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Reif für die Insel – eine kreative Unterrichtsstunde (30. August)

Sechs Monate auf eine tropische Insel, zwölf Kandidaten, aber nur die Hälfte darf tatsächlich hin. Und du bist die Jury!
Thema einer Unterrichtsstunde im Fach Englisch, die eine liebe, sehr engagierte Freundin akribisch geplant und vorbereitet hatte und von der sie nun berichtete. Eine gelungene Stunde, eine Sternstunde, wie sie mit Stolz sagte. Und wie man ihr anmerkte. Nicht nur, weil

In English, please

die Schülerinnen und Schüler nach einem Corona-Schuljahr und langen Sommerferien einen Riesenspaß daran hatten, endlich mal wieder in der Gruppe zu diskutieren. Quasi Auge in Auge. Oder wie die Freundin sagte: „Face to face!“ Englisch eben. Offensichtlich machte es den Schülerinnen und Schülern nicht nur Spaß, sich mit ihren Mitschülern spielerisch zu messen. Ganz offensichtlich tat es ihnen gut, nach längerer Zeit wieder ganz unmittelbar den eigenen Lernzuwachs wahrzunehmen. Alle neuen Vokabeln, die sie vorher per Arbeitsblatt von meiner Freundin erhalten hatten, brachten sie sofort und unmittelbar zur Anwendung. Heftig und intensiv diskutierten sie miteinander, „in English, please“.

Ziele

Was sie besonders motivierte, war das ausgeklügelte Setting: Sie sollten Kandidaten für ein Reality-TV-Programm auswählen. Wer es auf diese Weise auf die Insel schafft, wird Tag und Nacht gefilmt. Big Brother, nicht wirklich neu. Aber sich selbst in die Macher dieses „Fernsehereignisses“ hineinzuversetzen, hatte natürlich einen besonderen Reiz. Klar war von vornherein das Ziel: Die Erlebnisse auf der Insel sollten möglichst viele Zuschauer an den Bildschirm locken.

Winner and Loser

Die Schülerinnen und Schüler begriffen schnell: Anhand von vorbereiteten „Steckbriefen“ fielen unauffällige Kandidaten sofort durchs Raster. Die bringen keine Quote, so die einhellige Meinung. Nominiert werden müssen die sechs Kandidaten, die den meisten Streit versprechen. Entsprechend die Vokabeln, die durch die Luft schwirren: friedlich, ausgleichend, rücksichtsvoll, nachsichtig, kompromissbereit, freundlich, diszipliniert, gutmütig – das waren die Begriffe, die sich bei denen häuften, die es nicht auf die Insel schafften. Bei den Verlierern also.
Die Sieger bekamen ganz andere Attribute: herrschsüchtig, undiszipliniert, arrogant, egoistisch, rücksichtslos, unberechenbar, leicht zu stressen, aggressiv. Lediglich beim Wort „brutal“ war die Meinung der Schülerinnen und Schüler gespalten. Das ging einigen der fiktiven Jury dann doch zu weit. Trotzdem konnten sie sich mühelos auf die sechs Kandidaten für die Insel einigen. Auf die, die den „Reifetest für die Insel“ bestanden hatten.

Wie im richtigen Leben?

An dieser Stelle musste ich meine Freundin unterbrechen: Hatte ich das richtig verstanden? Die Schülerinnen und Schüler sonderten gezielt diejenigen aus, die die besten charakterlichen Eigenschaften mitbrachten? Das waren die Loser? Und die Gewinner des Inselaufenthaltes waren ausgerechnet diejenigen mit den meisten Defiziten? Eine gruselige

Situation, auch wenn sie nur im Rahmen einer Englischstunde stattfand. Aber was ist das für ein schreckliches Lernergebnis?

Wie im richtigen Leben

Ja, ich weiß: Zu meinen größten Defiziten gehört, dass ich zu ungeduldig bin, oft vorschnell dazwischengrätsche. Das wurde mir wieder einmal schonungslos klargemacht. In diesem Fall, als ich das geduldige Lächeln sah, das die Lippen meiner Freundin umspielte. Denn schließlich, so fuhr sie fort, dauerte es nur Sekunden, bis sich die Unzufriedenheit der Schülerinnen und Schüler bahnbrach. So gehe es doch in unserer Gesellschaft ständig zu: dass der Friedfertigere meistens der Dümmere sei, dass Menschlichkeit und friedliches Miteinander geopfert würden. Und dass in der alltäglichen Praxis eben die Aggressivsten und Egoistischen am besten durchkämen. Eben die, die die Ellenbogen am meisten ausfahren und ihre Kontrahenten am aggressivsten abservieren, ja, wegbeißen würden. Dass aber genau das schlecht für eine soziale Gesellschaft sei. Heftig diskutierten das die Schülerinnen und Schüler, brachten immer neue Beispiele aus dem Alltag. Und hielten sich dabei auch immer wieder selbst den Spiegel vor.

Sternstunde

Jetzt verstand ich endlich, warum meine Freundin diese Unterrichtsstunde als Sternstunde bezeichnete: weil sie alle Schülerinnen und Schüler in einer emotionalen Situation zur Beteiligung am Unterricht brachte; weil diese die neuen Vokabeln gebrauchten und einübten; weil die Schülerinnen und Schüler so ganz nebenbei etwas über sich selbst lernten. Und etwas über die Stellschrauben, die unsere Gesellschaft menschlicher machen können.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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