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The Show must go on! Konzert vor nur einem Fan (26. Juni)

Für Musiker und andere Künstler, die auf der Bühne stehen, gibt es wahrscheinlich nichts Größeres: ein ausverkauftes Haus, Fans, die sich freuen, mitgehen und – im Fall von Rock- und Popmusikern – textsicher und laut dabei sind. Wahrscheinlich fiebern jetzt, wo sich die Corona-Pandemie ganz langsam verabschiedet, viele Künstler ihren ersten Auftritten wieder entgegen.

Konzerte ohne Fans?

Gut, es geht auch anders. Konzerte ohne Fans hatten wir lange genug. Im Autokino, viele virtuell. Konzerte ohne Fans – das gab es wohl auch schon vor Corona. Ein Bekannter berichtete, sein Vater habe einmal ein Konzert des österreichischen Sängers und Musikers Georg Danzer besucht. Da sich gerade einmal zwei Dutzend Besucher eingefunden hatten, habe Danzer seine Band ins Hotel geschickt, die Konzertbesucher auf die Bühne geholt und stundenlang den Alleinunterhalter gegeben. Begnadet sei das gewesen, so der Vater des Bekannten. Ob’s wahr ist? Schade, dass Georg Danzer schon lange nicht mehr unter den Lebenden weilt. Nun kann man ihn noch nicht einmal dazu befragen. Aber eine schöne Story ist das Ganze allemal.

Konzert in Belgrad: ausverkauft und kaum besucht

In Belgrad, der Hauptstadt Serbiens, soll sich einmal eine Sache zugetragen haben, die auf den ersten Blick zum Schmunzeln ist, aber trotzdem nachdenklich macht: Eine junge serbische Sängerin, die bislang hauptsächlich in kleinen Clubs aufgetreten war, konnte an immer größere Locations vermittelt werden. Von einem bestimmten Zeitpunkt an brachte irgendein Blumendienst, jedes Mal passend zum Konzertende, einen großen Strauß Blumen ins Büro. Nun war es endlich gelungen, sie in Belgrad für einen Saal zu buchen, der über 3000 Menschen Platz bot. Und was passiert? Tage vorher ist die Hütte ausverkauft. Genial! Denn das bedeutet zum

ersten Mal auch richtig Geld in der Kasse. Nur weigert sich die Sängerin aufzutreten. Denn weil es im Konzertsaal so unglaublich ruhig ist, späht sie durch den Vorhang und sieht das Unglaubliche: Dort sitzt nur ein einziger Mensch, weit hinten, vielleicht in der 20. Reihe. Wie sich später herausstellte: Der Mann, wohl nur wenig älter als die Sängerin selbst, hatte sämtliche Eintrittskarten für dieses Konzert aufgekauft. Dem Manager der Sängerin ist es zu verdanken, dass sie am Ende doch auftritt und ihr zweistündiges Programm dem einzelnen Konzertbesucher präsentiert.

Geht’s noch?

So ist das eben, könnte man sagen und … schmunzeln. Vielleicht nicht das, was man erwartet. Aber immerhin stimmte die Kasse. Trotzdem macht mich die Geschichte nachdenklich: Mit welchen Erwartungen muss die Sängerin zur Konzerthalle gefahren sein, immer im Kopf: ausverkauft. Und das bereits im Vorverkauf! Und dann? Absolute Stille, gähnende Leere im verdunkelten Konzertsaal, nur ein einziger Mensch, kaum zu sehen im Halbdunkel. Keine Stimmung, keine Feuerzeugkulisse, kein tosender, atemberaubender Beifall! Nichts. Kann ein Künstler da überhaupt noch „alles geben“, eine mitreißende Show abliefern? Müsste ich auf der Bühne stehen: Ich hätte einen Riesen-Hals. Und würde vor lauter Ärger und Frust wahrscheinlich mega-schlecht performen! Wenn überhaupt!

Menschen kaufen

Was aber mag in dem „einfallsreichen Fan“ vorgegangen sein? Niemand um ihn herum, der seine Begeisterung teilt, mit ihm lacht, mit ihm und der Sängerin singt und tanzt. Stattdessen: mutterseelenallein im großen Konzertsaal. Alles meins? Weil ich mir das leisten kann? Weil ich mir alles leisten kann, kann ich mir auch Menschen kaufen? Ja, ja, ich weiß, ich schaue zu viele Filme. Aber mich erinnert das sehr an solche Filme, in denen ein stinkreicher Kerl Ganoven dazu anstiftet, aus irgendeinem Museum ein Gemälde zu stehlen, damit er sich das allein in seinem als Altarraum modifizierten Keller anschauen kann. Mit welchem Recht erdreistet sich ein Mensch, anderen einen Genuss wegzunehmen? Ist schon klar: Der Gemäldedieb hat sämtliches Recht gegen sich. Und der Typ, der alle Konzertkarten für sich gekauft hat und 3000 anderen Menschen die Möglichkeit gestohlen hat, sich ebenfalls über die Sängerin und ihre Lieder zu erfreuen?

Alles eine Frage der Moral?

Die Begriffe, mit denen ich den Kerl am liebsten titulieren, lasse ich lieber weg. Die würde mir unser Chef vom Dienst sowieso wieder streichen!

Was mag sich dieser unsoziale „Fan“ wohl gedacht habe, als er nach diesem Konzert der Sängerin 101 Rosen zustellen ließ, versehen mit einer Flugkarte nach Genf und einem Heiratsantrag – und als er lediglich einen Korb bekam? Damit waren seine Erwartungen ganz sicher nicht erfüllt.

Gemeinschaft durch Teilen

Vielleicht hat dadurch gelernt, was viele andere längst wissen: Dass nämlich wirkliche Freude vor allem durch‘s Teilen entsteht. Durch Beziehungen von Mensch zu Mensch. Durch Begegnungen, in denen man seine Freude weitergibt. Und etwas von der Freude der anderen erhält. Und jetzt, liebe Kunstschaffenden, liebe Musiker, Sänger und und und, bitte ganz tapfer sein: Ja, ich werde ab sofort wieder Konzerte besuchen. Und ja, natürlich bin ich Fan von euch, die ihr da auf der Bühne steht, freue mich auf euch, freue mich auf eure Lieder, eure Kunst, eure Performance. Aber zumindest genauso freue ich mich auf die Menschen, denen ich vor der Bühne begegnen kann. Mit denen ich feiern kann, toben, tanzen, singen, und, ja, auch in die Arme fallen kann, wenn mich die Glücksmomente überraschen. Menschen, mit denen ich das große Glück teilen kann, dass es wieder losgeht. Dass es wieder etwas zu feiern gibt. Das ist für mich das pralle Leben. The Show must go on? Ja, bitte sofort und bitte heftig. Und jetzt schon mein Dank all denen, die bis heute durchgehalten haben und mir und vielen anderen wieder das ermöglichen, was meiner Meinung nach ganz wesentlich das Menschsein ausmacht: zu teilen und in Gemeinschaft zusammenzusein.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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