Radtour, Macht und Mord: Johannes Nepomuk (27. Mai)
Gestern, endlich mal wieder auf dem Fahrrad. Na gut, ich bin kein Hardcore-Radler, fahre nicht bei Wind und Wetter. Aber doch immer mal wieder. Und, ja, vielleicht sogar immer öfter. Ich führe nicht wirklich eine Strichliste. Aber gestern, als mir der Wind durch die Haare wehte, die Sonne mir immer wieder ins Gesicht lachte – ja, das war schon herrlich. Mittlerweile
waren es ja schon einige Monate her, seit ich das letzte Mal aufs Rad gestiegen war. Stärker denn je hatte ich gestern den Eindruck, die Natur deutlicher wahrzunehmen. Intensiver als sonst.
Vermutlich habe ich deshalb auch zum ersten Mal das Standbild an der Brücke so bewusst wahrgenommen. Obwohl es schon seit Jahrzehnten dort steht. Obwohl ich wahrscheinlich schon Hunderte von Malen mit dem Auto an ihm vorbeigefahren bin. Und auch etliche Male mit dem Rad. Gestern aber, bei meiner ersten Fahrt mit dem Rad, sprang sie mir erstmals im wahrsten Sinne des Wortes ins Auge: die Statue des heiligen Johannes Nepomuk. Eigentlich nichts Besonderes. Denn sein Standbild findet sich an vielen Brücken in Europa. Ein sogenannter Brückenheiliger.
Legende und Beichtgeheimnis
Einer Legende zufolge ließ vor rund 700 Jahren König Wenzel von Prag Johannes Nepomuk, einen Priester fesseln und gefangennehmen. Nepomuk sollte dem König unbedingt erzählen, was die Königin gebeichtet hatte. Hallo, geht‘s noch? War der Typ eifersüchtig? Hoffte er, der Königin auf diese Weise einen Seitensprung nachweisen zu können. Aber, bitte schön, doch nicht auf diese Weise. Das dachte sich wohl auch Johannes Nepomuk und verwies auf das Beichtgeheimnis. Im schlimmsten Fall muss ein katholischer Priester das, was er im Rahmen der Beichte erfahren hat, mit in den Tod nehmen. Selbst wenn ein Mörder ein Geständnis abgelegt hat. Oder ein Entführer eine Entführung gesteht. Ah, Sie merken: Ich schaue mir zu viele Krimis an. Trotzdem gilt natürlich das Beichtgeheimnis. Das hat Johannes Nepomuk vermutlich dem König auch klargemacht. Never ever! Da könne er sich keinen Zoll bewegen!
Sie ahnen schon, auf was das hinausläuft! Johannes Nepomuk kann und darf sich in Sachen Beichtgeheimnis keinen Millimeter bewegen, der König will um jeden Preis etwas aus der Beichte der Königin erfahren. Ein Kompromiss ist da nicht mehr möglich. Und weil der König die Macht dazu hat, befiehlt er, Johannes Nepomuk in die Moldau zu werfen. Vermutlich – das ist nicht historisch gesichert – gefesselt und mit ein paar Gewichten beschwerte, wie das damals so üblich war. Schließlich sollte der Mann ja – im wahrsten Sinne des Wortes – nicht wieder auftauchen. Was leider auch klappte. Am 20. März 1393 war das.
Heiligsprechung
Es dauerte dann noch über 300 Jahre, bis auch Rom der Meinung war, den standhaften Priester belohnen zu müssen. Papst Benedikt XIII. – nein, das ist nicht unser deutscher Benedetto; der war ja nicht schon 1729 Papst! – sprach Jan Nepomucký dann heilig. Jan von Pomuk, so müssten wir korrekterweise mit Blick auf den Geburtsort des Heiligen sagen. Danach ging übrigens alles ganz schnell: Schon 1732 machten die Jesuiten Johannes Nepomuk zu ihrem zweiten Ordenspatron. Klar, dass er als Heiliger, also als Vorbild in Sachen Beichtgeheimnis verehrt wird. Aber eben auch als Brückenheiliger. Nicht nur, weil er von einer Brücke in die Moldau geworfen wurde. Sondern auch mit einem spannenden psychologischen Hintergrund:
Überschreiten von Grenzen
Googlen Sie mal bei Wikipedia unter „Liste von Brückeneinstürzen“. Sie werden überrascht sein, wie viele Brücken unvermittelt einstürzten. Früher mehr als heute, keine Frage. Mehr als heute waren sich die Menschen in alter Zeit bewusst, welche Gefahren mit dem Überqueren eines Flusses verbunden waren – egal ob über eine Brücke, eine Furt oder mit Hilfe eines Fährmannes. Das Überqueren von natürlichen Grenzen – wie zum Beispiel Flüssen – löst immer ein gewisses Prickeln aus. Das gilt übrigens auch beim Überqueren von Landesgrenzen, soweit Sie da überhaupt einen Grenzer zu Gesicht bekommen. Ganz normal, sagt die Psychologie. Immer, wenn wir Grenzen überschreiten, löst tief in uns verborgene Ängste aus. Egal, ob wir phasenweise die Grenzen einer Beziehung überschreiten, weil wir aus ihr ausbrechen, Bungee Jumping betreiben oder S-Bahn surfen. Angst, Adrenalin, für manche der ultimative Kick, den es zum Leben braucht. (Mir ist schon das gelegentliche Radfahren mehr als genug, was ja auch nicht immer ganz ungefährlich ist!)
Der Heilige als Warnung
Zurück zu Johannes Nepomuk: Irgendwie nicht verwunderlich, dass unsere Altvorderen die Unterstützung des Heiligen erbaten, bevor sie eine Brücke betraten. Selbst wenn das auf den ersten Blick etwas merkwürdig aussieht. Denn schließlich hatte Johannes Nepomuk es ja eben nicht geschafft, das Ertrinken zu vermeiden. Vielleicht bauten die Menschen früherer Zeiten darauf, dass er ja nun irgendwie Erfahrungen gesammelt hatte. Aber vielleicht reicht es schon, dass die Statue einfach nur so dasteht, gerade so, als ob sie lautlos zurufe: „Sei vorsichtig! Pass auf! Das könnte gefährlich werden.“ Um auf diese Weise zu warnen steht Nepomuk da. Bei Wind und Wetter, bei Schnee und Eis. Immer. So als ob er sagen wollte: „Wenn du vorsichtig genug bist, wird dir nichts passieren!“ Was vielleicht dazu beiträgt, sich nicht ängstlich, zitternd und zagend an die Überquerung des Flusses zu machen. Zumindest früher. Heute machen wir uns ja normalerweise keine Gedanken, wenn wir eine Brücke überqueren. Oder Grenzen, weil wir in ein fremdes Land reisen.
Haben Sie noch nie drüber nachgedacht? Ich auch nicht. Bis gestern. Bis mir die Statue von Johannes Nepomuk an der kleinen Brücke bei uns außerhalb des Ortes in die Augen fiel. Was ganz sicher mit meiner schönen Radtour zusammenhängt. Ohne sie hätte ich die Statue des Brückenheiligen wohl nicht zur Kenntnis genommen – so wie seit Jahren nicht. Und das wäre doch irgendwie schade.
Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.
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