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Du bist hier unerwünscht! Ausbürgerung und Aberkennung der Staatsbürgerschaft (7. Juni)

Stellen Sie sich einmal folgende Situation vor: Sie sitzen an Ihrem Kaffeetisch, plötzlich klingelt es an der Tür. Sie öffnen, stehen einem Staatsdiener gegenüber, der Ihnen mit stoischer Ruhe erklärt: Sie sind für unwürdig befunden worden, Ihre deutsche Staatsbürgerschaft zu behalten. Oder anders formuliert: Ab sofort sind Sie kein Deutscher mehr.
Auf den ersten Blick

mag Ihnen das nicht weiter wichtig sein. Auf den zweiten Blick merken Sie aber, dass es Ihnen gewaltig ans Leder geht. Denn wem die Staatsbürgerschaft aberkannt wird, der hat keine politischen Rechte mehr. Er ist staatenlos, wird durch keine Gerichtsbarkeit der Welt mehr diplomatisch geschützt. Niemand mehr da, der sich für Sie stark macht. Ein schrecklicher Gedanke.

Ausbürgerungsliste 1935

Leider einer, der gar nicht so abstrus ist, wie er vielleicht klingt. Denn morgen, am 8. Juni, jährt sich der Tag, an dem die Nationalsozialisten eine umfangreiche Ausbürgerungsliste veröffentlichten. Es ist die mittlerweile vierte dieser Art. Erika Mann, Bertold Brecht, der staatskritische Journalist Karl Höltermann und weitere 38 Personen stehen auf dieser Liste. Und sie sind nicht die ersten, die des Landes verwiesen werden. Die Schriftsteller Heinrich Mann, Erich Weinert und Kurt Tucholsky hatte es schon früher getroffen. Angeblich verstießen sie gegen die „Pflicht zur Treue gegen Reich und Volk“. Oder anders formuliert: Sie spuren nicht so, wie der diktatorische Staat das von ihnen will. Kurt Tucholsky leidet so sehr darunter, dass er sich in seinem schwedischen Exil das Leben nimmt.

Verständlich, dass Nicht-Betroffene in so einer Situation erst einmal tief durchatmen und sagen: „Gott sei Dank, mich hat es nicht getroffen!“ Aber kann man, darf man deshalb auch achtlos fragen: „Was geht mich das an?“

Den Letzten beißen die Hunde

Der evangelische Theologe Martin Niemöller hat die Antwort auf diese Frage in wenige Zeilen gepackt:

„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler.
Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

Keine theologische Antwort, sondern eine pragmatische: Am Ende geht es mir selbst an den Kragen. Und wenn ich mich für niemanden einsetze, setzt sich auch niemand für mich ein. Ganz abgesehen davon, dass vielleicht niemand übriggeblieben ist, wenn ich mich nicht – noch als Unbetroffener – vorher für andere eingesetzt habe.
Niemöller hätte auch eine theologische Antwort geben können: Jeder, der deine Hilfe braucht, ist dein Nächster. Und für den sollst du dasselbe tun, wie du dir von ihm erhoffst. Vorbehaltlos, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.

Was geht mich das an?

Nur gut, dass derartige Willkürakte in unserem Land nicht mehr vorkommen. Gut auch, dass damals genug Staaten den hilflosen ausgewiesenen, heimatlosen Deutschen einen Platz zum Leben gaben. Gut, dass das alles vorbei ist. Was bleibt, ist die Chance, es besser zu machen. Zum Beispiel, wenn ausgestoßene, heimatlose Menschen ohne Rechte auf der Flucht an unsere Türen klopfen. Diesen Menschen zu helfen, ist nichts anderes als eine menschliche Reaktion. Ihnen nicht helfen zu wollen, ist eine ängstliche, eine egoistische Reaktion. Und natürlich gibt es auch hier eine theologische Antwort, ja, sogar mehrere. Sie können sich eine aussuchen. Wie wäre es mit dieser hier? „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Doof, oder? Irgendwie ultimativ. Etwas weniger pathetisch gilt seit Tausenden von Jahren der Satz: Das Gastrecht sei heilig. Finden Sie überall seit der Antike. Bei den alten Griechen, bei den Römern, selbst bei den alten Germanen, bis heute bei Wüstenvölkern und, natürlich, auch in der Bibel. In den letzten zwei Jahrtausenden gilt das Gastrecht sogar als Christenpflicht. Es bezieht sich auf alle Fremden, auf alle Reisenden, auf alle, die sich nicht an ihrem Heimatort befinden.

Eine Mahnung, die man schnell vergisst, wenn man um Hilfe gebeten wird. An die man oft erst wieder denkt, wenn man selber Hilfe braucht

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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