Tolkien Reading Day [Herr der Ringe] (25. März)
Wenn Sie sich in Hamburg in den Regionalexpress setzen, kommen Sie in etwa fünf Stunden bis nach Berlin, Kassel oder Dortmund. Muten Sie sich fünf Stunden Regionalexpress von München aus zu, schaffen Sie es noch nicht einmal bis nach Frankfurt am Main, dafür aber locker bis nach Karlsruhe oder Konstanz am Bodensee. Zurück brauchen Sie dann natürlich noch einmal genau so lang. Und jetzt die Frage: Würden Sie für einen Kinofilm zehn Stunden mit dem Zug durch die Republik fahren?
Natürlich nicht! Klar, jetzt, in Zeiten des Lockdown sowieso nicht. Da hat kein Kino geöffnet. Aber sonst? Vermutlich auch nicht. Oder aber es müsste schon ein ganz besonderer Film sein. Genau das versuchte mir mein jüngster Sohn vor ziemlich genau neun Jahren klarzumachen.
Warum ich mich daran erinnere? Weil heute der Internationale Tolkien-Lese-Tag gefeiert wird. Kein wirklicher Feiertag für alle, aber für Tolkien-Jünger doch extrem wichtig, fast ein Heiligtum. Und mein Sohn, ungeheurer Fan von Tolkiens „Herr der Ringe“-Zyklus, setzte sich vor neun Jahren mit ein paar Freunden tatsächlich in den Zug und fuhr von unserem Wohnort nach Düsseldorf. Dort und nur dort gab es ein einziges Kino, dass den Hobbit, ein Film aus Tolkiens Herr der Ringe-Zyklus, zu diesem Zeitpunkt in bester Technik präsentieren konnte. Behauptete damals zumindest mein hoffnungsvoller Nachwuchs!
Nun gut, vielleicht muss man den „Herrn der Ringe“ und alles was dazu gehört, tatsächlich gelesen haben, vielleicht muss man auch seine monumentalen Verfilmungen gesehen haben. Mein Sohn hat das. Zigmal. Auf Deutsch. Und weil die Originalsprache dann eben doch noch ein paar Feinheiten mehr hergibt, auch auf Englisch. Klar, dass er dann damals auch den neusten Film sehen musste. In neuster Technik. Also fuhren er und seine Freunde nach Düsseldorf. Zehn Stunden Fahrt mit dem Regionalexpress. Mit dem Gruppenticket war das erschwinglich. Die ICE-Verbindung hätte den Rahmen des Möglichen gesprengt. Unglaublich, was junge Leute freiwillig auf sich nehmen, wenn sie von einer Sache überzeugt sind! Respekt!
Zehn Stunden Zugfahrt also für einen Film. Ein Film – wie die übrigen Filme des Zyklus auch – voller Schlachtengemetzel, ein düsterer Film, der die Welt in einem Entscheidungskampf zwischen Gut und Böse zeigt. Ein Film, der in einer ganz anderen Welt spielt, in einer Welt der Sagen! Alles ziemlich grausam. Zum Glück alles nur Fiktion. Ein Märchen für Erwachsene.
Aber stimmt das wirklich? Auch wenn Tolkien erklärte, er habe kein religiöses Werk schreiben wollen, strotzt seine Saga nur so vor religiöser Elemente und Anspielungen: Wenn Frodo nach dem Biss der Spinne für ausgerechnet drei Tage erstarrt, steht die Auferstehung Jesu Pate. Wenn Gandalf nach dem Sturz in die Tiefe den Gefährten in strahlend weißem Gewand erscheint, erinnert dies an die Verklärung Jesu. Tolkien-Jünger werden jetzt eifrig nicken. Wenn Sie aber weder die Bücher gelesen noch die Filme gesehen haben sollten, müssen Ihnen die Namen nicht unbedingt etwas sagen. Entscheidend ist eh die Handlung. Im Grunde geht es darum, einen Ring zu zerstören. Konkret geschieht das, indem der kleine Hobbit den Ring des Bösen in den Feuern des Schicksalsberges versenkt. Nur so kann der Kreislauf des Bösen, die Macht Saurons durchbrochen und damit beendet werden. Nur so lässt sich nämlich das Unheil in der Welt stoppen.
Tolkien lässt das an einem ganz konkreten Datum geschehen, nämlich am heutigen25. März. Warum der Termin so wichtig ist, verrät ein Blick in den alten liturgischen Kalender Englands: Früher feierte nämlich die Kirche nach alter englischer Tradition genau an diesem Datum den Tag der Kreuzigung Jesu. Ja, Sie hören richtig: fix, Jahr für Jahr am 25. März. Nicht dieses Herumgeeiere mit „Karfreitag jedes Jahr an einem anderen Datum“, wie wir das heute kennen. Auch wenn die Tradition des Kreuzigungsgedenkens am 25. März in der Kirche längst aufgehoben ist – Tolkien kannte sie. Denn der war selbst ein gläubiger Katholik. Es ist also kein Zufall, wenn im „Herrn der Ringe“ der Sieg über das Böse genau auf den Tag fällt, an dem auch nach christlicher Vorstellung das Heilswerk Gottes beginnt.
Gut, wenn man auf die Ereignisse blickt, sieht das erst einmal ganz anders aus: Jesus stirbt am Kreuz einen schrecklichen Tod, erleidet die größte Katastrophe, die ein Mensch erleiden kann, nämlich den Verlust seines Lebens. Aber nach christlicher Theologie beginnt genau mit dem Tod Jesu das Heilswerk Gottes. So richtig sichtbar wird das dann mit der Auferweckung Jesu von den Toten. Denn die zeigt: Die Macht des Todes ist gebrochen. Das Kernstück des christlichen Glaubens. Oder um eine Aussage des Apostels Paulus aufzunehmen: Der Tod und das Weiterleben Jesu über den Tod hinaus sind der Dreh- und Angelpunkt des christlichen Glaubens. Ohne diese Elemente ist der christliche Glaube eine Lebenshilfe – mehr aber auch nicht.
Tolkien hat, wie gesagt, genau das gewusst. Ihm war auch bewusst, dass das Todesjahr Jesu nicht genau bekannt ist, dass der Überlieferung nach Jesus kurz vor einem jüdischen Passahfest starb. Leider leitet sich aber die Datierung des Passahfestes vom Mondkalender ab, schwankt daher von Jahr zu Jahr. Ohne das Todesjahr zu kennen, kennt man dann eben auch nicht das genaue Todesdatum. Da war es für Tolkien viel einfacher auf das alte englische Datum für den Feiertag der Kreuzigung auszuweichen. Seine Intention konnte er auf diese Weise viel einfacher zum Ausdruck bringen.
Und genau das erzählt mir vor neun Jahren mein Sohn, der ansonsten eher weniger über Religion und Kirche spricht. Und unmittelbar vor seiner Fahrt nach Düsseldorf hat er mir noch etwas gesagt: „Fünf Stunden nach Düsseldorf, dort den Film gucken, übernachten, am nächsten Tag fünf Stunden zurück – das ist schon eine Menge Zeit. Aber wetten, Papa: Du schaffst es in dieser Zeit nicht, die rund 1.400 Seiten von Tolkiens „Herr der Ringe“-Zyklus zu lesen?“
Er hat recht behalten. Ich habe wesentlich länger gebraucht, sogar länger dafür, mir alle zum Herrn der Ringe-Zyklus gehörenden Filme Stück für Stück anzusehen. Aber es hat sich gelohnt.
Heute werde ich den Abend mal wieder mit der Nase in einem Tolkien-Buch verbringen. Schließlich ist heute aus gutem Grund der Tolkien Reading Day.
Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.
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