Sieg über die „Geißel Gottes“ – Paul Ehrlichs „Präparat 606“ besiegt die Syphilis (31. August)
Es gibt Tage, an denen muss man sich entscheiden. Wie zum Beispiel heute, wo die Redaktion sagt: Entscheide selbst, worüber du schreibst. Über Lady Diana zum Beispiel, die am heutigen 31. August im Jahr 1997 ums Leben kam. Da kann man viel schreiben, viel spekulieren. Denn auch 24 Jahre danach gilt: Nichts Genaues weiß man nicht. Und da das Spekulieren eh nicht mein Ding ist, ich denke, dass sich im nächsten Jahr, dem 25. Todestag, eh die Schlagzeilen überschlagen werden, setze ich folgende Personen dagegen: Schiller, Schopenhauer, ETA Hoffmann, Nietzsche und Beethoven. Und Millionen andere. Von denen wird dieser Text handeln. Zumindest indirekt. Zugespitzt wird er auf den Namen Paul Ehrlich.
Präparat 606
Nein, das ist keiner der Ehrlich Brothers, die mit unglaublichen Kunststücken „Zauberkünstlern“ wie David Copperfield Konkurrenz machen. Obwohl… Ähnlich atemberaubend ist schon, was am 31. August 1909 rund um und mit Paul Ehrlich geschah. Wer will, kann das Ganze medizinisch und damit sehr nüchtern formulieren: Das „Präparat 606“ wirkt gegen Spirochäten, etwas weniger sachlich formuliert: gegen Spirillen. Um es plastischer und praktischer auszudrücken: Ehrlich und sein japanischer Kollege Sahachiro Hata hatten mit der Arsenverbindung Arsphenamin ein Mittel gegen den Erreger der Syphilis gefunden.
Symptome und Folgen der Syphilis
Deshalb in diesem Zusammenhang Schiller, Schopenhauer, ETA Hoffmann, Nietzsche, Beethoven und Millionen bekannter und unbekannter Leidensgenossen. Die hatten sich allesamt mit dem Erreger infiziert. Ein Drittel der europäischen Bevölkerung soll unter den Folgen dieser Geschlechtskrankheit gelitten haben. Nicht besonders angenehm, wenn man bedenkt, dass die Erkrankung mit Geschwüren an den Geschlechtsorganen sichtbar wird, Lymphknotenschwellungen nach sich zieht, zu schweren Organschädigungen führt und in vielen Fällen zu Erblindung, Wahnsinn und frühem Tod führt.
Welch Segen, endlich ein Mittel gegen diese Volkskrankheit gefunden zu haben! Dachte zumindest Paul Ehrlich. Und auch die Farbwerke Hoechst, an die Ehrlich vertraglich gebunden war und die das Mittel Salvarsan in den Handel brachten.
Pawlows Hund
Aber wie das im Leben immer so ist: Man kann es nicht jedem recht machen. Irgendjemand hat immer etwas zu maulen. Schnell wurden Rufe laut, die Paul Ehrlich mit antisemitischer Entrüstung vorwarfen, sich an den Kranken bereichern zu wollen. Es gibt eben immer Menschen, die, wie Pawlows Hund, das große Heulen anfangen, wenn es einen entsprechenden Reiz gibt. Die Tatsache, dass Paul Ehrlich nun einmal jüdischen Glaubens war, war ein solcher Reiz. Und dass, obwohl Ehrlich – um es mit heutigem Sprachgebrauch zu sagen – nicht gerade ein praktizierender Jude war. Andererseits fühlte er sich seinem Glauben doch so sehr verbunden, dass er ein Konvertieren zum Protestantismus ablehnte. Mit dieser Haltung verzichtete Ehrlich sogar auf die Erhebung in den Adelsstand, für die ein Konvertieren unausweichlich gewesen wäre.
Geißel Gottes
Neben den Antisemiten schrien auch diejenigen Zeter und Mordio, die durch Ehrlichs Entdeckung nun endgültig den Untergang des Abendlandes fürchteten: Wenn ein Medikament gegen die Geschlechtskrankheit Syphilis vorhanden war, fiel durch dieses Mittel auch noch die letzte Bastion gegen eine ungezügelte sexuelle Enthemmung des ganzen Kontinents, ach was, der ganzen Welt und vermutlich auch des gesamten Universums. Die Kritik erinnert an jene Hardliner, die rund 150 Jahre später in AIDS eine
“Geißel Gottes” sahen und die, wie die umstrittene Pius-Bruderschaft, auch angesichts von Corona zwar sybillinisch, aber dennoch auch sehr anthropomorph davon ausgeht, dass es auf dieser Welt nichts gibt, was Gott nicht zumindest zulässt.Moderne Chemotherapie
Dann danken wir mal dem lieben Gott, dass er die vermeintliche „Enthemmung des Kontinents“ nach Ehrlichs Entdeckung nicht sofort mit Pech und Schwefel beantwortete. Denn Ehrlichs Forschung ist es letztlich, die die moderne Chemotherapie begründet, immer noch das wichtigste Instrument im Kampf gegen Krebs. Indirekt haben also Millionen von Menschen Paul Ehrlich zu verdanken, dass sie ihren Krebs besiegten oder zumindest eine Weile eindämmen konnten.
Anthropomorphes Gottesbild?
Vorsichtshalber der Hinweis: Ich mache mich keineswegs über Gott lustig – bei Gott ist alles möglich! Aber schmunzeln muss ich über die Zeitgenossen, die sich Gott für ihre manchmal doch recht kindlichen Vorstellungen zurechtbiegen und gar nicht merken, wie sie ihn zu einem Werkzeug ihrer eigenen schlichten Ideen degradieren. Dem steht auch die Theologie entgegen: Hatte Gott nicht nach der Sintflut mit dem Regenbogen als Zeichen versprochen, nie wieder die Menschheit kollektiv zu bestrafen? Warum sollten also Syphilis, AIDS, Corona und was uns noch alles blüht ein Zeichen sein, dass Gott eingreift und sein Versprechen bricht? Aber ich weiß: Wer unbedingt einen Zusammenhang konstruieren will, übersieht solche Kleinigkeiten wie ein Versprechen Gottes. Oder deutet sie um, bis sie passen.
Anerkennung und Verfolgung
Zeitgenossen beschreiben Paul Ehrlich als einen Mann, der hartnäckig seine medizinischen Theorien verfolgte. „Präparat 606“ steht dafür: Es handelt sich nämlich um den exakt 606. Versuch, den Ehrlich bei der Suche nach einem Syphilis-Medikament unternahm. Andere hätten vielleicht schon vorher aufgegeben.
Dass andere seinen Erfolg für sich reklamierten, dass die Nazis in Ehrlichs Wohnort Frankfurt die nach ihm benannte Straße 1938 kurzerhand umbenannten und dass Ehrlichs Frau und Töchter in die Emigration getrieben wurden – das alles wird den Wissenschaftler, Forscher und Menschenfreud sehr mitgenommen haben. Alles davon bekam Ehrlich allerdings nicht mehr mit. Schon am 20. August 1915 erlag er einem Herzinfarkt.
Würdigung
Heute ist sein Werk ist in der medizinischen Fachwelt unbestritten, sind seine Erfolge anerkannt. Einer davon ist eben der Erfolg von „Präparat 606“ am 31. August 1909, der den Kampf gegen die Volkskrankheit Syphilis möglich machte. Und die moderne Chemotherapie begründete. Für mich noch wichtiger als der 24. Todestag von Prinzessin Diana.
Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.
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