Drücken Sie Enter, um das Ergebnis zu sehen oder Esc um abzubrechen.

Ramstein 1988 und heute (29. August)

Steigende Inzidenz; Chaos in Afghanistan; Massenaufmärsche in den USA gegen Rassismus; Laschet, Scholz, Baerbock oder am Ende vielleicht doch noch Söder mit Habeck; das Klima, das verrücktspielt; und ganz nebenbei die Paralympics – Schlagzeilen und Meldungen gibt es in diesen Tagen wahrlich genug. Da kann es schon einmal passieren, dass ein wichtiges Ereignis aus dem Fokus gerät. Vor allem, wenn es schon lange zurückliegt. Eines, das auf den zweiten Blick sogar mit einer der aktuellen Schlagzeilen zu tun hat.

Afghanen in Ramstein

Dieser Blick geht nach Ramstein, dem Drehkreuz der US-amerikanischen Luftwaffen in Europa. 20.000 Flüchtlinge aus Afghanistan haben die Amerikaner in den letzten Tagen und Wochen nach Ramstein gebracht. Menschen, die Angst, Verzweiflung und Unsicherheit erlebt haben. Die lange darum bangen mussten, ob und wie ihr Leben weitergeht. Menschen, die jetzt, in Ramstein, sicher sind vor Verfolgung, auch vor möglicher Folter und Tod. Sie erleben gerade eine Welle der Hilfsbereitschaft seitens der deutschen Bevölkerung. Die, die mit nichts in die Freiheit entkommen sind und jetzt erst einmal in einem großen Zeltlager ausharren, erhalten aus der Bevölkerung Kleider- und sonstige Sachspenden. Es wirkt gerade so als wolle die Bevölkerung viele, viele Jahre später die Care-Pakete der USA im positiven Sinne vergelten, auf überzeugende Weise „danke“ sagen für die Hilfe, die sie selbst nach dem 2. Weltkrieg erhalten haben. Sie selbst oder ihre Eltern und Großeltern.

Frieden finden

Auch wenn die Flüchtlinge aus Afghanistan jetzt in Sicherheit sind – wie es weitergeht, ist noch lange nicht klar. Klar ist, dass die nächsten Schritte erfolgen müssen. Schließlich leben sie in Zukunft in einem Land mit einer anderen Sprache, einer anderen Kultur und, ja, auch mit einer anderen Religion – egal, ob sie demnächst in unserem Land, irgendwo anders in Westeuropa oder gar in den USA eine dauerhafte Bleibe finden werden. Christen sind für viele Afghanen Ungläubige. Menschen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, sowieso. Damit muss man erst einmal zurechtkommen. Damit müssen sie erst einmal ihren Frieden schließen. Ihren seelischen Frieden.

PTBS – das Kind hat einen Namen

Angesichts massiver PTBS, wie die posttraumatischen Belastungsstörungen mal eben schnell abgekürzt werden, dürfte das schwierig werden. Zumindest schwieriger als die Sprache uns vorgaukelt: Immer, wenn wir unsere Macht nutzen, Dingen einen Namen zu geben, ordnen wir sie uns unter. Das ist wahre Psychologie, die schon die Bibel kennt: Der Mensch gibt den Tieren symbolträchtig ihre Namen. Und macht deutlich: Ich habe die Macht dazu, dich zu benennen. Ich stehe über dir. „PTBS“ – das klingt sogar noch harmloser als der Zungenbrecher des ausgeschriebenen Wortes. Eine Erkrankung, der ich einen Namen geben kann, nehme ich ihren Schrecken. Oft auch den Schrecken des Unbekannten. Ob dies den Afghanen in ihrer augenblicklichen Situation in Ramstein hilft, ist mehr als fraglich.

Erst Volksfest …,

Posttraumatische Belastungsstörungen und Ramstein – damit kommen wir zu dem Ereignis, das angesichts der Schlagzeilen und Meldungen der letzten Tage unter den Tisch fiel. Und zwar gestern. Gestern jährte sich das Unglück von Ramstein. 33 Jahre ist es nun her. Huch, eine Schnapszahl? Grund, einen auszugeben, gibt es allerdings nicht. Auf der US-Militärbasis im pfälzischen Ramstein herrschte damals Volksfeststimmung. Hunderttausende waren an diesem schönen Augusttag auf den Beinen, um die militärische Flugschau der US-Air-Force und ihrer NATO- Verbündeten zu verfolgen. Ein großes deutsch-amerikanisches Volksfest mit Pommes, Burgern und Eis made in USA. Oder zumindest nach original US-amerikanischen Rezepten.

,…dann Inferno

Ein Volksfest, bei dem für viele die abschließende Flugschau nur eine Art Zugabe bildet. Dass in Wirklichkeit die italienische Flugstaffel „Frecce Tricolore“ den eigentlichen Höhepunkt des Tages bildet, ist vielen unklar. Dabei handelt es sich um ein spektakuläres Kunststück: Ein Solopilot

und fünf direkt aufeinander zufliegende Düsenjets sollen sich im Abstand von wenigen Metern und mit 600 Stundenkilometern kreuzen.
Das Kunststück der Flieger endet in einem Inferno: Drei Maschinen kommen sich zu nahe und kollidieren, zwei davon stürzen in einen Wald, die Dritte wird zum Feuerball und rast in die Menschenmenge. Schreckliche Bilanz: 70 Tote und 1500 Verletzte.

PTBS 1988

Und so wird erschreckende Wirklichkeit, wovor Friedensgruppen, die Kirchen und die SPD-Opposition im Bundesland Rheinland-Pfalz gewarnt hatte, was aber als Anti-Amerikanismus abgetan wurde. Den Betroffenen dürfte das egal sein. Sie haben mit dem zu leben, was man Jahre später als PTBS, als posttraumatische Belastungsstörungen bezeichnet und allein durch die Namensgebung irgendwie im Griff zu haben meint. Hat man aber nicht. Die Narben von umherfliegenden Trümmern und Splittern bleiben ein Leben lang, die Brandwunden sowieso. Und auch der Schmerz um Angehörige, die ihr Leben verloren haben. Bilder von Menschen, die als brennende Fackeln umherrannten oder sich am Boden wälzten, die ausbrechende Panik und die erfolgende Massenflucht der Unverletzten werden nie wieder aus dem Kopf verschwinden. Ramstein und PTBS – keine ganz neue Geschichte.

Nie wieder…

Einen qualifizierten seelischen Beistand gibt es damals nicht. Was bleibt, sind Selbsthilfegruppen. Und in vielen Fällen massive Existenzangst. Wer einen jungen Ehepartner verloren hat, bekommt gerade einmal eine monatliche Minirente, die nicht einmal für eine einzige Woche reicht. Juristisch läuft die Aufarbeitung in eine Sackgasse: Zuständig seien laut NATO-Truppenstatut italienische Behörden, heißt es von der deutschen Staatsanwaltschaft. Und die politischen Parteien schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Dass es in Deutschland nie mehr Kunstflugvorführungen geben wird, von Landesvater Bernhard Vogel schnell geäußert, vom Bundestag bestätigt, ist bald schon Makulatur.

…zumindest nicht gleich

Schließlich dürfe man die Streitkräfte nicht verstecken. Ja, der Steuerzahler habe sogar ein Recht darauf, so heißt es. Und keine fünf Jahre später fliegen wieder Kampfflugzeuge in Formation über Ramstein – der Auftakt zu zahllosen Flugschauen im Deutschland der 1990er Jahre. Was in den Überlebenden vor sich geht, wenn sie das über zig Kilometer zu hörende Donnern der Triebwerke wahrnehmen, interessiert niemanden mehr. PTBS – für den Moment eine Schlagzeile wert. Aber auf Dauer?

An-denken gegen das Vergessensein?

Jetzt also wieder PTBS in Ramstein. Aber dieses Mal aus einem anderen Grund. Genauso wie die Flieger selbst: nicht als Attraktion, sondern weil sie Menschenleben retten. Das ist zweifellos eine sehr gute Sache. Eine, bei der die PTBS vielleicht sogar durch die erfahrene Hilfe und Zuwendung an Bedrängnis verliert. Oder zumindest eine Art psychologischen Gegenpart erhält. So wie das Erinnern an die Schrecken der Flugschau von Ramstein 1988 eine Art Gegenpart dazu bilden, mit seinen Erfahrungen, Erlebnissen und physischen wie psychischen Verletzungen leben zu müssen. Vielleicht. Und: hoffentlich wenigstens ein bisschen.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

Kommentare

Hinterlassen Sie ein Kommentar