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Zu wenig Platz in Frauenhäusern – Gewalt gegen Frauen muss geächtet werden (7. Juli)

179 Frauen wurden im vergangenen Jahr mit ihrem Wunsch, im Frauenhaus zu leben, abgewiesen, so eine aktuelle Meldung. Der Grund: Platzmangel. Sie meinen, 179 Frauen – das sei noch eine erträgliche Zahl? Einmal abgesehen davon, dass jede einzelne abgewiesene Frau eine zu viel ist, ist es in Wahrheit leider so: Die Zahl 179 bezieht sich
ausschließlich auf Frauen, die im Frauenhaus im norddeutschen Rendsburg abgewiesen wurden. In einem einzigen Frauenhaus also. Nicht viel gemessen an rund 400 Frauenhäusern und Zufluchtswohnungen im gesamten Bundesgebiet.

Rendsburg hochgerechnet

Falls Sie Rechenspiele mögen: Multiplizieren Sie die Zahl der abgewiesenen Frauen in Rendsburg mit der Anzahl der rund 400 Einrichtungen. Sie kommen auf die Größenordnung von 71000 abgewiesenen Frauen. Und ganz nebenbei auf etwa 84000 Kindern, die zu dieser errechneten Anzahl hinzukommen. Summa summarum: weit über 150000 Menschen, die Zuflucht suchten, diese aber nicht fanden. Innerhalb eines einzigen Jahres. Auch wenn es jetzt noch spekulativer wird: Wie viele Frauen trauen sich erst gar nicht, aus der Partnerschaft auszubrechen und in einem Frauenhaus Zuflucht zu suchen? 10 Prozent? 20? Oder sogar noch mehr?

Zahlenspiele

Ja, ja, natürlich können Sie jetzt sagen: Das darf man alles nicht einfach hochrechnen. Vielleicht sind die Beziehungspartner der Frauen in Rendsburg ja besonders gewalttätig. Oder die Frauen dort sind besonders empfindlich. Und überhaupt: Vielleicht ist das Frauenhaus in Rendsburg ja auch besonders klein, so dass die Zahl von 179 abgewiesenen Frauen mit 210 Kindern überhaupt nicht aussagekräftig ist. Ja, vielleicht. Und vielleicht ist die Erde ja auch eine Scheibe. Die Statistik sagt untrüglich: Jede vierte Frau zwischen 16 und 85 Jahren hat mindestens einmal in ihrem Leben körperliche Gewalt durch einen Beziehungspartner erleben müssen. Jede vierte Frau? Würden wir von rund 30 Millionen Frauen zwischen 16 und 85 Jahren in Deutschland ausgehen, dann sind wir schnell bei sieben Millionen Frauen. Sieben Millionen Frauen, denen von ihren Beziehungspartner Gewalt angetan wird. Winken Sie immer noch ab? Dann nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Diese Zahlen stammen aus der Zeit vor Corona. Während der Pandemie ist die Ausübung von Gewalt deutlich angestiegen.

Wenn Liebe kippt

Dabei kennt der Idealfall einer Beziehung überhaupt keine Gewalt, keine körperliche und keine psychische. „Deshalb wird der Mann seine Eltern verlassen und dem Weibe nachfolgen“ – so oder so ähnlich steht es in der Bibel. Die Rede ist dabei vom Miteinander von Mann und Frau, von Liebe. Von Liebe, die blind macht, die den Verstand im positiven Sinn ausschaltet. Eine Macht, die so ganz anders ist als die Rationalität, das verstandesmäßige Denken. Leider kommen manchmal die zwei Urgewalten, so möchte ich Emotio und Ratio einmal nennen, auch gewaltig in Konflikt miteinander. Ein Spezialfall davon: Was ist, wenn die Liebe erkaltet ist? Wenn sich ein erwachsener Mann ernsthaft die Frage stellt: Warum habe ich ausgerechnet diese Frau geheiratet? Oder wenn sich eine erwachsene Frau damit konfrontiert sieht, dass ihr Mann die Formulierungen aus der Trauzeremonie nicht besonders ernst nimmt. Von wegen achten und ehren, bis dass der Tod euch scheidet. An dieser Stelle zu sagen: Das gab es früher nicht. In biblischen Zeiten wurden die Menschen durchschnittlich gar nicht so alt. Und bevor das Problem erkalteter Liebe auftreten konnte, war man schon gestorben – das ist mir zu billig.
Macht gegen Frauen praktizieren vor allem Männer. Nur selten sind es Frauen, die andere Frauen quälen. Deshalb ist es gut, dass es Häuser gibt, die Frauen Zuflucht vor gewalttätigen, vergewaltigenden Männern bieten. Häuser für Frauen – Frauenhäuser eben. Wie in Rendsburg.

Erstes Frauenhaus bereits 1897

Dabei sind Häuser für Frauen keine spezielle Erfindung unserer Tage. Das erste Frauenhaus Deutschlands stammt genaugenommen aus dem Jahr 1897. Es geht auf die Hamburgerin Lida Gustava Heymann zurück. Ihr Vater, ein betuchter Kaffeehändler, setzt fünf Töchter in die Welt. Vier fügen sich in die bürgerliche Welt des späten 19. Jahrhunderts ein. Nur eine nicht: Lida Gustava, geboren 1868. Die nimmt das bürgerliche Leben als goldenen Käfig wahr, bricht schließlich aus ihm aus. In Männerkleidung, so heißt es, erkundet sie nachts die halbseidene Welt Hamburgs, prangert die Ausbeutung der Prostituierten an, lernt hautnah die Not der Armen kennen. Auch dadurch, dass sie zwischenzeitlich an einer Armenschule unterrichtet.

Dem Vater imponiert das. Und als er stirbt, stellt sich heraus: Die vier Schwestern erhalten nur einen geringen Anteil am Erbe. Per Testament hat der Vater Lida Gustava zur Haupterbin gemacht.

Etwas andere Intention

Weshalb ich das überhaupt erzähle? Weil die Hamburgerin mit dem Geld des Vaters finanziell völlig unabhängig wird. Und deshalb mitten in Hamburg das erste Frauenhaus Deutschlands gründen kann. Wie gesagt, das passiert bereits 1897. Wenn auch Frau Heymann vor allem an Bildung und Beratung für Frauen gedacht hat, so sollen sie in dieser Einrichtung doch auch Schutz finden. Schutz gegenüber jedem, gegenüber dem sie Schutz brauchen.
Nur nebenbei: Lida Gustava Heymann hat maßgeblichen Anteil daran, dass ab 1919 endlich auch Frauen wahlberechtigt sind. Dass Lida Gustava zur engagierten Frauenrechtlerin wird, ist möglicherweise auf Anita Augspurk zurückzuführen, nicht nur eine Verbündete, sondern auch ihre Lebensgefährtin…

1. November 1976: 1. Frauenhaus „neuerer Art“

Wenn wir heute von Frauenhaus sprechen, dann geht es weniger um Ausbildung und Bildung von Frauen, was bei Lida Gustava Heymanns Einrichtung noch an erster Stelle stand. Heute steht der Schutz von Frauen und Kindern vor häuslicher Gewalt im Vordergrund. Deshalb ist Männern der Zutritt verboten – es sei denn, sie sind angemeldete Handwerker, die Reparaturen ausführen. Vielfach wird sogar die Adresse eines Frauenhauses geheim gehalten. Zumindest so lange, bis sich die Adresse dann eben doch herumgesprochen hat. Das erste Haus dieser Art wurde am 1. November 1976 in West-Berlin eröffnet. Was deutlich macht: Noch in diesem Jahr feiern wir die Tatsache, dass es 45 Jahre lang Frauenhäuser in unserem Land gibt.

Schutz vor Dr. Jekyll oder Mr. Hide?

Wir feiern also eine Einrichtung, die Menschen schützt, wenn Liebe in Hass, Gewalt und Brutalität umschlägt. Egal ob aus reinem Machtgelüsten von Männern, aus eigener Verzweiflung oder vielleicht auch, weil Suff und Drogen aus einem vielleicht ansonsten friedlichen Mann ein Monster werden lassen. Schutz vor Dr. Jekyll und Mr. Hide also? Ehrlich gesagt, mir sind die Männer und ihre Beweggründe, warum sie Frauen Gewalt antun, an dieser Stelle völlig egal. Wenngleich ich nicht vom Tisch wischen möchte, dass man auch hier über mehr und geeignetere Therapien nachdenken sollte.

Das vor 45 Jahren in diesen Tagen längst geplante und Anfang November eröffnete Frauenhaus moderner Prägung war eine Villa in Berlin Grunewald. „Frauen helfen Frauen“, so damals der Name dieses Modellprojekts, das Schule machte.

Aktuelle Meldungen

Wollen Sie noch ein paar Meldungen aus diesen Tagen? Wie wäre es mit diesen hier: In Osnabrück hat sich die Zahl der Frauen, die im Lockdown im Frauenhaus vorstellig wurden, weil sie um ihr Leben fürchteten, verdoppelt. Und in Uelzen, ebenfalls also in Niedersachsen, sei das Frauenhaus während des Lockdowns regelrecht überlaufen worden, so eine Pressemitteilung. Da ist es ja ganz gut, dass im – schon wieder in Niedersachsen – Landkreis Northeim ab dem 1. Januar 2022 ein neues Frauenhaus eröffnet wird. „Gott-sei-Dank“ muss man aus Sicht der Hilfesuchenden sagen. „Leider“, wenn man daran denkt, dass diese Häuser immer noch nötig sind. Und, wie es aussieht, jetzt nötiger denn je.

Ächtung von Gewalt

Gewalt ist nie eine Lösung. Wer gewalttätig ist, zeigt, dass er mit anderen Mitteln nicht mehr weiterkommt. Zeigt, dass er dem anderen unterlegen ist, sich selbst und dem anderen gegenüber das aber nicht eingestehen will oder kann. Nicht nur Gewalt zwischen Staaten muss gesellschaftlich geächtet werden, sondern auch der Krieg, den einzelne Menschen gewalttätig gegen Kinder führen und gegen ihre Beziehungspartner. Wer gewalttätig wird, zeigt, dass er längst verloren hat. Meinen Respekt allemal!
Dass es zu wenig Platz in Frauenhäusern gibt, ist schlimm. Aber es ist das Symptom. Auch das muss angegangen werden. Aber noch wichtiger ist der Einsatz gegen die Wurzel: gegen jede Form von körperlicher und psychischer Gewalt. Gewalt gegen Kinder, Gewalt gegen Frauen, Gewalt gegen jedermann. Denn dass wir in unserer Gesellschaft überhaupt Zufluchtsorte für Frauen brauchen, sagt mehr über den Zustand unserer Gesellschaft, als uns lieb ist.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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