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John, Elton – Saturday Night’s Alright For Fighting

Mit sanften, beinahe unsterblichen Balladen wie „Your Song“ (1970), „Tiny Dancer“ (1971), „Rocket Man“ (1972) und „Daniel“ (1973) hatte sich Elton John sein Stammpublikum erspielt. Mit „Crocodile Rock“ (1972) stieg der damals 25jährige Mann aus dem äußersten Nordwesten Londons

Tritt aufs Gaspedal

zwischenzeitlich erfolgreich aufs Gaspedal. Aber was dieser begnadete Musiker dann quasi zwischen den im französischen Schloss Château d’Hérouville aufgenommenen Alben „Honkey Château“ und seinem späteren Klassiker „Goodbye Yellow Brick Road“ als Single veröffentlichte, wirkte nach all den Balladen wie eine Dampframme: „Saturday Night’s Alright For Fighting“ erschien im Juli 1973 und zeigte einen bis dahin völlig unbekannten Elton John. Einen, der so aufgedreht wirkte wie vielleicht nie wieder in seiner mehr als 50 Jahre weiter andauernden Karriere. Als dann im Oktober desselben Jahres das Doppelalbum „Goodbye Yellow Brick Road“ erschien, war die Wirkung noch heftiger: Denn dort eröffnet Elton die vierte Seite des Albums mit dem Rockstück „Your Sister Can’t Twist (But She Can Rock ’n Roll)“, das wirkt, als wolle er sich für das danach folgende „Saturday Night’s Alright For Fighting“ erst einmal warmlaufen.

Schwere Kindheit

Elton John – was ist nicht schon alles über ihn geschrieben worden. Dass er als Reginald Kenneth Dwight geboren wurde, ist bekannt. Dass seine Kindheit problematisch war, weiß jeder, der das 2019 erschienene, sehr zu empfehlende Biopic „Rocketman“ gesehen hat. Im Elternhaus ein mehr oder weniger verkanntes Genie, dass – gerade mal elfjährig – ein Klavierstipendium an der Royal Academy of Music erhielt. Reginald Kenneth Dwight – ein Musikgenie, das 1967 per Stellenanzeige im Musikmagazin Liberty Records einen Texter für seine Musik sucht:

Glücksgriff Bernie Taupin

Die genialste Songwriter-Partnerschaft seit Lennon/McCartney wird durch einen Verlagsangestellten besiegelt, der Reginald und Bernie Taupin zusammenbringt. Allerdings kehrt sich die Reihenfolge um: Zuerst liefert Taupin bündelweise Texte, dann schreibt Reginald die passenden Melodien dazu. Worum es in den Texten geht, ist ihm ziemlich egal. Manche Chronisten behaupten wohlmeinend, er glaube, Bernie schreibe über ihn. Möglich aber auch, dass es ihn einfach nicht interessierte. Wie auch immer: Der geniale Musiker gilt schnell als Exzentriker, der sich einen eigenen Dichter hält.

Bluesology = Elton + John

Um seine Karriere zu befördern, verpasst sich Reginald Kenneth Dwight offiziell den Künstlernamen Elton John: Als Mitglied der britischen R&B-Gruppe „Bluesology“ bewunderte Reginald seinen Kollegen und Saxophonisten Elton Dean. „Bluesology“ traten mehrere Jahre als Backing Band des ebenfalls britischen R&B-Sängers Long John Baldry in Erscheinung. Aus beiden Namen zieht er seinen Künstlernamen zusammen. Als Elton John will er den mehr oder weniger verhassten Vornamen Reg, vor allem aber die damit verbundenen quälenden Erinnerungen an seine Kindheit hinter sich lassen.

Hercules

Ganz nebenbei: Ein zweiter Vorname, nämlich Hercules, umgibt den Sänger scheinbar mit mythologisch-göttlichem Glanz: Denn laut griechischer Mythologie ist Herkules ein Sohn des obersten Gottes Zeus und besitzt übermenschliche Kräfte. Die Wahrheit allerdings ist weitaus banaler: Zwischen 1962 und 1974 flimmerte im UK mit „Steptoe and Son“ eine frühe Sitcom über einen Vater und seinen Sohn, zwei Lumpensammler, über die Bildschirme. Elton war wohl Fan dieser Serie und adaptierte den Namen einer weiteren Hauptfigur: „Hercules“. Das allerdings war das Pferd der Lumpensammler…

Rocketman

Im Juni 1969 erscheint Elton Johns erstes Album „Empty Sky“, allerdings nur in Europa. In den USA muss sich der Sänger und Pianist bis zum Frühjahr 1970 gedulden: Mit seinem in Europa zweiten, in den USA ersten Album, schlicht betitelt als „Elton John“ im Gepäck tritt der Musiker im August 1970 in Los Angeles auf, und zwar im Club Troubadour. Bereits nach dem ersten Auftritt vergöttert ihn die Presse und macht ihn zum Star.

Rocketman“ zeigt eindringlich, wie problematisch der plötzliche Starruhm für den Musiker „aus kleinen Verhältnissen“ ist:

Brille schädigt Augen

Die Brille, die er als Kind lediglich trug, um seinem Idol Buddy Holly ähnlicher zu sehen, schädigt seine Augen so sehr, dass er später tatsächlich eine Brille benötigt;
schon mit 21 Jahren soll Elton John einen halbherzigen Selbstmordversuch unternommen haben – den Kopf auf einem Kissen im Gasofen, allerdings bei wohl absichtlich geöffnetem Zimmerfenster;

Ehe mit deutscher Tontechnikerin

1984 heiratete Elton John die deutsche Tontechnikerin Renate Blauel, letztlich um Ruhe vor seinen Eltern zu haben, die ihn immer wieder wegen seiner Homosexualität unter Druck setzten. Die Ehe wurde 1988 wieder geschieden.

Drogen

Drogen führen ihn später an den Rand des Wahnsinns;
innerhalb von 21 Monaten hatte Elton John sehr zum Leidwesen seines ehemaligen Managers satte 293.000 Pfund für Blumen ausgegeben. Er möge Blumen, gab der Musiker vor Gericht zu Protokoll, als ihn der Ex-Manager deswegen verklagte;
die Idee, in ständig abgedrehterem Outfit auf die Bühne zu kommen, wird zur Sucht – eine Sucht, die 1988 rund acht Millionen Dollar einbringt. Denn in diesem Jahr verkauft Elton John rund 2.000 Kostüme und sonstige Gegenstände aus seinem Privatbesitz, darunter auch die Stiefel, die er 1975 in seiner Filmrolle als „Pinball Wizard“ im Who-Rockmusical „Tommy“ trug und sich als Teil seiner Gage ausbedungen hatte.

Unbrauchbares Equipment auf Jamaika

Doch zurück zu „Saturday Night’s Alright For Fighting“: Anfang der 1970er Jahre nahmen verschiedene britische Bands ihre Alben „weit weg von der Heimat“ in wärmeren Gefilden auf: So hatten die Rolling Stones ihr „Goats Head Soup“, immerhin mit dem Klassiker „Angie“, auf Jamaika aufgenommen, Paul McCartney und seine Wings nahmen ihr „Band On The Run“ im nigerianischen Lagos auf. Für „Goodbye Yellow Brick Road“ erhofften sich Elton John und Co entspannte Aufnahmesessions ebenfalls auf Jamaika. Das Gegenteil war der Fall: Lediglich eine erste Fassung von „Saturday Night’s Alright For Fighting“ entstand dort – das Equipment war einfach nicht brauchbar. Alles habe wie aus einem alten Transistorradio geklungen, erinnerte sich Elton John später.

Schlechte Vibes

Hinzu kam, dass die Elton mit seiner Entourage wohl am Abend nach dem Box-Weltmeisterschaftskampf zwischen George Foreman und Joe Frazier auf Jamaika ankam und die aufgewühlte Stimmung vor Ort als bedrohlich wahrnahm. Nach den wenig zufriedenstellenden Aufnahmen von „Saturday Night’s Alright For Fighting“ beschloss man, erneut nach Frankreich ins Château d’Hérouville zu gehen und dort das gesamte Album „Goodbye Yellow Brick Road“ einzuspielen.

Schwieriges Stück

„Saturday Night’s Alright For Fighting“ sei schwer aufzunehmen, so Elton John später, der das Stück zudem als „keine typische Klaviernummer“ bezeichnete. Entgegen der üblichen Aufnahmeweise stand er bei der Aufnahme am Klavier und hämmerte mit einer Rasanz in die Tasten, die an Jerry Lee Lewis erinnerte.

Davey Johnstones Gitarre

Der schnelle Rhythmus, die vom langjährigen Mitglied der Elton John-Band, Davey Johnstone, eingespielte treibende Gitarre sowie Eltons furioser Gesang machen das Stück zu einem großartigen Rocksong. Einer, der das Lebensgefühl junger Menschen im UK der 1960er, 1970er Jahre bestens beschreibt:

Lebensgefühl der 1960er/70er

„Es ist schon spät! Hast du meine Freunde gesehen?
Ma, gib mir Bescheid, wenn die Jungs hier sind.
Es ist sieben Uhr und ich will loslegen,
will mir den Bauch mit Bier vollschlagen.
Mein alter Herr ist betrunkener als ein Fass voller Affen
und meiner alten Dame ist es egal.
Meine Schwester sieht süß aus mit ihren Zahnspangen, den Stiefeln
Und einer Handvoll Fett in ihrem Haar
Oh, kommt mit deinem Ärger rüber.
Wir haben die Nase voll von deiner Disziplin.
Oh, Samstagabend ist gut zum Streiten!“

Song über Taupins Jugend

Bei kaum einem Song des Megastars wird deutlicher, dass sein Texter Bernie Taupin hier über sich selbst schreibt. Im Song erinnert sich der Dichter an seine mehr oder weniger unrühmliche Vergangenheit als Teenager in Market Rasen, Linconshire, bei in der sich die Samstagabende vielfach im Aston Arms, einem traditionellen Pub abspielten.

„Ein bisschen Action muss sein!
Seid so geölt wie ein Dieselzug!
Wir werden diesen Tanz in Brand setzen!
Denn die Samstagnacht ist die Nacht, die ich mag.
Nun, sie sind heute Abend ziemlich dicht gedrängt hier drin.
Ich suche nach einem Püppchen, das mich richtig einschätzt.
Da werde ich vielleicht ein paar Muskeln einsetzen müssen,
um zu bekommen, was ich brauche.
Ich trinke vielleicht ein wenig und rufe: Sie gehört zu mir!“

Wie in West Side Story, Quadrophenia, The Wanderers und The Warriors

Was heute überzogen klingt, war damals gang und gäbe – übrigens nicht nur in englischen Städten. Jugendliche schlossen sich zu Straßengangs zusammen bereits mit dem Ziel, auf andere Jugendliche loszugehen. Mods, Teds, Punks, Popper, Rocker und die damals noch unpolitischen Skins – die Straßenkämpfe zwischen ihnen waren so verbreitet, dass auch The Who in ihrer Rockoper „Quadrophenia“ davon erzählen, heute noch besonders plastisch nachzusehen in deren „Verfilmung“. Oder ebenso eindrücklich in US-amerikanischen Filmen wie „The Warriors“, „The Wanderers“ und – nach dem Musical von Leonard Bernstein – der „West Side Story“.

Schlägereien und Wir-Gefühl

Bomberjacken, die mit Fett hochgedrehte Haartolle, Parkas, Kutten, einfache Lederjacken und vor allem jede Menge Testosteron verrieten die Zugehörigkeit zur jeweiligen Gang, von denen es übrigens auch reine Frauengangs gab. (Soviel zum Thema „Testosteron“…) Jede Gang einte dasselbe: die Bereitschaft zur Gewalt, das extrem ausgeprägte Wir-Gefühl, ein hohes Maß an Loyalität innerhalb der eigenen Gang bis hin zu einem klaren Ehrencodex, der die eigene Gang zu einer Art Ersatzfamilie werden ließ. Blutige Nasen und auch schon einmal gebrochene Knochen gab es damals häufig. Tote so gut wie nie – zu dieser Eskalation kam es erst in den 1980ern

Arbeiterklasse

Ausgehen, sich betrinken, kämpfen – davon ist viel in „Saturday Night’s Alright For Fighting“ zu hören.

„Ein paar der Geräusche, die ich wirklich mag
sind die Geräusche eines Springmessers und eines Motorrads.“

Schwerwiegend das beinahe schon selbstzufriedene Urteil:

„Ich bin ein jugendliches Produkt der Arbeiterklasse.“

Die Eltern müssen den ganzen Tag über im Betrieb funktionieren, kommen mit dem kargen Lohn kaum über die Runden, erleben ihr Leben als hoffnungslos und trinken, um ihr Leben zu vergessen – mit der Konsequenz, dass die Kinder sich selbst überlassen bleiben. Und ihr eigenes Ventil suchen, um ihren Frust loszuwerden.

Mahnmal gegen sinnlose Gewalt

Market Rasen sei immer noch ein eher armseliges Kaff, aber bei weitem nicht mehr so gewalttätig wie früher, resümierte Bernie Taupin später seinen Text. Auch wenn es die Straßengangs der 1970er und 1980er Jahre nicht mehr geben mag, ist dennoch auffällig, dass „Saturday Night’s Alright For Fighting“ bis heute aktuell ist. Ein Mahnmal gegen sinnlose Gewalt, gegen die Verwahrlosung ganzer gesellschaftlicher Gruppen und Schichten, wie wir ihn in wenn auch anderer Form immer mehr auch in unserem Land beklagen. Dabei wird klar: sich betrinken und Gewalt sind keine Lösungen. Auch wenn es manchmal auf den ersten Blick so scheint.

Elton John – „Saturday Night’s Alright For Fighting

Der bei Classic Rock Radio gesendete Beitrag ist eine Kurzfassung dieses Textes.

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