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Die ungewöhnlichste „Kreuzfahrt“ der Welt – Flucht auf der „Exodus“ (16. Oktober)

Rund 2000 Mann Besatzung, weit über 5000 Passagiere – so viel Platz bieten die größten Kreuzfahrtschiffe der Welt! Restaurants, Kino, Showbühne, Tanzsalon, Friseure, Fitnessstudio, Geschäfte – alles an Bord. Und es geht immer weiter, wird immer mehr: Längst gibt es die ersten Kreuzfahrtschiffe, auf denen sich die Passagiere in einem Wasserpark tummeln oder mit einem Autoscooter vergnügen können. Das vielleicht abgedrehteste Kreuzfahrtschiff scheint dabei die neu in Dienst gestellte „Mardi Gras“ zu sein: Dieses Schiff hat nämlich eine eigene Achterbahn an Bord. Nein, wir haben heute nicht den ersten April! Mit einer Art Zweierbob sausen die Passagiere rund 60 Meter über dem

Schwimmender Vergnügungspark

Meeresspiegel über die Strecke. Der besondere Clou: Die Bobfahrer bestimmen ihre Fahrtgeschwindigkeit selbst. Auf hoher See jagen sie mit bis zu 65 km pro Stunde durch die Kurven, sie können aber auch, zum Beispiel bei Hafeneinfahrten, so langsam fahren, dass sich spektakuläre Aussichten besonders intensiv genießen lassen. So viel Luxus kann eine Kreuzfahrt bieten! Ein schwimmender Vergnügungspark? Unglaublich aber wahr!
Dass die „Mardi Gras“ so ganz nebenbei auch das erste US-Kreuzfahrtschiff ist, dass ausschließlich mit Flüssiggas statt mit umweltschädlichem Schiffsdiesel angetrieben wird, lässt die immer noch bestehende Umweltbelastung zumindest erträglicher erscheinen. Daumen hoch, also! Es kann gebucht werden – dieses und andere Schiffe. Und die üblichen Urlaubsressorts sowieso. Denn Corona ist vorbei. Hoffentlich!

Luxus der Extraklasse: President Warfield

Obwohl die „President Warfield“ als absoluter Luxusdampfer galt, war zu ihrer Zeit an Annehmlichkeiten, wie die geschilderten, noch nicht zu denken. Fast 100 Jahre ist es her, dass dieser Kreuzfahrtdampfer in Dienst gestellt wurde. Genau ab 1928 tuckerte er entlang der Ostküste der USA. Ein Schiff, das später eine bewegte Geschichte erlebte. Und eine bewegende! Während des Zweiten Weltkriegs wurde die „President Warfield“ zum Truppentransporter umfunktioniert, transportierte zuerst britische, dann US-amerikanische Soldaten. Vorbei die goldenen Zeiten, in denen sich 400 Passagieren luxuriös an Bord vergnügten.

5000 Passagiere auf engstem Raum

Kurz nach Kriegsende drängten sich dann schlagartig fast 5000 Menschen auf dem Dampfer zusammen. Menschen, die durch den Wahnsinn des Nationalsozialismus alles verloren hatten. Menschen, die verschleppt worden waren. Zwangsarbeiter, Überlebende der Vernichtungslager. Menschen ohne Heimat, ohne Zuhause. Und deshalb ohne ein Zurück! Aber mit dem Ziel, in Palästina ein neues Leben zu beginnen.

Menschenunwürdig

Ein wahnwitziges Unterfangen. Denn die Vorbereitungen zu dieser Fahrt geschahen unter extremen Zeitdruck. Auch wenn die sanitären Anlagen notdürftig erweitert wurden – für derartige Menschenmassen war ihre Anzahl völlig unzureichend. Und das nicht erst nach heutigen Hygienestandards!
Die Kojen waren gerade einmal 45 Zentimeter (kein Schreibfehler!) breit. Obwohl die Menschen diese Kojen „im Schichtbetrieb“ zum Schlafen nutzten, reichte ihre Anzahl nicht aus. Ein Teil der Passagiere schlief folglich immer wieder im Sitzen, oft genug auch im Stehen. Dass unter diesen Umständen Menschen erkrankten, etliche sogar starben, ist nachvollziehbar. Tragisch bleibt dies allemal.

“Exodus“

Während ihrer Reise wechselte die President Warfield passend zu ihrer neuen Aufgabe den Namen: „Exodus from Europe 1947“ hieß das Schiff nun, kurz „Exodus“. Ein Schiff, dessen Name eine biblische Tradition aufgriff: Rund 3 ½ Jahrtausende zuvor hatte der biblische Moses eine Gruppe Mutiger und zu allem Entschlossener aus der Sklaverei in Ägypten aufgerufen. Dieser „Auszug aus Ägypten“, der so genannte Exodus, sollte die Israeliten in ein „Land der Freiheit“ führen, ins „verheißene, gelobte Land“. Ist es da

verwunderlich, wenn Bob Marley Jahre später den „Exodus“ der Rastafarianer besingt, den Auszug frommer Nachfahren von Sklaven aus der Karibik zurück in das Land der Vorfahren? Oder wenn Science-Fiction-Filme, die von einem unmittelbar bevorstehenden Untergang der Erde handeln, von der „Operation Exodus“ sprechen? Oder dem bevorstehenden Ende gar mit Raumschiffen entfliehen wollen, die „Exodus“ heißen? Genau genommen ist auch das nur die Fortsetzung einer uralten Tradition.

Landnahme der Israeliten

Die nicht immer auf Gegenliebe stößt: Schon die alten Israeliten müssen schnell feststellen, dass da, wo sie hinwollen, bereits andere leben. Wenn die Bibel von „Landnahme“ spricht, dann ist dies ein sehr euphemistischer Begriff. Kaum zu denken, dass die Einwohner fröhlich winkend den Neuankömmlingen ihr Land übergaben. Von Freiwilligkeit sicher keine Spur, umso sicherer aber vom Gegenteil. Ein Konflikt, der schon begann, als der alte Abraham – wohl noch einmal 1.500 Jahre zuvor – in dieses Land einwanderte. Und ein Konflikt, der bis heute anhält. Die Frage, wer an Palästina die älteren Rechte hat, Israelis oder Palästinenser, Juden oder Araber, ist nicht auflösbar. Schon diese Nomenklatur ist nicht unbedingt richtig. Eine 4000jährige wechselvolle Geschichte aber lässt sich erst recht nicht zurückdrehen.

Fertigmachen zum Entern!

Ähnlich erging es auch 1947 den Flüchtigen auf der „Exodus“: In Palästina standen britische Truppen, dieses Mal sogar aufgrund eines UN-Mandats. Die Briten aber wollten keine jüdischen Flüchtlinge ins Land lassen. Deshalb beargwöhnten sie den ehemaligen Vergnügungsdampfer, griffen ihn sogar mit militärischen Mitteln an. Ein Anlanden an der Küste Palästinas wollten sie eben verhindern, unter allen Umständen! Von über zwanzig Versuchen, die „Exodus“ zu entern, war später die Rede. Weil die Angriffe immer blutiger wurden, stellten die Flüchtigen schließlich ihren Widerstand ein. Nach mehreren Stationen, die darzustellen an dieser Stelle den Rahmen sprengen würden, endete die Reise vieler Flüchtlinge dort, wo sie begonnen hat: in Internierungslagern in Deutschland, konkret in der Nähe von Lübeck. Die Passagiere der „Exodus“ ausgerechnet in das Land zu verfrachten, dessen Vernichtungslagern sie mit größter Mühe entkommen waren – war das wieder einmal typisch britischer Humor? Na, ich weiß nicht so recht. Weil sich die Flüchtlinge mit ihrer Situation nicht abfinden wollten und aufbegehrten, kürzten die Briten kurzerhand die Nahrungsmittelrationen. Nein, das war alles andere als lustig!

Alarmierte Weltöffentlichkeit

Eher war es Wasser auf die Mühlen einer eh schon alarmierten Weltöffentlichkeit. Sogar die US-amerikanische Regierung unter Präsident Harry S. Truman machte nun massiv Druck. Die Konsequenz: Ende September kündigten dann endlich die Briten an, sich aus Palästina zurückzuziehen. Der Rückzug der Besatzer eröffnete für Juden aus aller Welt die Möglichkeit, in der Heimat der Vorfahren ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Dass wenig später die Gründung eines eigenen jüdischen Staates, des Staates Israel, erfolgte, war da nur eine logische Konsequenz.
Für die ehemaligen Passagiere der „Exodus“ bedeutete der Rückzug der Briten aus Palästina viel naheliegender, dass sie die Internierungslager verlassen konnten. Viele von ihnen machten sich auf zu einer erneuten, beschwerlichen Reise in das Land ihrer Vorfahren, in das Land ihrer neuen Heimat, ihrer Sehnsüchte und Hoffnungen.

Kreuzfahrt im mehrfachen Wortsinn

Die Fahrt der „Exodus“ war eine ganz besondere Form der „Kreuzfahrt“: Wegen des politischen Widerstands, aber auch wegen schlechten Wetters, konnte die „Exodus“ nicht auf direktem Weg nach Palästina fahren, „kreuzte“ quasi über das Meer.
Auch wenn Juden das vermutlich so nicht formulieren würden: Die Passagiere der „Exodus“ hatten mit unerschütterlichem Willen ihr „Kreuz auf sich genommen“, wollten ein für alle Mal einer antisemitischen Verfolgung in ihren ursprünglichen Heimatländern entgehen. Ihre Fahrt wurde somit zu einer „Kreuzfahrt“ in einem völlig anderen Wortsinn.
Dass ihr Exodus zudem mit Hilfe eines ehemaligen Kreuzfahrtschiffes stattfand, zwar ohne Achterbahn und sonstigen Luxus, dafür aber mit einem extremen Überlebenswillen, spricht ein wenig dafür, dass die Geschichte der Menschheit doch immer wieder mit einer höchst eigenwilligen Ironie am Werke ist.

Wer sich über die Grausamkeit der Geschichte ärgert, sollte sich daran erinnern, dass es immer Menschen sind, die diese Geschichte „schreiben“, sie also verursachen. Auch heute sind Menschen auf der Flucht – vor Ausbeutung, vor Unterdrückung, vor Folter und drohender Ermordung, vor unhaltbaren Zuständen in ihren Heimatländern. In der Hoffnung auf ein neues, friedliches Leben lassen sie alles, was sie haben, zurück, machen sich auf eine Reise in ein ungewisses Land. Auf eine Reise voller Gefahren. Und mit ungewissem Ausgang.
Vielleicht hilft die Geschichte der „Exodus“, unser Verhalten zu überdenken und barmherziger und helfender zu sein, als uns unsere Eigeninteressen oftmals sein lassen wollen.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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