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Klima heute: Absturz wie Ikarus? Aus Übermut in den Abgrund (13. September)

„Mann, ist der blöd!“ Mein Neffe tippt genervt auf eine Illustration zu einem Text in seinem Lateinbuch, dann schiebt er es energisch an die Seite. „Wie kann man nur so dämlich sein?“ Bitte, wen meint er? „Na, den Ikarus. Fliegt der einfach zu nah an die Sonne. Weiß doch jeder, dass Wachs schmilzt, wenn es warm wird.“

Die Welt verbessern: Kampf gegen das Böse

Ich verstehe: Es geht um den Baumeister Daedalus, der der Sage nach mit seinem Sohn Ikarus gefangen genommen wurde. Und plötzlich wird mein eigener Lateinunterricht wieder lebendig. Schemenhaft erinnere ich mich an die klassische Bildung, die ich ausschnittsweise beim Lesen und dem qualvollen Übersetzen lateinischer Texte erfahren habe. Wie war das noch gleich? Theseus war nach Kreta gekommen, um den Minotaurus zu töten – jenes Wesen mit Stierkopf, aber menschlichem Körper, das in einem Labyrinth versteckt lebte. Lieblingsspeise dieser Chimäre: junge Frauen und Männer, die man ins Labyrinth hineinführen musste. Erbaut hatte dieses Labyrinth ein gewisser Daedalus. Der wiederum wusste ganz genau: Geht Theseus erst einmal ins Labyrinth hinein, kann er den Minotaurus vielleicht töten. Aber er wird nicht wieder hinausfinden.

Mit Tricks überleben

Also gibt Daedalus der Prinzessin Ariadne einen Tipp: Die wiederum drückt Theseus eine Art Wollknäuel in die Hand. Das soll Theseus abwickeln und am abgerollten Faden wieder aus dem Labyrinth hinausfinden. Ähnlich wie bei Hänsel und Gretel, nur dass die Kinder Brotkrumen ausstreuten, die prompt von den Vögeln weggefressen wurden. Da ist der Wollfaden eine bessere Idee. Und tatsächlich: Theseus bringt den Minotaurus um und gelangt anhand des Wollfadens wieder aus dem Labyrinth. Bei Grimms Märchen würden Ariadne und Theseus jetzt heiraten. Bei den alten Griechen nicht. Da kommt Ariadne mit dem Weingott Dionysos zusammen.

Der Fluch der guten Tat

Was aus Theseus wird, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass Ariadnes Vater, König Minos, den Tod des Minotaurus überhaupt nicht gut fand. Aus Verärgerung setzte er Daedalus und, in bester Form der Sippenhaft, dessen Sohn Ikarus fest. Weil Kreta, wo die ganze Story passierte, nun einmal eine Insel ist und Minos die Schifffahrt kontrollierte, ließ er Vater und Sohn einfach nicht mehr weg. Einen einzigen Ausweg gab es, von der Insel zu entkommen: fliegend!

Aus Selbstüberschätzung zum Absturz

„Bist du noch da?“, unterbricht mein Neffe meinen gedanklichen Ausflug in die klassische Mythologie. Ja, bin ich. Trotzdem jagen mir noch schnell die restlichen Bilder durch den Kopf: dass Daedalus für die gemeinsame Flucht Flügel konstruierte, an die er mit Wachs Vogelfedern klebte. Pattex und Uhu waren ja noch nicht erfunden. Und einen anderen Klebstoff als Wachs hatte Daedalus in der Gefangenschaft nicht. Der Sage nach hielt die ganze Sache, und zwar so gut, dass die beiden sich still und heimlich aus dem Staub machen konnten. Anfangs regelrecht durch die Lüfte entschwebten.

Die ganze Geschichte wäre auch gut ausgegangen, wäre nicht Ikarus aus purer Abenteuerlust zu hoch geflogen. Sein Vater hatte ihn noch eindringlich gewarnt, aber der Bengel konnte ja nicht hören. Als die Sonne das Wachs weich werden ließ, lösten sich die Feder von der Konstruktion. Die Folge: Der übermütige Knabe stürzte ins Meer und ertrank. Wer hoch fliegt, kann eben auch tief fallen.

Die Mahnung der Alten

„Warum stehen solche Storys eigentlich im Lateinbuch“, weckt mich mein Neffe erneut aus meinen Gedanken. Tja, warum eigentlich? Weil nun mal irgendwelche Texte, die in lateinischer Sprache überliefert sind, gut geeignet sind, um heutige Schülerinnen und Schüler zu quälen? Für die Menschen vor rund 2000 Jahren gab es noch einen anderen Grund, diese Geschichten über Generationen weiterzugeben. Die waren ein damals sofort erkennbares Sinnbild für menschliche Selbstüberschätzung, für Hybris, wie die alten Philosophen sagten. Wir heute würden sagen: Wer übertreibt, wer die Bodenhaftung verliert, der fällt eben auf die Nase. Vielleicht nicht sofort. Aber irgendwann. So einfach ist das. Das erzählen die Alten immer wieder. Das ist die Quintessenz beim Turmbau von Babel, bei der Erzählung von der Sintflut und in vielen anderen Untergangsszenarien.

Die Quittung für „moderne Hybris“?

Schon stecke ich mit meinem Neffen in einem intensiven Gespräch über das rücksichtslose Ausbeuten der Erde, über das Klonen von Tieren, über Genmanipulation an Nahrungsmitteln und und und. Noch weiß niemand, ob diese Techniken wirklich zum versprochenen Segen werden oder aber zu einem Fluch. Sind der Rückgang der Artenvielfalt, der rasante Klimawandel, zunehmende Trockenphasen, kolossale Brände und Starkregen erste Anzeichen dafür, dass wir Menschen zu übermütig waren? Dass sich quasi die ersten Federn unserer ach-so-fein-erdachten Weltbild-Konstruktion bereits lösen? Dass wir Menschen in der Praxis vieles längst nicht so im Griff haben, wie es uns die nackte Theorie vorgaukelt? Und dass wir heute kurz davor sind, den eigenen Absturz herbeizuführen, vielleicht schon mittendrin sind? In den alten Texten unserer Vorfahren scheint genau diese Mahnung enthalten zu sein: Wer überheblich und übermütig wird, dabei sogar seine Verantwortung für andere oder für sich selbst vergisst, der…
„Tja“, sagt mein Neffe nachdenklich, „der stürzt genauso ab wie damals der Ikarus!“

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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