Drücken Sie Enter, um das Ergebnis zu sehen oder Esc um abzubrechen.

31. Januar, Welt-Lepratag

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

31. Januar, Welt-Lepratag

„Ich glaub keiner Statistik, die ich nicht selber gefälscht habe!“ Winston Churchill wird dieser Satz zugeschrieben. Aber vermutlich hat er ihn nie gesagt. Mir egal. Ich finde ihn trotzdem gut, misstraue Statistiken grundsätzlich. Auch dieser hier, die besagt: Die Zahl der Neuerkrankungen an Lepra ist weltweit wohl wieder gesunken. Genaues weiß man allerdings noch gar nicht. Denn die Zahlen für 2020 liegen noch nicht vor. Aber da die Zahlen seit Jahren sinken, dürfte sich der Trend auch in diesem Jahr fortsetzen.

Grund zur Freude? Wohl kaum. Denn selbst wenn sich die Zahl der Neuerkrankungen wieder um 5.000, 10.000 oder vielleicht sogar um 15.000 Menschen reduzieren sollte, lässt diese Zahl doch einiges ungesagt: zum Beispiel dass es immer noch rund 200.000 Neuerkrankungen pro Jahr gibt. Eine viel zu hohe Zahl! Die noch höher wird, wenn man berücksichtigt, dass in der Vergangenheit Kernländer der Lepraerkrankung wie Uganda und Liberia „schon mal großzügig“ auf die Meldung ihrer aktuellen Fallzahlen verzichtet haben. Und dass Experten die Dunkelziffer für extrem hoch halten, weil die Inkubationszeit bei Lepra mehrere Jahre beträgt. Manchmal sogar 20 oder 30 Jahre. Und so ganz nebenbei: Ziel der Weltgesundheitsorganisation war es einmal, die Krankheit bis 2005 auszurotten. Gelungen ist das nachweislich leider nicht.

Allerdings leben die Erkrankten weit, weit weg, hauptsächlich in Afrika, Indien und Brasilien. Bei uns in Europa und überhaupt in allen Ländern, die über gute Hygiene und hervorragende Möglichkeiten zur Ernährung verfügen, gilt Lepra als ausgerottet. Umkehrschluss: In Ländern, in denen die Möglichkeiten zur Hygiene mangelhaft sind, in denen Unterernährung herrscht und in denen somit das Immunsystem geschwächt ist, grassiert die Lepra weiterhin.

Weil bei uns diese Krankheit nahezu vergessen ist, sinkt auch der Blick für die Bedürftigkeit in anderen Ländern. Was man zum Beispiel an der Entwicklung von Impfstoffen merkt: Während es nach der Entdeckung des Coronavirus gerade mal ein gutes Jahr gedauert hat, bis eine ganze Reihe von Impfstoffen zur Verfügung stehen, kennt man den Erreger der Lepra, das Mycobacterium leprae, seit 1873, also seit rund 150 Jahren. Ein Impfstoff… soll 2025 vorliegen. Vielleicht! Zuletzt vorgesehene Testreihen wurden wegen Corona erst einmal auf Eis gelegt.

Genaugenommen ist Lepra eine der ältesten bekannten Erkrankung der Welt. Anhand von Untersuchungen in Indien und

im Nahen Osten weiß man, dass Lepra dort schon vor 4.000 Jahren existierte. Rund 500 Jahre später wird die Krankheit bereits in ägyptischen Papyri erwähnt. Bereits um 250 vor Christus beschreiben sie griechische und ägyptische Ärzte ziemlich genau. In biblischen Zeiten sprach man – in der deutschen Übersetzung – von „Aussätzigen“. Denn über Jahrhunderte wurden Erkrankte vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen, in Europa bürgerlich für tot erklärt. Sie mussten außerhalb der Gemeinschaften leben und durften sich niemandem nähern. Wer sie sah, suchte das Weite. Wer sie hörte, auch: Denn in vielen Regionen, vor allem auch im mittelalterlichen Europa, mussten sie Glöckchen tragen. So konnten Gesunde die Aussätzigen schon von weitem bemerken und einen großen Bogen um sie machen.
Eine Heilung von Lepra galt bis Mitte des 20. Jahrhunderts als nahezu ausgeschlossen. Erst mit diesem Wissen bekommt die biblische Darstellung Jesu, der auf Aussätzige zugeht und sie heilt, seine ungeheure Sprengkraft.

Die Verbreitung von Lepra erfolgt von Mensch zu Mensch, wohl über Tröpfcheninfektion. Dazu müssen die Kontakte langanhaltend und intensiv sein. Eine kurze Berührung reicht in der Regel für eine Ansteckung nicht aus. Genau dieses Wissen stellt aktuell Wissenschaftler vor ein Rätsel: Denn sie haben bei freilebenden Affen, die mutmaßlich nie mit Menschen in Kontakt gekommen sind, die Erkrankung entdeckt.

Lepra ist eine schlimme Krankheit. Das Bakterium befällt Nerven, führt zu auffälligen Veränderungen an Haut, Nervengewebe, Schleimhäuten und Knochen. Die Folge: schreckliche Verstümmelungen an Händen und Füßen, oft genug auch im Gesicht. In extremen Fällen können einzelne Körperteile, auch das Gesicht, von der Erkrankung regelrecht zersetzt werden. Trifft dies bestimmte Gliedmaßen, führt dies in seltenen Fällen auch zum Verlust von Fingern oder Zehen. Allerdings ist dies nicht, wie fälschlich angenommen wird, typisch für eine Lepraerkrankung. Weitaus häufiger wird eine Lepraerkrankung zum Einfallstor für Infektionen: Da die Nerven betroffen sind, haben Erkrankte kein Gefühl für Kälte, Hitze oder Schmerz, bemerken in vielen Fällen auch anderweitige Verletzungen nicht einmal und erleiden infolgedessen lebensgefährliche Infektionen. Können Erkrankte aufgrund des Verlustes der Augenlider die Augen nicht mehr schließen, folgt vielfach eine Erblindung.

Was aber zumindest genauso schlimm ist wie die körperlichen Beeinträchtigungen ist die mit der Erkrankung einhergehende Stigmatisierung. Gerade in den Ländern, in denen die Krankheit am meisten verbreitet ist, werden Erkrankte vom Arbeitgeber gefeuert, aus der Stadt gejagt, sozial isoliert, in den Statistiken verschwiegen. Immer noch gibt es Fälle, in denen Lepra als „gerechte Strafe“ für ein zuvor falsches Verhalten angesehen wird. Bis vor kurzem war eine Lepraerkrankung in Indien ein akzeptierter Scheidungsgrund: Männer konnten ihre erkrankten Ehefrauen aus Angst, selbst zu erkranken, verlassen. Ein eigenes Lepramuseum auf dem Gelände des Acwroth-Spitals im Mumbay (früher: Bombay) zeigt die Stigmatisierung in eindrucksvoller Weise. Wer nicht ganz so weit fahren will, kann sich im Lepramuseum im westfälischen Münster einen Eindruck von der Erkrankung und ihren Auswirkungen verschaffen.

Was also kann man tun? Heute weiß man: Sechs bis zwölf Monate eine Kombi-Therapie mit drei verschiedenen Antibiotika und ein Erkrankter kann aus der Statistik der Leprapatienten gestrichen werden. Als „geheilt“ gestrichen. Ein Ansatz, um die Verschlimmerung und die weitere Übertragung der Erkrankung zu verhindern. Aber nicht der einzige notwendige Ansatz. Denn die Verstümmelungen an Händen, Füßen, die oft ein krallenartiges Zusammenziehen vor allem der Finger nach sich ziehen und diese unbrauchbar machen, also auch das Arbeiten, den Broterwerb verhindern, bleiben. Auch die die Verformungen im Gesicht bleiben. Und mit diesen Merkmalen auch die soziale Ausgrenzung.

Für Hilfsorganisationen bleibt viel Arbeit: Der weiteren Verkümmerung von Gelenken, aber auch der Schmerzlinderung kann zum Beispiel eine individuelle Physiotherapie entgegentreten: Das Kneten der Hände in flüssig-warmen Wachs ist zum Beispiel eine Methode dazu. Ohne Hilfe von außen allerdings gäbe es diese Möglichkeit gar nicht.
Vor allem aber: Hilfsorganisationen gehen auf die Leprakranken zu, heben die soziale Isolation auf, geben ihnen Arbeit und so neuen Lebensmut. Sie lassen die Betroffenen deutlich spüren, dass ihr Leben, dass sie selbst einen Wert haben.
Und grundsätzlich gilt: In gleichem Maße, in dem die Möglichkeiten zur Hygiene besser werden, die Unterernährung schwindet und somit das Immunsystem stärker wird, wird die Übertragung von Lepra geschwächt. Außerdem müssen Wege gefunden werden, um selbst bei den Ärmsten der Armen das Bewusstsein zu schaffen, dass die schlimmsten Auswirkungen der Erkrankung vermieden werden, wenn Lepra bei den ersten Anzeichen behandelt wird.

Das kostet genauso Geld wie die Bemühungen, irgendwann einmal die Krankheit tatsächlich auszurotten. Bis dahin brauchen die Erkrankten die Solidarität der Gesunden. Gedanklich, so dass die Lepraerkrankten nicht vergessen werden, und finanziell. Und das nicht nur heute, am Welt-Lepratag.
Mit Statistiken lassen sich – bei allen Einschränkungen – Quantitäten abbilden. Weitaus wichtiger sind Bewusstmachung und aktive Hilfe.

Kommentare

Hinterlassen Sie ein Kommentar