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25. Januar, Gift statt Tee im Pflegeheim

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

25. Januar, Gift statt Tee im Pflegeheim

Wenn die Kaffee- oder Teemaschine vor sich hinröchelt, spuckt und mehr dampft, als dass sie den heißen Trunk brüht, dann gilt in den meisten Fällen: Das Maschinchen gehört nicht auf den Müll, sondern es muss nur einmal wieder vernünftig gereinigt werden. Üblicherweise packt man dazu einen der handelsüblichen Reiniger in die Maschine, macht einen erneuten Durchlauf, spült noch ein paar Mal klar hinterher – und schon zeigt sich der Automat wieder von seiner besten Seite. So weit, so gut.

Schon lange vor Corona wurde einem 54-jährigen Patienten in einem Pflegeheim dieser eigentlich routinemäßige Sachverhalt zum tödlichen Verhängnis. Eine Küchenhilfe hatte kurz vor ihrem Feierabend eine Teemaschine mit Reinigungsmittel gefüllt, schreibt ihrer Kollegin noch schnell einen Zettel, auf dem die begonnene Reinigung notiert war, und macht sich dann fertig für den Rest des Tages: schnell einkaufen, ebenso schnell den hoffnungsvollen Nachwuchs aus der KiTa abholen und möglichst noch schneller etwas Gescheites zu essen herbeizaubern. Dumm nur, dass sie in ihrer Eile vergisst, das so wichtige Papier für die Pflegerinnen und Pfleger gut sichtbar an der Maschine zu befestigen. Und so kommt es, wie es eben kommen muss: Eine Pflegerin zapft vermeintlich Tee ab, serviert stattdessen aber einem 54jährigen Patienten die hochgiftige Reinigungslösung – und der stirbt, ohne dass man weiß, was da eigentlich passiert, einen qualvollen Tod.
Konsequent schaltet die Heimleitung die Staatsanwaltschaft ein. Die sucht genauestens nach der Todesursache, verfügt eine Obduktion, die schnell den Grund für den unerwarteten Tod herausfindet. Genauso schnell sind die Umstände ermittelt, wie es zu dem tödlichen Fehler kommen konnte. Jetzt schlägt der Rechtsstaat zu. In ihm gilt das Prinzip: Schuldige müssen nicht nur gefunden, sondern sie müssen auch bestraft werden. Sie müssen für das büßen, was sie verbockt haben. Das ist wichtig. Denn niemand soll meinen, er komme ungeschoren davon, wenn er jemandem fahrlässig einen Schaden zufügt. Aus Fahrlässigkeit wird, wenn sie unbestraft bleibt, vielleicht sonst gar beim nächsten Mal Absicht. Oder bei dem, der das mitbekommt. Und das geht natürlich gar nicht. Es gilt also das Prinzip der Abschreckung und irgendwie auch das des Schadensausgleichs: Wer für den Tod eines Menschen verantwortlich ist, muss dafür auch zur Verantwortung gezogen werden. Wie schwer, hängt letztlich davon ab, ob ein Gericht auf – in diesem Fall – „fahrlässige Körperverletzung mit Todesfolge“ entscheidet oder zu einem anderen Urteil kommt. Möglicherweise gibt es ja Vorkommnisse, die das Gericht als mildernde Umstände berücksichtigen kann und will. So funktioniert nun mal unser System. Und das, bei aller Kritik, doch recht gut.

Natürlich ist es schlimm, wenn jemand aufgrund des Fehlers eines Anderen Schaden erleidet oder sogar stirbt. Das ist schlimm. Auch, und da bin ich mir sicher, für die Küchenhilfe und die Pflegerin. Denn dürften ihr Leben lang an dem Tod des Heimbewohners zu knabbern haben, egal, welche juristische Folgen auf sie zukommen.
Darüber hinaus gilt es, den Blick auf einen anderen Sachverhalt zu lenken: Schon in normalen Zeiten arbeitet das Personal in Pflegeeinrichtungen, Altenheimen, Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen unter Hochdruck, am Rande des Machbaren, oft genug auch darüber. Ein knallhart kalkulierter Zeitschlüssel schreibt zwingend vor, welche Tätigkeit am Heimbewohner in wie viel Minuten zu erledigen ist. Mal ganz abgesehen davon, dass das oftmals viel zu viel Arbeit ist, um den Heimbewohnern und Patienten menschliche Wärme zu geben, wirklich für sie da zu sein, sie nicht nur als eine Nummer von vielen abzuarbeiten: Wer will da eigentlich garantieren, dass solche Fehler nicht vorkommen? Fehler, die tragisch sind, keine Frage. Aber Fehler, die eben menschlich sind. Und gleich ganz spitz angefügt: Wie hoch die Belastungen für das Pflegepersonal jetzt, in Coronazeiten, sind, jetzt, wo auch noch die sozialen Kontakte zu den Angehörigen von Heimbewohnern oder Krankenhauspatienten massiv eingeschränkt sind, mag man sich als Außenstehender lieber erst gar nicht vorstellen. Hier füllen Pflegerinnen und Pfleger zusätzliche Lücken, die genau die Angehörige hinterlassen, die nicht mehr zu Besuch kommen können. Für die Leistung Pflegerinnen und Pfleger zu applaudieren und ihnen Respekt zu zollen, ist sicher eine gute Sache. Sie besser zu vergüten, eine andere, vielleicht gesellschaftlich noch wichtigere. Einmalige Bonuszahlungen, die aufgrund irgendwelcher Hintertürchen nur einen Teil der Betroffenen erreichen, helfen da nur bedingt weiter.


Und so ganz nebenbei: Die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft wissen schon lange, warum eine Vielzahl von interessierten und geeigneten Arbeitskräften lieber dankend abwinkt, statt in der Pflege zu arbeiten: an erster Stelle steht nicht die geringe Vergütung, sondern die starren und damit schlechten Arbeitsbedingungen. Sie sind das größte Hindernis. Wie soll eine alleinerziehende Mutter den Spagat zwischen Verantwortung für ihr Kind, Haushalt und Schichtdienst mit mehr oder weniger starren Zeiten hinbekommen? Wer davon überzeugt ist, dass das in der Theorie gelingen kann, sollte es selbst einmal in der Praxis ausprobieren. Wenn man Pflegerinnen und Pfleger wirklich ernst nehmen will, dann heißt das konsequent, ihnen nicht mehr abzuverlangen als sie tatsächlich leisten kann.
Was bleibt? Der Tod des 54jährigen ist nicht wiedergutzumachen. Er ist unentschuldbar. Solche Fälle dürfen sich natürlich auch nicht wiederholen. Aber wenn sie dazu führen, dass sich die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern, dann hätten sie – so zynisch das auch klingt – wenigstens noch einen Sinn. Und das bitte schön weit über Coronazeiten hinaus.

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