anzuschließen. Dies gelingt in den Nachkriegsjahren sehr gut. Später gelingt es den Gewerkschaften immer weniger, Interessenten für ihre politischen Kundgebungen zu motivieren. Die Gewerkschaften tragen dem Rechnung, indem sie selbst neben den politischen Kundgebungen alle Accessoires eines Familientags – vom Kuchenverkauf bis zur Hüpfburg für Kinder – bereitstellen, was immer mehr Menschen den 1. Mai als willkommenen Feier- und Familientag ansehen. Einen Tag, den man auch ohne Gewerkschaften und politische Kundgebungen feiern kann. Sicherlich mögen hierfür auch eine generelle Verbesserung der Sozialstrukturen in Deutschland, eine schleichende Entpolitisierung der Arbeiterschaft sowie ein genereller Bedeutungsverlust von traditionellen Organisationen wie Gewerkschaften, Parteien, Kirchen etc. hierfür verantwortlich sein.

Tag der Arbeit vs. Frühlingsfest

Möglich aber auch, dass andere kulturelle Einflüsse hierbei eine Rolle spielen: Im Vereinigten Königreich wird zwar auch am 1. Mai der „Tag der Arbeit“ begangen. Allerdings war dieser nie so zentral verwurzelt wie im übrigen Westeuropa. Denn traditionell ist – in Nachfolge des alten Beltane-Festes – der 1. Mai der zentrale Tag für Frühlingsfeste.
Um sich von den gewaltsamen Auseinandersetzungen in Chicago abzusetzen, wird in den USA, aus denen ja das Datum 1. Mai für den „Tag der Arbeit“ überhaupt hervorgehen, der „Labor Day“ am 1. Montag im September begangen, ebenso auch in Kanada. Andere Länder begehen den Tag zudem an weiteren unterschiedlichen Daten.

Tag der Arbeit oder Tag des Krawalls?

Mit zunehmender Entpolitisierung des Maifeiertages wird dieser vor allem in den 1980er und 1990er Jahren zu einem „Tag des Krawalls“: In Hamburg und Berlin wandeln sich Straßenfeste und Demonstrationen linksradikaler und autonomer Gruppen zu Straßenschlachten mit der Polizei. Im Vordergrund scheinen Randale und Plünderungen zu stehen. Zumindest sind ursprüngliche oppositionelle politische Konzepte nicht zuletzt wegen des „Randale-Tourismus“ mittlerweile nur noch schwer bis gar nicht erkennbar. Den Abstand zwischen Arm und Reich zu verringern und bessere Lebensbedingungen für Arbeiter zu schaffen – den Zielen, für die Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und viele andere ihr Leben ließen und die letztlich in den Feiern eines Tags der Arbeit am 1. Mai ihren Niederschlag finden, ist damit sicherlich nicht gedient.
Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Corona-Pandemie dem politischen Bewusstsein des Tags der Arbeit zusetzen wird. Zumindest konnten die politischen Kundgebungen nicht mehr an den unterschiedlichsten Orten stattfinden, sondern lediglich virtuell.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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