Drücken Sie Enter, um das Ergebnis zu sehen oder Esc um abzubrechen.

Osbourne, Ozzy – God Only Knows

Die letzten zwei Jahrzehnte sei er ständig stoned und besoffen gewesen. Er erinnere sich zwar noch an Namen und Gesichter, könne die aber nicht mehr miteinander verbinden. Das sagte Ozzy Osbourne in einem Interview. Und das bereits im Jahr 1988.

Neben der Spur

Ein Versehen, wie es später heißt. Denn Ozzy habe die Fledermaus für ein Plastikspielzeug gehalten. Na ja…

Unvergessen, wie ein Kleinflugzeug den Tourbus streift, in eine Scheune kracht, wobei Ozzys Gitarrist Randy Rhoads stirbt, der „Godfather of Metal“ selbst zwar unverletzt aus dem Tourbus krabbelt, aber sich lange nicht von diesem Verlust erholt. Dazu all die Meldungen über Entziehungskuren, Rückfälle, erneute Entziehungen, erneute Rückfälle und einem wohl dem Suff oder Drogen geschuldeten Mordversuch an seiner Frau Sharon. Denkwürdig wohl auch die Auseinandersetzungen mit den alten Black Sabbath-Kumpels, die irgendwie an den Spruch „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“ erinnern. Unauslöschlich, wie dieser Mann dem Begriff „Prolet“ in der MTV-Real Life-Soap „The Osbournes“ ein Gesicht gab.

Gesundheitliche Probleme

Bedeutsam auch, wie er seit Jahren mit gesundheitlichen Problemen kämpft: Die Folgen eines Unfalls mit einem Quad Bike fesseln ihn über Wochen ans Bett; eine Infektion am Daumen wird plötzlich lebensbedrohlich, dann stürzt er nachts und muss sich einer Nackenoperation unterziehen. Es folgt eine Rücken-Op, von der er sich nicht mehr wirklich erholt. Dass Ozzy Osbourne zwischendurch seine Parkinson-Erkrankung bekanntgibt, wundert eigentlich niemanden mehr.

Stehaufmännchen

Viel mehr Verwunderung löst aus, dass sich der Klempner, Schlachter, Maler und Bestattergehilfe, der sich im Knast die vier Buchstaben O Z Z und Y auf seine Finger tätowierte, immer wieder als Stehaufmännchen erweist: Zwischen all den Meldungen über seine angegriffene Gesundheit bringt er immer wieder neue Platten heraus, steht immer wieder auf der Bühne, beerdigt sogar gemeinsam mit seinen alten Kumpels in einem grandiosen Konzert in der Heimatstadt Birmingham die gemeinsame Gruppe Black Sabbath. Da, wo alles begann.

Statt Horrorfilme lieber Horrormusik

Da, wo Ozzy beim Anblick einer Kinowerbung auf die Idee kam: Wenn die Leute Geld für HorrorFILME zahlen, versuchen wir es nun mal, ihnen dieses Geld durch HorrorMUSIK aus der Tasche zu ziehen. Eine Idee, die seit dem ersten Album „Black Sabbath“, erst recht aber seit der Hit-Single „Paranoid“, beide von 1970, bis heute funktioniert. Je böser sich Black Sabbath und auch Ozzy solo gaben, desto interessierter die Massen. Viele vergaßen darüber, dass Ozzy und Co eine Bühnenshow ablieferten, eine Welt des „bösen Scheins“ zelebrierten, zwar den „Madman“ und den „Prince of Darkness“ auf der Bühne spielten, aber im „richtigen Leben“ doch halbwegs normale Leute waren. Trotz mancher Songtexte: Sie seien nie eine satanistische Band gewesen, ließen Black Sabbath in den 1990er deutlich verlauten.

Ozzy und die Religion

Als der Kultursender arte die eindrucksvolle Dokumentation „Die neun Leben des Ozzy Osbourne“ zeigte, war wohl das Überraschendste der kleine Altar,

vor dem Ozzy vor seinen Auftritten betet. Nicht zum Teufel, sondern zu Gott. Und wer bei Songs wie „Mr. Crowley“ einmal genauer auf den Text achtet, merkt schnell: Das ist keine ehrerfüllte Verbeugung vor dem Begründer des modernen Satanismus, sondern eine Anfrage an dessen Geisteszustand.

Immer nur seinen Job gemacht?

Aber bekanntlich macht ja der Hörer das aus einem Song, was er darin hören will. Und so sagt Ozzy später: Sie, die Fans, hätten die Marke Ozzy Osbourne erfunden – nicht er. Er habe immer nur seinen Job gemacht. Und verwundert reibt sich manch einer die Augen, wenn das Aufreißen aller verfügbaren Groupies von Ozzy ebenfalls als „Teil des Jobs“ deklariert wird.
Was bei all dem bleibt ist vor allem das Wundern, dass dieser Mann es trotz aller Exzesse überhaupt auf das Alter von mittlerweile 74 Jahren gebracht hat.

Konzerte abgesagt

Allerdings lassen aktuelle Meldungen nichts Gutes vermuten: Zwar erhielt Ozzy am 5. Februar 2023 bei den 65. Grammy-Verleihungen gleich zwei der begehrten Trophäen, nämlich eine gemeinsam mit Toni Iommy für die beste Metal-Performance von „Degradation Rules“, die andere für sein aktuelles Album „Patient Number 9“. Nur wenige Tage vor der Preisverleihung aber sagte Ozzy Osbourne seine für das Frühjahr geplante Tour durch Europa ab, darunter auch seine fünf Termine in Deutschland. Er sei überzeugt, dass sein von zuletzt drei Operationen geschwächter Körper die Reisestrapazen nicht aushalte. Eine Meldung, die irgendwie etwas Endgültiges hat. So aussieht, als sei die Bühnenkarriere von Ozzy Osbourne beendet.

Bittere Krankenhauserfahrung

Was man einfach nicht glauben will. Sein Team arbeite an neuen Formen, wie er ohne großes Reisen auftreten könne, beeilt sich Ozzy zu versichern. Doch Zweifel bleiben. Zweifel, die sich auch aus den Songs seines aktuellen Albums „Patient Number 9“ speisen: Durch den Selbstmordversuch seiner von Depressionen geplagten Frau Sharon und aufgrund eigener Krankenhausaufenthalte hat Ozzy hautnah erlebt, was es heißt, zum Patienten, wörtlich: zum Erleider, zum Erdulder zu werden. Hat Zeit genug gehabt, über sich und sein Leben nachzudenken. Wie sagt doch der Volksmund? „Wem das Herz voll ist, dem geht der Mund über!“

Leidenszeit zum Thema neuer Songs

Wenig verwunderlich, dass Ozzy seine Leidenszeit zum Thema einiger Songs macht. Und um nicht das Wundern zu sehr zu strapazieren, nur noch ein letztes Mal: Überhaupt nicht verwunderlich, sondern fast konsequent, dass „Patient Number 9“ ein bisschen nach Alterswerk klingt. Eines, bei dem, so mutmaßt manch einer, nicht nur viele bekannte Kollegen mitgeholfen haben, sondern auch Auto-Tune. Zumindest ein bisschen. Aber wer weiß das schon genau, wenn nicht Ozzy? Und der sagt nichts zu diesem Thema.

God Only Knows

In der Natur der Dinge liegt es, dass viele Künstler eine Rückschau auf ihr Leben vornehmen, wenn sie merken, dass der Zahn der Zeit unwiderruflich an ihnen nagt. So lässt sich „Patient Number 9“ gut einordnen. Und so lässt sich auch nachvollziehen, warum der liebe Gott einmal mehr einen Platz in Ozzys Songkanon bekommt. In „God Only Knows“ singt der „Madman“:

„Mit dem Gesicht nach unten auf dem Bürgersteig wie ein verendendes Tier.
Ich weiß nicht, ob ich es schaffen werde,
aber ich gebe die Kontrolle auf.
Der Himmel lacht mich aus,
ein Schauer durchfährt meine Knochen
Muss es denn so schlimm enden?
Bin ich hier draußen auf mich allein gestellt?“

Jüngstes Gericht

Das klingt nach dem, was die Bibel als „Jüngstes Gericht“ beschreibt: eine Situation, in der alle Lebenden und Toten vor Gott treten und Lohn oder Quittung für ihr Verhalten während ihres Lebens enthalten. Dann stellt sich die Frage: Auferstehung und Leben bei Gott oder aber ewige Verdammnis? Vereinfacht ausgedrückt: Himmel oder Hölle? Ein Gedanke, mit dem sich auch Ozzy Osbourne beschäftigt:

„Mein Leben ist das traurigste Lied geworden.
Nur Gott weiß, was vor sich geht.
Gott sieht auf das herab, was wir getan haben,
sieht die Kinder mit Waffen spielen.“

Geschenk Gottes

Seine Waffen, seine Fähigkeiten – hat ein Mensch seine Fähigkeiten so eingesetzt, dass sie anderen Menschen eine Hilfe waren? Hat er sich friedlich, fair anderen gegenüber und hilfsbereit verhalten? Nach christlicher Vorstellung sind menschliche Fähigkeiten ein Geschenk Gottes. Sie nicht oder sogar gegen anderen Menschen einzusetzen, wird nach Ende des Lebens bestraft. Wer den Gedanken an ein letztes Gericht ernstnimmt, kann schon ins Schaudern geraten. Vor allem aber bleiben einige Fragen offen. In „God Only Knows“ klingt das so:

„Die guten Zeiten tun mir immer weh.
Ist es da unten sicherer?
Ich frage mich, was danach kommt:
Werden wir alles noch einmal machen?
Dinge, die einmal wichtig waren, sind am Ende nicht mehr wichtig.“

Wiedergeburt? Oder „nicht lernfähig“?

Ist das eine Anspielung darauf, dass der Hinduismus von einem ewigen Kreislauf von Wiedergeburten, von neuen Leben spricht? Oder darauf, dass Menschen einfach nichts aus der Geschichte lernen, immer wieder in dieselben Fehler verfallen? Klar ist lediglich:

„Dinge, die einmal wichtig waren, sind am Ende nicht mehr wichtig.“

Von der Existenz dieser anderen Welt, wie auch immer sie aussehen mag, scheint Ozzy Osbourne überzeugt zu sein. Die Stellung in der Gesellschaft, der Verdienst, der angehäufte Luxus – das alles hat beim Übergang von diesem Leben in eine andere Welt keine Bedeutung mehr.

Im kulturellen Gedächtnis bleiben

Allenfalls für die Erinnerung der Nachwelt: Bleibt man dort lebendig? Oder wird man dort vergessen? Um möglichst lange bei Menschen im Gedächtnis zu bleiben, Gegenstand von Gesprächen, Erzählungen oder gar Veröffentlichungen zu sein, würde Ozzy notfalls sogar die Hölle in Kauf nehmen:

„Lieber in der Hölle brennen als verblassen“,

singt er mehrfach.

Gnade

Tatsächlich aber hofft Ozzy Osbourne darauf, dass es gar nicht so weit kommt. Denn er vertraut auf das, was Christen „Gnade“ nennen:

„Jemand zeige mir Gnade, denn ich kann nirgendwo hin“,

singt er fast flehentlich. Was klingt wie: In die Hölle will ich nicht, für den Himmel reicht es nicht – und so hoffe ich, dass Gott am Ende ein Einsehen hat.

Auch wenn die aktuellen Konzertabsagen nichts Gutes vermuten lassen, ist die Hoffnung groß, dass uns Ozzy Osbourne mit seiner Musik, aber auch mit seinen nachdenklich stimmenden Texten noch eine Weile erhalten bleiben möge. Auf die Frage, wann er aufhören werde, Musik zu machen, antwortete der angebliche „Fürst der Finsternis“ schon vor langer Zeit sinngemäß: Schluss sei, wenn man seinen Sarg zunagele. Aber selbst dann noch werde er eine Zugabe geben. Schließlich sei er das seinem Ruf als Fürst der Finsternis, der Prince of Darkness, schuldig.

Wann das ist? Ozzy würde mit einem Schulterzucken sagen: Das weiß allein der liebe Gott. God Only Knows. Ozzy Osbourne.

Der bei Classic Rock Radio gesendete Beitrag ist eine Kurzfassung dieses Textes.

Kommentare

Hinterlassen Sie ein Kommentar