Welttag gegen Kinderarbeit und das neue Lieferkettengesetz (12. Juni)
Was haben Plantagen, Müllkippen und Textilfabriken miteinander zu tun? Auf den ersten Blick… überhaupt nichts. Auf den zweiten Blick… eine Menge: Weltweit arbeiten hier knapp 170 Millionen Kinder: eben auf Plantagen, Müllkippen und in Textilfabriken. Kinder zwischen fünf und 17 Jahren, vor allem in Ländern Asiens, Afrikas und Südamerikas. Die meisten Kinder, die für unsere Schokolade die Kakaobohnen
mit einem gefährlich scharfen Messer vom Baum abtrennen, haben noch nie ein Stück Schokolade gegessen. Die überwiegende Zahl der Kinder, die Orangen für unseren Orangensaft ernten, wissen nicht, wie Orangensaft schmeckt.
85 Millionen Kinder
Na gut, es gibt Schlimmeres, könnte man sagen. Die ganze Wahrheit ist: Es ist schlimmer! Mindestens 85 Millionen Mädchen und Jungen weltweit arbeiten unter Bedingungen, die sie physisch und psychisch krank machen. Kinder sortieren unseren Elektroschrott und nehmen dabei hochgiftiges Blei, Quecksilber und Arsen auf. Sie produzieren unsere Billig-Klamotten und atmen dabei giftige Dämpfe ein. Sie arbeiten an gefährlichen Maschinen, haben lange Arbeitstage, arbeiten sowohl in sengender Hitze, als auch mitten in der Nacht. Je nachdem, wie gerade billige Arbeitskräfte gebraucht werden. Denn das sind Kinder: billige Arbeitskräfte, die sich nicht wehren können, die ausschließlich an die Gewinnmaximierung denkenden Ausbeutern hilflos ausgeliefert sind. Auch in der Landwirtschaft, der Fischerei, bei der Jagd, im Bergbau und eben in der Industrie.
Ernährungsmangel und Überlastung sind an der Tagesordnung und führen zu gesundheitlichen Dauerfolgen. So zynisch es klingt: Gebrochene Arme oder Beine, Verbrennungen, Hauterkrankungen, Blindheit, Taubheit und Atem-, Kopf- oder Magenschmerzen zählen noch zu den kleineren Übeln.
Boykott ist auch keine Lösung
Hier zu helfen, ist gar nicht so einfach. Meistens wissen wir als Endverbraucher gar nicht, welche Produkte durch Kinderarbeit hergestellt werden. Wo wir aber wissen, dass zum Beispiel Fußbälle, Teppiche und Spielzeuge von Kindern gefertigt werden, könnten wir diese boykottieren. Das ist zwar richtig, aber dennoch keine Lösung. Die meisten Kinder nämlich müssen arbeiten, damit sie und ihre Angehörigen nicht verhungern. Viele Kinder sind sogar komplett auf sich allein gestellt. Boykottieren wir also die Produkte, die durch Kinderarbeit hergestellt werden, entziehen wir vielen Menschen die Lebensgrundlage. Keine Arbeit, kein Brot. So einfach ist das. So schrecklich einfach. Ja, so schrecklich!
Das neue Lieferkettengesetz
Das Lieferkettengesetz, das der Bundestag gestern auf den Weg gebracht hat, setzt genau hier an. Es nutzt die Tatsache, dass große Firmen bei uns auch eine gewisse Marktmacht haben. In Zukunft werden sich diese großen Firmen sehr gut überlegen müssen, ob sie bereit sind, im Zweifelsfall eine saftige Strafe zu zahlen, oder aber ob sie vorher Einfluss auf die Produktionsbedingungen nehmen. Ein Schritt in die richtige Richtung – auch wenn den einen dieser Schritt noch lange nicht weit genug geht, die anderen
behaupten, dieses neue Gesetz würde Deutschland schaden und lediglich die Konkurrenz freuen. Es schadet vor allem den Egoisten, denen es egal ist, das irgendwo auf der Welt ein Kind elendig verreckt – Hauptsache das Produkt, das man für sein Geld kauft, ist möglichst preiswert.Freut sich die Konkurrenz wirklich?
Und die Konkurrenz freut sich? Ich halte das Gegenteil für viel wahrscheinlicher: Wo nämlich einer mit gutem Beispiel vorangeht, müssen andere nachziehen, wollen sie nicht auf Dauer Marktanteile verlieren. Eine Mund-zu-Mund-Propaganda à la „Produkte der Firma xy kaufe ich nicht, weil die durch Ausbeutung von Kindern entstehen“, kann eine fatale Wirkung haben. Natürlich nur, wenn wir als Endverbraucher das auch wollen. Je mehr Menschen den eigenen Egoismus hintanstellen, desto schneller ändert sich tatsächlich etwas für die, um die es geht: die Schwächsten in den jeweiligen Gesellschaften, in der Regel Frauen und Kinder. Diese beiden hat das Lieferkettengesetz vor allem im Blick.
Welttag gegen Kinderarbeit
Gesellschaftlicher Druck entsteht nur selten durch das Dreinschlagen mit einer Axt. Meistens entsteht er schrittweise. So war es eine gute Idee, dass eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen im Jahr 2002 den „Welttag gegen Kinderarbeit“ eingeführt hat. Alljährlich am 12. Juni wird der nun begangen. Nicht mit großen Feierlichkeiten. Aber mit Hinweisen in Medien jeglicher Couleur, dass die Situation der hilflosesten Geschöpfe einer jeweiligen Gesellschaft unbedingt verbessert werden muss. Zumindest dann, wenn man menschliches Verhalten auf seine Fahnen geschrieben hat. Ob das neue Lieferkettengesetz ohne diesen relativ jungen „Welttag gegen Kinderarbeit“ gestern verabschiedet worden wäre oder erst in ein paar Jahren? Die Diskussion darüber ist müßig.
Hilfe für Kinder ist auch Familienhilfe
Aber längst ist klar: Wer Kindern helfen will, muss ihren Eltern helfen, muss ihnen die Möglichkeit zu einem erträglichen Auskommen bieten. Hier geraten vor allem Frauen in den Blick: In fast allen Gesellschaften sind Frauen die Haupterzieher, geben Frauen Bildung, Werte und Ideale an ihre Kinder weiter. Aber nur, wenn sie auch die Zeit und die Kraft dazu haben. Wer bei uns einen achtstündigen Bürojob erledigt, weiß, wie wenig Zeit und Kraft dann noch für die Kinder übrigbleiben. Meint tatsächlich jemand ernsthaft, wer in Afrika, Asien und Lateinamerika zwölf, vierzehn oder sechzehn Stunden hinter einer Nähmaschine verbringt, dem ginge es anders? Was aber tun, wenn bei weniger Arbeitszeit das Geld nicht reicht, um die Familie durchzubringen? Damit Mütter weniger lang arbeiten und mehr Zeit für ihre Kinder haben, müssen die Löhne hoch genug sein.
Zur Schule, nicht zur Arbeit
Und vor allem muss die Situation in den Familien so gut werden, dass Kinder nicht mehr arbeiten müssen, sondern zur Schule gehen können. Nur so lässt sich auf Dauer dieser scheinbar unendliche Kreislauf von gerechter Entlohnung, mangelnder Bildung und der Weitergabe von Armut durchbrechen. Mit dem neuen Lieferkettengesetz unterstützt jetzt auch die Politik diesen Wandel. Ein Puzzlestein, dem aber sicherlich weitere folgen müssen. Denn nur aus vielen Puzzlesteinen wird ein Gesamtbild.
Ein paar dieser Puzzlesteine haben wir alle in unseren Händen. Wir können fair gehandelte Produkte kaufen, können spezielle Kinderhilfswerke unterstützen, deren Projekte Eltern und Kindern zugutekommen und Kinderarbeit überflüssig machen. Der Welttag gegen Kinderarbeit ist ein Stachel im Fleisch von uns allen. Einer, der daran erinnert, dass es noch eine Menge zu tun gibt. Eine Menge, bei der jeder von uns mithelfen kann.
Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.
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