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Swift, Taylor – Is It Over Now? (Taylor’s Version)

Rekordstreaming Künstlerin eines Tages bei Spotify, die meisten Streams in der ersten Woche nach dem Erscheinen eines Albums – besser kann es für Taylor Swift nicht laufen. Und das alles, um es einmal überspitzt zu formulieren, mit altem Zeug. Denn bekanntlich

Taylor’s Version

liegt Taylor im Clinch mit ihrer alten Plattenfirma. Weil ihr zwar die Songtexte gehören, nicht aber die dazugehörige Musik, nimmt Taylor ihre alten Alben einfach neu auf. Und wirft sie Stück für Stück mit dem Zusatz „Taylor’s Version“ auf den Markt. Neue alte Songs also gewissermaßen.

1989 + From The Vault

Das gilt auch für „1989“. Ursprünglich erschien das Album 2014, passend zum 25. Geburtstag der Sängerin. Wodurch auch der Albumtitel verständlich wird: Denn der kennzeichnet das Geburtsjahr der US-amerikanischen Sängerin und Songwriterin. Enthalten waren – und sind es bei „Taylor‘s Version“ erneut – Klassiker wie „Blank Space“, „Style“, „Shake It Off“ und “Bad Blood“. Insgesamt 19 Tracks hatte Taylor auf der Deluxe-Ausgabe des Albums veröffentlicht. Bei „Taylor’s Version“ gibt es eine erneute Zugabe: Mit dabei sind auch fünf Songs, die den Subtitel „From The Vault“ tragen. Angeblich fehlte Taylor über Jahre der Mut, diese Songs zu veröffentlichen. Für „1989 (Taylor’s Version)“ hat sie sie nun aus dem Giftschrank, gerne auch Tresorraum oder Schatzkästchen, geholt.

Persona non grata

Bei näherem Blick auf den Text von „Is It Over Now?“ ist das Zögern der Sängerin absolut verständlich. Denn der Text ist sehr offen. So offen, dass er bei Erscheinen des Originalalbums einer damals 25jährigen US-amerikanischen Sängerin möglicherweise – natürlich im übertragenen Sinn – das Genick gebrochen hätte. Öffentliche Verbrennungen von Beatlesplatten oder, vor gar nicht so langer Vergangenheit, das Bashing der Dixie Chicks, kommen in Erinnerung. Für christliche Interpreten wie Michael English, Sandi Patty, Susan Ashton und selbst für Amy Grant, der Michael Jackson der Gospelszene, wie die NewYork Times seinerzeit formulierte, war die Karriere mehr oder weniger beendet, weil sie aus ihren Ehen ausstiegen. Prüderie, du kannst so grausam sein! Welcher verantwortliche Plattenmanager also hätte es zulassen dürfen, dass sich eines seiner hoffnungsvollsten Zugpferde mit 25 Jahren an den Rand des Abgrunds begibt? Und zur persona non grata wird? Wegen eines Songtextes?

Mut zur Veröffentlichung

Neun Jahre später ist das alles kein Problem mehr. Vor allem gibt es niemanden, der Taylor Swift davon hätte abhalten können zu tun, was sie tun will. Über 200 Millionen verkaufte Alben der mittlerweile 34jährigen sprechen eine deutliche Sprache: Taylor Swift ist eine Institution. Und aus der US-amerikanischen Musikszene nicht mehr wegzudenken. Sie ist mehr oder weniger unantastbar. Und trotzdem zielen vorsichtshalber offizielle Verlautbarungen darauf ab, in der Öffentlichkeit eine positive Stimmung zu erzielen: Dass Taylor nun endlich den Mut gefunden habe, diese Songs aus dem Giftschrank zu holen – das macht sogar besonders neugierig. Und legt, sollte alles schiefgehen, ein mildes Urteil nahe. Aber keine Sorge: Es gab keinen Aufschrei, keinen Shitstorm und keinen Karriereknick. Die Veröffentlichung von „Is It Over Now?“ tat der Popularität der Sängerin keinen Abbruch. Vielleicht sogar eher das Gegenteil.

Is It Over Now

Überraschend deutlich bleibt der Text dennoch:

„Sobald der Flug beendet war und die Rose verwelkte,
schlief ich ganz allein.
Du wolltest immer noch nicht gehen.
Spulen wir vor zu ‚dreihundert Kaffees to go‘ später:
Ich sehe dein Profil und dein Lächeln gegenüber ahnungslosen Kellnerinnen.
Du träumst von meinem Mund, bevor er dich einen lügenden Verräter nennt:
Denn du suchst im Bett eines jeden Mädchens nach etwas Größerem.“

Die Passagen über aufgeknöpfte Blusen, Hüften und Schenkel sowie geflüsterte Seufzer sparen wir an dieser Stelle aus.

Swiftie-Wissen

Verschiedene Textpassagen in „Is It Over Now?“ scheinen auf den ersten Blick unverständlich. Für Swifties, also Fans von Taylor Swift, ist das alles kein Problem. Denn sie beschäftigen sich ausgiebig mit der Sängerin, ihrem Privatleben und den Songs, in denen sie dieses Privatleben verarbeitet. Überzeugte Swifties sind sich sicher: In „Is It Over Now?“ verarbeitet Taylor Swift erneut ihre gescheiterte Beziehung zu Harry Styles. Ähnlichkeiten in Musik und Text zu „Out In The Woods“ scheinen unverkennbar. Dass „der Flug beendet“ ist, bedeutet mehr, als dass der Drops gelutscht sei: Für Swifties handelt es sich um eine klare Anspielung auf Silberkettchen, die Swift und Styles damals getragen haben: jeweils mit einem Anhänger in Form eines Papierfliegers.

Harry Styles?

Dass Styles während der Beziehung zu Taylor Swift alles andere als treu gewesen sei, pfiffen seinerzeit die Spatzen von den Dächern. Und auch Taylor weiß von den Geschehnissen. Denn sie singt:

„Du dachtest, ich hätte dich nicht gesehen.
Aber es gab blinkende Lichter!“

Bei den blinkenden Lichtern handelt es sich um das Blitzlichtgewitter von

Fotografen, die Styles Zusammentreffen mit anderen Frauen, darunter, so der Song, auch eine Kussszene, dokumentiert haben. Laut Taylor Swift bedient sich Style dabei immer desselben „Beuteschemas“, wenn sie singt:

„Dein neues Mädchen ist mein Klon.“

Unfall mit Schneemobil

Dass es sich dabei um „ein Mädchen“ aus der Glamour- und Glitzerwelt handelt, ist klar. In diesem Fall ein Model. Genaugenommen sogar gleich drei. Allerdings bleibt unklar, welche der drei Models, Kimberley Stewart, Paige Reifler oder Emma Ostilly, Taylor möglicherweise im Sinn hat. Denn Paparazzi-Fotos mit Styles gibt es von allen dreien, wobei die „Kussszene“ auf Emma Ostilly verweist.

Eine weitere, für den Nicht-Eingeweihten eher mysteriöse Passage:

„Als du die Kontrolle verloren hast.
Rotes Blut, weißer Schnee.“

Auch hier liegt der Schlüssel im Privatleben der Sängerin. Noch in glücklichen Tagen unternahmen Taylor Swift und Harry Styles einen Ausflug in den Schnee. Der Sänger verlor die Kontrolle über ein Schneemobil, so dass sich beide im Krankenhaus behandeln lassen mussten. Ein Vorfall, den Taylor bereits in „Out In The Woods“ erwähnte.

Das blaue Kleid

Ähnlich das „Blaue Kleid im Boot“: Für Swifties ist dies – auch wir Unwissenden haben es nun schon immer geahnt – dasselbe Kleid, das die Sängerin im Videoclip zu „Out In The Woods“ trägt. Und ganz nebenbei gibt es auch ein Foto, in dem Taylor mit Sonnenbrille, düsterem Blick und blauem Kleid in einem Boot sitzt. Ein Foto, das nach der Trennung von Harry Styles aufgenommen und veröffentlicht wurde. Fragen? Keine!

Trauerarbeit

Aus der sogenannten Trauerarbeit, von der man meistens spricht, wenn ein geliebter Mensch verstorben ist, kennt man das ja: Man muss eine Menge tun, eine Menge Trauerarbeit leisten, bis man mit einem schwerwiegenden Verlust im weiteren Leben gut umgehen kann. Während sich diese Trauerarbeit bei Otto Normalverbraucher üblicherweise im „stillen Kämmerlein“ vollzieht, verarbeiten Künstler ihre Trauer oftmals öffentlich. Auch „Is It Over Now?“ ist so ein Stück Trauerarbeit. Denn auch wenn es schnell zu übersehen ist, steht hinter dem Songtitel doch ein deutliches Fragezeichen: Noch ist gar nichts vorbei, noch schläft die Sängerin zwar allein, wie es im Song heißt, denkt aber immer noch an ihren Ex.

Selbstzweifel

Letztlich handelt der Song von den Zweifeln und Selbstzweifeln der Sängerin, die sie beim Zerbrechen einer Beziehung durchlebt. Ein Kampf zwischen verletztem Stolz und weiter bestehender Zuneigung, zwischen „genug ist genug“ und zweiter Chance, die jeder verdient hat. Deshalb findet sich in den Texten auch eine völlig menschliche, und doch befremdliche Mischung aus Schmerz und Sehnsucht. Und die Hoffnung darauf, dass die Zeit alle Wunden heilt, ausgedrückt in den Textpassagen

„Spulen wir vor zu ‚dreihundert Kaffees to go‘ später“

und

„Lass uns vorspulen zu dreihundert peinlichen Blind Dates später.“

Am Abgrund

Doch bis die Zeit tatsächlich Wunden heilt, bis man wirklich seinen Schmerz und seine Zweifel überwindet, ist es ein langer Weg. Einer, bei dem es auch bis an den Rand der Existenz gehen kann. Das hat auch Taylor Swift so erlebt:

„Oh, Gott, ich denke daran
von sehr hohen Dingern zu springen,
nur um zu sehen, wie du angerannt kommst
und das zu sagen, was ich mit immer gewünscht habe.“

Schrei nach Beachtung

Äußerungen von Taylor Swift lassen mutmaßen, dass sie sich tatsächlich mit dem Gedanken beschäftigt habe, sich in eine für sie lebensgefährliche Situation zu bringen, die eine Kehrtwende im Leben des Partners herbeiführt – ähnlich wie man es von Menschen kennt, die angeblich einen Selbstmordversuch unternehmen, um in letzter Sekunde gefunden zu werden: Sie machen nicht nur auf ihre fatale, anscheinend nicht mehr tragbare Situation aufmerksam, sondern hoffen auch auf Zuwendung, Beachtung und liebevolle Aufmerksamkeit.

Stoßgebet

Is It Over Now?“ ist eine Meditation über Verlust, Enttäuschung und Liebe. Der Kampf der Gefühle und die Verzweiflung, die im Song zu finden sind, unterstreicht Taylor durch einen nahezu stoßartigen, atemlosen Gesang. Der verleiht dem Song eine besondere Intensität, lassen ihn auch über den Text hinaus extrem und eindringlich erscheinen. Fast beiläufig, aber immerhin viermal, bittet Taylor im Song Gott um seinen Beistand: Das kurze

„Oh, Gott“

verleiht dem Song den Charakter eines Stoßgebetes: Ich bin so verzweifelt, dass jetzt nur noch eine ganz besondere Form der Unterstützung weiterhelfen kann, so die Intention.

Hoffnung für jedermann

Letztlich ist „Is It Over Now?“ mehr als nur ein Stück private Trauerarbeit. Der Einblick in die verborgenen Gefühle der Sängerin zeigt, dass auch Superstars in ihrem Leben mit tiefgreifenden Problemen konfrontiert werden. Er zeigt auch, dass es möglich ist, diese Probleme zu bewältigen und ein erfolgreiches Leben zu führen. Deshalb wird der Song zu einem Appell, sich von Problemen im Leben nicht unterkriegen zu lassen. Und damit zu einem Stück Hoffnung für jedermann.

Taylor Swift – „Is It Over Now?“

Der bei Radio Salü gesendete Beitrag ist eine Kurzfassung dieses Textes.

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