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Freitags immer Fisch? (19. März Januar)

„Und Mutter brachte jeden Tag und freitags ganz besonders
Muschelzeug und Fisch auf den Tisch.“

Was Udo Lindenberg in „Hoch im Norden“, einem seiner frühen Lieder, da singt, ist die mehr oder weniger leidvolle Erfahrung einer ganzen Generation. Der, der nicht an der Küste wohnte, konnte zwar das „jeden Tag“ aus dem Songtext streichen, aber bestehen blieb dennoch

dieses „freitags ganz besonders.“ Auch bei mir, in unserer Verwandtschaft, bei Freunden und Bekannten war das so. Von klein auf bin ich damit groß geworden: Freitags kommt kein Fleisch auf den Teller. Freitag ist Fischtag. Das war bei uns immer so, an dieser Tradition wurde nicht gerüttelt. Denn schließlich ist das gut katholisch.

Was für meine Mutter selbstverständlich war, war für mich als Kind und Jugendlicher eher ein Problem. Immer dieser Kampf mit den Gräten… Und vor allem: Die Frage nach dem „Warum“, die ich mir im Gegensatz zu meiner Mutter stellte, blieb unbeantwortet.

Zumindest was den Freitag anbelangt, war mir damals schon klar: Der Karfreitag als Todestag Jesu war ein besonderer Trauertag. Wegen des Todes Jesu schulfrei haben und schlemmen wie sonst auch – das wäre Cherry Picking der feinsten Sorte. Also ist Abstinenz als Zeichen des Mittrauerns angesagt. Je weiter man in die Geschichte zurückgeht, umso strenger sind die Regeln: Lange Zeit durfte man Am Karfreitag gerade einmal drei Bissen Brot zu sich nehmen, dazu drei Schluck Wasser oder Bier, was zwar damals ziemlich nahrhaft, aber keineswegs wohlschmeckend war. Moderne Ernährungsberater würden Sturm laufen gegen diese Regelung: Zwei Liter Wasser sollten es über den Tag verteilt schon sein. Und zwar jeden Tag, auch am Karfreitag. Dass aber vom Fasten am Karfreitag das Fasten in den wöchentlichen Freitag gewandert war, wusste ich damals noch nicht.

Blieb die Frage: Wieso Fisch? Aus Sicht der Biologie hatte ich da so meine Zweifel: Schließlich besteht ein leckeres Fischfilet genauso aus Muskelgewebe wie ein saftiges Rindersteak oder herzhaftes Schweineschnitzel. Wieso also sollte Fisch etwas anderes sein als Fleisch?

Auch biblisch fand ich keine Lösung, die mir plausibel genug erschien. Letztlich war es doch so: Als Gott inmitten des Tohuwabohu, wie die alten Israeliten ihre Vorstellung vom großen Durcheinander nannten, dem Chaos nach dem Urknall also, mit seiner Schöpfung beginnt, schafft er quasi in einem Atemzug die Wasser- und Lufttiere, erst in einem darauf erfolgenden Schöpfungsakt die Landtiere. Wassertiere zu essen war also irgendwie ein Stück ursprünglicher. Nur mit dieser Logik stünde auch einem saftigen Hähnchen, und falls das nie das Fliegen gelernt hat, zumindest einer Flugente oder einer Taube nichts im Weg. Alles falsch. Fisch und nur Fisch war an Freitagen erlaubt. Außer in der Logik der mittelalterlichen Mönche, die, clever wie sie waren, zu der nicht ganz uneigennützigen Überzeugung gelangten, dass auch Biber und Bisamratten im Wasser leben und daher beide zweifellos in die Gruppe der Fische einzureihen sind. Ganz stimmig ist das alles aber nicht.

Vielleicht hätte mir mal früher jemand erklären sollen, dass der Fisch ein altes Symbol für Christus ist, weil sich


für die alten Christen im Wort „Fisch“ ein Akronym verbarg, in dem sie die Worte „Jesus Christus Sohn Gottes (und) Retter“ fanden. Was natürlich nur funktioniert, wenn man das griechische Wort für Fisch, (in der Umschrift) „ICHTHYS“, verwendet. Dieses Akronym kannten in den ersten Jahrhunderten nach dem Tod Jesu vermutlich alle Christen. Und vermutlich war „ICHTHYS“, der Fisch, nicht nur das geheime Erkennungszeichen von Christen, sondern das wichtigste Symbol für den christlichen Glauben überhaupt. Bis im Jahr 431 das Konzil von Ephesos das Kreuz zum christlichen Glaubenssymbol schlechthin erklärte. Ja, wenn mir das mal früher jemand erklärt hätte… Zumindest wäre mir dann klar geworden, dass der Fisch etwas mit der katholischen Kirche zu tun hat. Fisch zu essen und dabei an Jesus Christus denken, den voll und ganz in sich aufnehmen – das hat schon eine starke Symbolkraft, die nur noch durch Abendmahl bzw. Kommunion zu übertreffen ist.

Als ich das erste Mal Bücher von Walter Kempowski las, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Da verkauften die Fischer tatsächlich eine ganze Tüte Heringe für einen Groschen. Denn Fisch war vor rund hundert Jahren ein Arme-Leute-Essen. Reiche, die sich für etwas Besseres hielten, aßen auch vermeintlich Besseres. Zur Zeit Jesu war das nicht anders. Da war Fisch das Grundnahrungsmittel schlechthin. Mindestens so allgegenwärtig wie in Asien der Reis, auf den Britischen Inseln Porridge, bei den Franzosen la Baguette und in Belgien die Fritten. Ausdrücklich werden Petrus und sein jüngerer Bruder Andreas in der Bibel als Fischer beschrieben. Auf Jesus treffen sie ja ausgerechnet beim Auswerfen ihrer Netze. Darüber hinaus waren wohl auch zwei weitere Apostel ebenfalls Fischer.

Preiswerte, auch für arme Leute erschwingliche Grundnahrung – das macht auch für das Freitagsgebot am meisten Sinn. Übersetzt heißt das dann: Wer freiwillig preiswerten Fisch statt teurem Fleisch auf den Teller bringt, der setzt sich selbst herab, stellt sich auf die Stufe der armen Leute, steigt von seinem hohen Ross herab. Er beschränkt sich. Genau das bedeutet der Begriff des Fastens: sich einschränken, auf Luxus verzichten, sich reduzieren und damit einen Blick für andere, verschüttete Werte bekommen. Wenn ich als Jugendlicher am Freitag wieder einmal den Kampf gegen die Gräten verloren hatte, freute ich mich umso mehr auf den Sonntagsbraten. Helligkeit wird für den umso strahlender, der auch die Erfahrung von tiefer Dunkelheit gemacht hat. Dualismen dieser Art, darunter rund vs. eckig, laut vs. leise sind die Eckpunkte menschlicher Grunderfahrungen. Ohne sie sind uns Definitionen und vor allem Orientierung gar nicht möglich. Warum sollte das im Religiösen anders sein? (Kar-) Freitag vs. (Oster-) Sonntag, Gott vs. Teufel, Himmel vs. Hölle machen da schon Sinn. Das Freitagsfasten und das Sonntagsschlemmen gehören genauso in diesen Reigen.

Das mit dem Armen-Leute-Essen gehört natürlich längst der Vergangenheit an. Fisch ist genau so teuer wie Fleisch, manche Sorten auch teurer. Und die Gaumenfreuden, die ein delikat zubereiteter Edelfisch verursachen kann, hat mit Abstinenz nun aber auch gar nichts zu tun. Preiswert und teuer? Da hat sich etwas überlebt! Und die Tendenz wird sich fortsetzen: Die Nachfrage nach frischem Fisch ist gigantisch, die Meere sind hoffnungslos überfischt. Umweltorganisationen beklagen, dass beim Fang von Scholle und Seezunge mehr als 80 Prozent wieder ins Meer geworfen werden, weil sie zu klein sind. Der größte Teil dieses „Ausschusses“ verendet und kann nicht mehr als „großer Fisch“ ins Netz gehen. Seesterne und Krebse sind Opfer der Scampifischerei, auf jeden erlegten Schwertfisch kommen längst zwei Haie, auf jeden Thunfisch so und so viele Delfine.

Längst steht fest: Der intensive Fischfang verursacht massive Folgeschäden. Einmal ganz abgesehen davon, dass Fische mit dem Einholen der Netze elendig verenden, weil ihnen die Schwimmblase platzt und sie qualvoll ersticken. Verantwortung vor der Schöpfung und für andere Lebewesen sieht anders aus. Wenn Fische schreien könnten, wäre die Art und Weise, wie sie gefangen werden, vermutlich längst abgeschafft.

Deshalb bin ich froh, dass das Gebot, am Freitag Fisch statt Fleisch zu essen, seit über vierzig Jahren gar nicht mehr gilt. Denn 1978 bestätigten die deutschen Bischöfe: Als Abstinenz, als Freitagsopfer kann auch ein geistliches Opfer gelten. Dazu zählen der Besuch eines Gottesdienstes und die konkrete Unterstützung eines Mitmenschen. Ja, auch der alten Frau über die Straße zu helfen und der Nachbarin ein freundliches Wort extra zu gönnen gehören dazu. Und weil Fasten und Almosengeben etwas miteinander zu tun haben, darf man im Sinne des Freitagsgebots durchaus Geld spenden, um damit anderen Menschen ein Stückweit aus einer Notlage zu helfen.

Heute Mittag gibt es bei uns Zuhause übrigens leckere Curryeier. Seit Papst Innozenz VIII. im Jahr 1491 mit dem so genannten Dresdner Butterbrief die Verwendung für die Fastenspeise „Dresdner Christstollen“ erlaubte und die Fastengesetze lockerte und Papst Julius III. irgendwann zwischen 1550 und 1555 Dispens für vegane Produkte wie Eier, Käse und Milch erteilte, sind Eierspeisen ein guter Ersatz für alle, die den Kampf gegen Gräten scheuen, aber sich dennoch essenstechnisch etwas zurücknehmen wollen.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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