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Bernsteins „Westside Story“ und Santanas „Maria“ – aktueller denn je (26. September)

New York, 26. September 1957: Im Winter Garden Theatre wird ein Musical aufgeführt, dessen Thema – als hätte man es geahnt – das New York der 1950er Jahre ist. Zwei Banden Halbstarker, zu denen man heute Gangs sagen würde, bekriegen sich mit

Sinnloses Morden

unglaublicher Härte und Brutalität. Der Chef der einen, der Sharks, hat eine attraktive Schwester, Maria. Natürlich verliebt sich Maria ausgerechnet in Tony, einen Jungen aus der gegnerischen Gang, den Jets. Klar, dass es kommt, wie es eben kommen muss: Besagter Tony ersticht in – mehr oder weniger – Notwehr ausgerechnet Marias Bruder. Sie ahnen es schon: Natürlich steht Maria zu Tony. Der aber wird, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, seinerseits erschossen. Ein klares Beispiel für die Eskalation von Gewalt: Am Ende steht ein sinnloses Blutvergießen. Sinnlos vor allem, weil man gar nicht mehr weiß, wie überhaupt alles angefangen hat. Eine Spirale, die, hat sie einmal angefangen sich zu drehen, niemals an ein Ende kommt.

Romeo und Julia

Westside Story heißt das Musical, komponiert wurde es von Leonard Bernstein. Die Texte, die den USA der späten 1950er Jahre den Spiegel vorhielten, stammen von Stephen Sondheim, die grundlegende Idee von Jerome Robbins. Der wollte ursprünglich eine moderne Version von Shakespeares Romeo und Julia als Musical auf die Bühne bringen. Und so ganz nebenbei wollte er die Rivalität und Auseinandersetzungen zwischen verarmten osteuropäischen Juden und neu eingewanderten irischen Christen abbilden – eine Idee, die Bernstein ablehnte. Dieses Thema war dem Komponisten mittlerweile zu antiquiert.

Verlagerung der Probleme

Stattdessen verarbeitete Bernstein die in den USA grassierenden ethnischen Konflikte: Die Sharks in seinem Musical waren Neu-Einwanderer aus Puerto Rico bzw. mit puerto-ricanischen Wurzeln, die Jets waren alteingesessene weiße Mittelschichtsamerikaner. Ein Musical, das Rassismus zu seinem Thema machte – das hatten die USA bis dahin noch nicht gesehen. Der Rest der Welt – denn die Westside Story wurde ein Welterfolg – erst recht nicht. Nahezu prophetisch veränderte Bernstein den Arbeitstitel „East Side Story“ in „West Side Story“. So deutete er an, dass die Trennlinie des Rassismus fließend war, sich bewegte, wanderte. Genauso übrigens wie die West Side selbst. Erst später wurden die Bronx, Harlem und Brooklyn zu den Stadtteilen New Yorks, in denen sich hohe Arbeitslosigkeit, Armut, Kriminalität und Rassismus zentrierten wie kaum anderswo.

Der heilsame Engel

Zurück zur Maria des Musicals: Ihre Verzweiflung ist riesengroß. Schließlich sind ihr Bruder und nun auch noch ihr Geliebter tot. Gestorben wegen… ja, weswegen eigentlich? Weil die einen meinen, dass sie wegen ihrer Herkunft etwas Besseres sind als die Anderen? Weil sie sich wegen ihrer Hautfarbe überlegen fühlen? Weil Vorurteile, die eigene Begrenztheit und eigene Ängste zur Ablehnung anderer führen, ja sogar dazu, sie zu bekämpfen? Weil man

einfach nicht bereit ist, seine Position als Platzhirsch aufzugeben, um ein friedliches Miteinander zu ermöglichen? Und weil man auf gar keinen Fall teilen will, Bedürftigen nichts von seinem Reichtum, ja, seinem Überfluss abgeben möchte? Gründe, die bis heute für Rassismus maßgeblich sind. Marias Antwort ist eindeutig: Sie macht den verfeindeten Jugendlichen klar, dass ihr Morden jeglichen Sinns entbehrt. Dass gegenseitiges Bekämpfen wirklich sinnlos ist, dass Gewalt nie aufhört, höchstens schlimmer wird, wenn die Spirale der Gewalt nicht durchbrochen wird. Maria wird zu einem heilsamen Engel.

I have a dream

Sie ist es, die die Jugendlichen miteinander versöhnt und auf eine Zukunft ohne Hass hoffen lässt. Und nicht nur auf eine Zukunft ohne Rassenhass. Ein schöner Traum, möchte man sagen, einer, dem knapp sechs Jahre später Martin Luther King jr. seine Rede „I have a dream“ folgen ließ. Keine weitere fünf Jahre später wurde der fromme Prediger ermordet. Selten haben sich Fanatiker selbst mehr ins Unrecht gesetzt als eben durch die Ermordung eines Mannes, der nichts anderes als einen gewaltlosen Widerstand forderte.

Carlos Santana: Maria

Wie bereits gesagt: Die West Side Story wurde ein Welterfolg. Einer, der nachwirkt. Denn als der Amerikaner Carlos Santana, übrigens mexikanischer Herkunft, 1999 ein Liebeslied über eine Frau schreibt, erinnert diese doch sehr an den Engel in der Westside Story. In Santanas Song heißt es:

„Stoppt das Plündern und das Schießen,
stoppt die Taschendiebe an der Ecke.
Seht, wie die Reichen immer reicher,
die Armen immer ärmer werden.“

Und nur wenig später hört man im Song:

„Ich singe von der Hoffnung;
seht Maria an der Ecke, die überlegt,
wie man es besser machen kann.
Dann blicke ich hinauf zum Himmel
in der Hoffnung auf paradiesische Tage!“

Warum ausgerechnet Maria?

Dass Bernsteins Musical wie auch Santanas Song ausgerechnet eine Frau mit dem Namen Maria zu ihren Hauptfiguren machen, kann ein Zufall sein. Wahrscheinlicher aber ist es, dass sie die Mutter Jesu, die „Friedenskönigin“ im Blick hatten. Ganz sicher ist, dass der religiöse Carlos Santana kurz vor dem Jahrtausendwechsel eine hoffnungsvolle Botschaft in die Welt senden wollte. Die Botschaft, dass Frieden und Gewaltfreiheit möglich sind. Selbst wenn es manchmal eben eines Engels bedarf, der Zeichen setzt, der Menschen aus ihren Verirrungen holen kann. So ein Engel kann jeder sein.

Zurück aus Verirrungen

Und wer weiß: Vielleicht schreibt irgendjemand in ein paar Jahren oder Jahrzehnten, dass Bewegungen wie „Black Lives Matter“ und „Fridays for future“ die Menschheit aus ihren größten Verirrungen zurückgeholt haben dahin, wo nach christlicher Vorstellung alles begann: in einen paradiesischen Zustand, den Santana besingt. Eine Situation, in der alle Menschen friedlich miteinander leben, ohne Hass, ohne Angst um ihr Leben, ohne Not und Leid, ohne Zukunftsangst. Zu wünschen wäre das uns allen und unseren Nachkommen. Ob die Geschichtsschreiber dann eine Beziehung zu Carlos Santana, Martin Luther King jr. und Leonard Bernsteins West Side Story herstellen, wäre dabei sogar nebensächlich. Was zählt, wäre allein das Ergebnis.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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