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Doors, The – When The Music‘s Over

Ob Titanic oder Andrea Doria – von großen Passagierschiffen wird berichtet, dass die Musik weiterspielte, auch dann, als die Schiffe längst Schlagseite hatten. Gerade so als sollte sie signalisieren: Solange die Musik spielt, besteht kein Grund zur Besorgnis. Auch wenn der Tanzboden schon schräg ist, selbst

wenn die Füße bereits nass werden – keine Panik. Wir haben alles im Griff. Eine kurzfristige Beeinträchtigung des Komforts an Bord. Nichts Gravierendes.

Solange die Musik spielt…

Panik, so die graue Theorie, bricht erst dann aus, wenn das Schiffsorchester angesichts nasser Füße aufhört zu spielen. Dann ahnt man, dass das Problem alles andere als im Griff ist. Und dass es sinnvoll wäre, seine Beine in die Hand zu nehmen und alles daranzusetzen, um sein Leben zu retten. When The Music’s Over – tja, dann war es das wohl.

Jim Morrison als „sterbender Schwan“

In diesem Sinne inszenierten die Doors 1966 in ihrem damaligen Heimatclub Whiskey A Go Go in Los Angeles ihren neuen Song „When The Music’s Over“. Hier allerdings wurde die Musik selbst zu einer Art lebensspendenden Prinzip. Frei nach dem Motto: Wenn die Musik als beflügelnder Lebensgeist des Menschen stirbt, stirbt der ganze Mensch. Schnell sprang die Botschaft auf die Zuhörer im Club über – vor allem dann, wenn sich Jim Morrison gegen Ende des Songs zuckend am Boden herumwand und „den sterbenden Schwan“ spielte. Auch wenn dies auf einer Tonkonserve nicht abbildbar ist: Die Reaktionen des Publikums waren derart positiv, dass der Song ein Jahr später auf dem Doors-Longplayer „Strange Days“ landete. Und, quasi um die düstere, endzeitliche Atmosphäre des Songs einzufangen, im Original knapp 11 Minuten brauchte, in einer Live-Version sogar eine knappe Viertelstunde.

When The Music’s Over

Wie so oft bei Doors-Songs ist der Songtext lyrisch… und damit auch ein wenig kryptisch.

“Wenn die Musik vorbei ist, dann mach die Lichter aus.
Denn die Musik ist dein besonderer Freund:
Du tanzt auf dem Feuer, wie sie es will. Bis zum Ende.
Bevor ich in den großen Schlaf versinke,
möchte ich den Schrei des Schmetterlings hören.
Was haben sie mit der Erde gemacht?
Was haben sie mit unserer schönen Schwester gemacht?
Verwüstet und geplündert, sie zerrissen und gebissen,
haben sie am Rande der Dämmerung mit Messern erstochen,
fesselten sie mit Zäunen und haben sie fertiggemacht!“

Scream of a butterfly

Schnell zu klären ist die schillernde Formulierung des „Schrei eines Schmetterlings“, den Morrison im Song vorgibt hören zu wollen. 1965er sah Jim Morrison Plakate des Kinofilms „Scream of a butterfly“ („Schrei des Schmetterlings“). Der Musiker war von der Formulierung derartig fasziniert, dass er sie in „When The Music’s Over“ einfließen ließ. Inwieweit die Filmhandlung – Frau heiratet Mann wegen seines Geldes, bringt ihn mit Hilfe ihres Geliebten später um – Morrison bewegt hat, ist unklar. Und inwieweit der Wunsch, Laute eines Schmetterlings zu hören, auf etwas Unmögliches verweisen soll, ebenfalls.

55 Jahre wieder aktuell

Ohnehin ist auffällig, wie sehr „When The Music’s Over“ 55 Jahre später in einem anderen Kontext auch völlig neu verstanden werden kann. Bei seiner Entstehung war der Song alles andere als ein Umweltsong. Aus heutiger Sicht könnte er einer sein: Obwohl jeder weiß, dass wir nur eine Erde haben, beuten wir sie seit Jahrzehnten aus und vergiften sie – und damit nicht nur unseren Lebensraum, sondern uns selbst. Und mittlerweile gilt: „The Empire strikes back“ – die Natur schlägt zurück. Unwetter, Dürren, steigende Temperaturen zeigen nur allzu deutlich, dass unser Globus vielleicht noch quietscht und eiert, wie es in einem alten, spöttischen Gassenhauer heißt, aber längst nicht mehr so rund und geschmiert läuft, wie das unserem Wohlbefinden auf Dauer zuträglich wäre.

Rettung möglich

In jedem Fall handelt es sich im Song um eine Situation, in der es ums Ganze geht. Eine mögliche Rettung findet Jim Morrison in der Bibel, wenn er gegen Ende des Songs ausruft:

„Persische Nacht, Baby! Sieh das Licht, Baby
Rette uns! Jesus: Rette uns!“

Mit der „persischen Nacht“ könnte die Ankunft der Weisen aus dem Morgenland, vermutlich drei Magier aus dem persischen Raum, gemeint sein. Die folgten einer seltenen, gut sichtbaren Sternenkonstellation, die sie schließlich zu Jesus führte, nach christlicher Vorstellung also zum Sohn Gottes. Von dem erfleht Morrison in „When The Music’s Over“ Rettung in höchster Not.

Menschlicher Lebensgeist erlischt

An Ende erlischt die Musik. Der Song endet… und zumindest bei Live-Auftritten blieb Morrison irgendwann unbeweglich am Boden liegen. Getreu der Botschaft: Wenn die Musik aufhört, dann erlischt auch der menschliche Lebensgeist.
Ein Ergebnis, dass aktuell viel Interpretationen ermöglicht: Natürlich kann man jetzt, wo die Klimakatastrophe ihren Lauf nimmt, Hilferufe zu Gott schicken. Aber warum sollte der Naturgesetze außer Kraft setzen, wenn wir nicht selbst alles Menschenmögliche dazu beitragen, die Erde zu retten?

KI, Mensch und Kreativität?

Oder: Muss nicht „Geist des Lebens“, wie ihn Morrison vor über 55 Jahren in der Musik findet, gleichgesetzt werden mit menschlicher Kreativität? Was bedeutet das dann für den Einsatz von KI, wenn extrem schnelle Rechnerleistung menschliche Kreativität ersetzen und unnötig machen? Jim Morrison würde möglicherweise heute die Frage aufwerfen, ob wir eigentlich noch leben, wenn wir unsere Kreativität, unsere Schöpfungskraft einstellen und an Maschinen und Rechner delegieren.
In jedem Fall ist „When The Music’s Over“ ein Song über den Sinn des menschlichen Lebens, über die Kämpfe des Lebens und – beinahe geht das unter – über die Sterblichkeit des Menschen. Insofern ermutigt der Song, seine Fähigkeiten zu nutzen, um ein erfülltes Leben zu führen. Und dieses Leben, symbolisiert durch die Musik, so lange zu genießen wie es geht.

The Doors und „When The Music‘s Over“.

Der bei Classic Rock Radio gesendete Beitrag ist eine Kurzfassung dieses Textes.

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