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Kleider machen Leute – vom BVB zum „gesunden Schulklima“ (2. September)

Die Tochter aufgebretzelt bis zum Anschlag, die Mutter entsetzt. Und dann energisch: „So gehst du mir nicht vor die Tür! Was sollen denn die Nachbarn denken?“ Eine Frage, die in ganz normalen Familien immer wieder vorkommt. Vor allem dann, wenn sich Eltern soviel für ihre Kinder interessieren, dass sie sie begleiten – auch in Fragen ihrer Kleiderwahl.
Allerdings stammen in diesem Fall die beiden Sätzen aus einem Werbespot, den der damalige Werbepartner des Fußballvereins Borussia Dortmund schaltete. Damals ein Spot zum Schmunzeln. Und meines Erachtens nach „ein Spot für die Ewigkeit“. Später mehr dazu.

Kleiderordnung an Schulen

Was damals Thema eines Werbespots war, kam geraume Zeit später in den Schulen an. Dort entbrannte ein heftiger Streit über die Frage, bei welcher Gelegenheit man sich wie kleidet. Vorgelegt hatte eine Schule in Baden-Württemberg, nachgezogen eine in Hamburg. Danach folgten viele andere. Das Ergebnis: bauchfrei und Hot Pants haben im Unterricht nichts verloren. Durchscheinende Blusen erst recht nicht. Und ein zu tiefer Ausschnitt – igittigitt, das geht gar nicht. Wenn sich „junge Damen“ derartig aufbrezeln, kommt das Blut der „pubertierenden Herren“ zu sehr in Wallung. Und das lenkt zweifelsfrei von der Konzentration ab. Zumindest von der Konzentration auf die Unterrichtsinhalte. Was irgendwie einleuchtet.

Individualität vs „gesundes Schulklima“

Insofern standen diejenigen, die eine Einschränkung der Individualität befürchteten, auf verlorenem Posten. Was ist schon Individualität im Vergleich zu einem „gesunden Schulklima“? Nichts. Wenngleich ich mit dem Begriff „gesundes Schulklima“ so meine Probleme habe. Zu oft und zu schnell haben in der Geschichte unseres Landes Menschen ihre persönlichen Moral- und Wertvorstellungen mit dem Begriff „gesund“ verknüpft. Das verhieß selten etwas Gutes. Zumindest nicht für die, die als „ungesund“ ausgesondert und – ich gebrauche einmal ein originales Wort – dementsprechend auch ausgemerzt werden konnten. Alles im Rahmen der Volksgesundheit. Schon wieder ein Begriff, der berechtigt ist, mich aber dennoch einer Gänsehaut eines – in diesem Fall – äußerst ungesunden Schauderns überzieht.

Kleidung als Ausdruck unseres Seins

Lassen wir einmal das Ideologische beiseite: Unsere Kleidung tragen wir nicht zufällig. Auch Kleidung ist ein Kommunikationsmittel. Viele Menschen drücken mit ihr aus, was sie gerne sein möchten. Bewusst oder unbewusst. Tatsächlich geht es also um Werte: Wann ist welche Kleidung passend? Mein Großvater erzählte mir noch, dass es „zu seiner Zeit“ völlig undenkbar gewesen wäre, in Jeans und Pulli ins Theater zu gehen. Da musste es der Sonntagsanzug sein! Mindestens. Für Oma natürlich nicht der Anzug, aber zumindest das kleine Schwarze. Gott sei Dank hat sich das geändert.

Bühnenoutfit auf der Straße?

Wenn ich andererseits an meine wilden MTV-Zeiten zurückdenke und mich weiterhin daran erinnere, dass manch eine meiner Klassenkameradinnen in ähnlich aufreizendem Outfit über die Straße lief, wie manch eine der halbnackten Hüpfdohlen hinter der Mattscheibe – damit hatte ich schon damals meine Probleme. Nicht in dem Sinne wie meine Oma, die damals nur kurz und knapp, dafür aber missbilligend sagte: „Wer zeigt, der lässt!“ Aber für richtig hielt ich ein derartiges Outfit eben auch nicht. Es kommt eben darauf an, wann man ein bestimmtes Kleidungsstück trägt. Alles hat seine Zeit – auch das Tragen eines Kleidungsstücks. Und das mag zu einer Hochzeit etwas anderes sein als auf der Bühne, in der Schule etwas anderes als auf dem Rummel. Kleidung sagt nun einmal etwas aus.

Du siehst etwas, was ich nicht sehe…

Insofern wundere ich mich immer über ein gewaltiges – ich sage einmal bewusst: – Missverständnis: Natürlich trage ich die Kleidung, die mir für mich gefällt; die, von der ich meine, dass sie mir besonders gut steht. Und

die, die meine Vorzüge besonders zur Geltung bringt. Vielleicht auch noch meinen Charakter. Leider habe ich das Pech, dass ich mich in meiner Kleidung nur sehr selten sehe. Stunden vor dem Spiegel zu verbringen oder beim kleinen Zwischenspurt zur nächsten Öffi-Haltestelle mich selbst in den vorbeifliegenden Schaufenstern zu beobachten, habe ich nicht. Andererseits sehen mich aber den gesamten Tag über Menschen. Viele Menschen. Und auf alle übe ich eine Wirkung aus. Hoffentlich eine anziehende, sage ich mal so ganz ungeschützt. Alles so wie in dem alten Kinderreim „Ich sehe was, was du nicht siehst“, nur umgekehrt: „Du siehst etwas, was ich nicht sehe!“

Hingucker

Aufregen kann ich mich über eine Bekannte, die an jedem Tag ein T-Shirt oder Hoodie mit einer Aufschrift trägt. Wenn ich sie anschaue, teilt sie mir durch diese Aufschrift etwas mit. Was das ist, weiß ich erst, wenn ich ihre Botschaft gelesen habe. Was ich dann auch regelmäßig tue. Ein Hingucker eben, der mich zum Hingucken auffordert.
Bis sie sich neulich darüber beklagte, dass sogar ich als Frau ihr nur ständig auf die Titten starre. Hallo? Geht’s noch? Sorry, aber der aufgedruckten Botschaft, die mich zum Lesen einlädt, kann ich mich gar nicht entziehen. Außer dadurch, dass ich mich schnellstens wegdrehe, wenn ich sie nur von weitem kommen sehe. Ob das im Sinne des Erfinders ist?

Individuell und respektvoll

Ich muss mich nicht als graue Maus kleiden. Aber ich glaube, ich sollte zu jeder Zeit genau überlegen, was ich mit meiner Kleidung ausdrücken möchte. Natürlich will ich mit meiner Individualität auffallen, gefallen und mich in Szene setzen. Und mich mit all dem, was ich ausdrücken will, respektiert sehen. Aber trotzdem versuche ich, die Situation zu berücksichtigen, wann und wo ich mich wie kleide. Das bin ich einfach denjenigen, die mich wahrnehmen und wahrnehmen müssen, schuldig. Diesen Respekt bin ich anderen schuldig.

Passende Kleidung zum richtigen Anlass

Auch wenn ich persönlich vielleicht anders ticke: Es gibt Situationen, in denen die passende Kleidung unumgänglich ist. Natürlich wäre es mir am liebsten, wenn eine Personalchefin beim Bewerbungsgespräch sofort meine inneren Werte entdeckt und mich wegen meiner fachlichen Qualitäten einstellt – völlig unbeachtet, in welcher Kleidung ich beim Bewerbungsgespräch erscheine. Leider ist das nicht so. Und das muss ich akzeptieren – oder ich kann mir die Zeit des Bewerbungsgesprächs gleich schenken. Kleider machen eben doch Leute, wenn auch mittlerweile zu einem kleineren Teil als früher.

Und noch einmal Respekt

Und so ganz nebenbei: Natürlich akzeptiere ich es, in einer Kirche meine entblößten Schultern zu bedecken. So wie ich es ebenfalls respektiert habe, meinen Körper vor der Besichtigung einer Moschee mit einer Kleidung zu verhüllen, die ich ansonsten niemals tragen würde. Ich muss mich also entsprechend, ja, passend verhalten.

Kein Gefühl für das Passende

Vielleicht ist das das Problem unserer Zeit: dass die Vorstellungen, wann etwas passend und unpassend ist, immer mehr verschwimmen. Zusammenleben funktioniert aber nur dann reibungslos, wenn man an der einen oder anderen Stelle auf seine Freiheit verzichtet. Denn meine Freiheit endet spätestens da, wo die Freiheit des anderen beginnt. Und das gilt auch bei der Wahl der Kleidung.

Problemlösung á la Werbespot

Der eingangs geschilderte Werbespot übrigens löste damals das Problem auf seine eigene Weise: Da genügte es, dass sich die bis zum geht nicht mehr Tochter noch eine Mütze des schwarz-gelben Ruhrpottvereins aufsetzte. Damit war alles in Ordnung. In den Schulen oder an anderen Orten des „richtigen Lebens“ ist dieses Problem leider nicht ganz so leicht zu lösen. Dazu braucht es auch so etwas wie einer persönlichen Einsicht. Und die kann bei zwei oder mehr Menschen ja durchaus unterschiedlich sein.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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