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29. Januar, Satiriker Ephraim Kishon (gest. 2005)

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

29. Januar, Satiriker Ephraim Kishon (gest. 2005)

Was denn nun? War sie nun „die beste Ehefrau von allen“ oder „die Schlange, mit der ich verheiratet bin“? Der Satiriker Ephraim Kishon hatte seine eigene Art, seine Ehefrau Sara zu charakterisieren. Und so ganz nebenbei deutlich zu machen: Alles kommt auf den Zusammenhang an, auch die Beziehung zu seinem Ehepartner. Aber selbst dann, wenn seine Frau in einer seiner Kurzgeschichten zur „Schlange, mit der ich verheiratet bin“ mutierte, war sie in der nächsten, spätestens übernächsten dann doch wieder „die beste Ehefrau von allen“. Und das blieb sie jenseits der vielen fiktiven Geschichten wohl auch in 44 Jahren gemeinsamen Ehelebens. Gerade für Sara mag das nicht immer leicht gewesen sein. Selbst wenn es nur einen Teil der vielen Affären ihres Mannes, die es angeblich gegeben hat, wahr wären.

An dieser Stelle bekenne ich mich schuldig: Über zwei Dutzend Bücher von Ephraim Kishon stehen in meinem Bücherschrank. „Drehn Sie sich um, Frau Lot“, „Arche Noah, Touristenklasse“, „Wie unfair, David!“, „Der Blaumilchkanal“ und „Nicht so laut vor Jericho“ sieht man deutlicher als den anderen an, dass ich sie – am Strand, im Gras und anderswo – mehrfach gelesen, ach was: verschlungen habe. Über zwei Dutzend: das ist immerhin ein Großteil der etwa 70 Kishonbücher, die in Deutschland veröffentlicht wurden. Denn zu diesen zählen auch einige, die Sammlungen älterer, bereits veröffentlichter Satiren enthalten. Über 50 Millionen Bücher hat Kishon weltweit verkauft, davon erstaunliche 35 Millionen in Deutschland. Bleiben für rund 40 anderen Sprachen, in die seine Werke übersetzt wurden, lediglich schlappe zehn Millionen. Einer der Gründe mag sein, dass er mit seinen Texten gerade uns Deutschen so treffend den Spiegel vorhielt. Auch wenn einige seiner schönsten Texte bereits seit den 1960er Jahren bei uns bekannt werden, sind sie doch immer noch aktuell. So auch die – bei Kishon natürlich viel schöner als hier formulierte indirekte – Frage nach dem Unterschied zwischen dem Messias und einem Installateur: Der Messias könnte tatsächlich eines Tages kommen.
Selbst wenn niemand – außer vielleicht den Betroffenen selbst – weiß, wie viel von Kishons realen Kindern Amir, Renana und Rafi sowie seiner Ehefrau Sara, Verzeihung, natürlich „von der besten Ehefrau von allen“ in seine fiktionalen Texte eingeflossen sind, gibt jeder Schriftsteller doch durch seine Texte, durch seine handelnden Figuren etwas von sich selbst preis. So behauptet Kishon, dass Schriftsteller das Schreiben hassen. Um das zu belegen, zieht er ein (fiktives?) Gespräch mit seiner Frau heran. Die soll auf die Frage, ob das Gebären ein Vergnügen sei, geantwortet haben: „Das Baby ja, aber die Geburt doch nicht!“ Mit dem Schreiben, so Kishon, sei es dasselbe. Dabei scheint es zumindest so, als seien dem im ungarischen Budapest geborenen Autoren seine Texte seit frühester Jugend nur so aus der Feder geflossen. Schon mit zwölf Jahren erhielt er den ersten Preis in einem Novellenwettbewerb für Mittelschüler. Damals hieß Ephraim Kishon noch Ferenc Hoffmann. Um weniger bürgerlich zu klingen, veröffentlichte er später unter dem Namen Kishont, ein Wort, was an eine kleine ungarische Verwaltungseinheit meint.
Sein Lebensweg ist atemberaubend: Als Kind einer ungarisch-jüdischen Familie ist ihm der Hochschulzugang verwehrt. 1944 wird der Zwanzigjährige in ein Arbeitslager in der heutigen Slowakei deportiert, von wo aus er ein Jahr später nach Polen transportiert werden soll. Unterwegs gelingt ihm die Flucht. Abgesehen von ihm, seinen Eltern und seiner Schwester Agnes wird 1994 der größte Teil seiner Familie in Auschwitz ermordet. 1945 wird Hoffmann erneut gefangengenommen, soll – willkürlich – in ein russisches Arbeitslager gebracht werden. Erneut gelingt ihm die Flucht. Mit seiner ersten Ehefrau, Eva, flieht er im Viehwaggon nach Wien, dann weiter nach Italien. Von dort aus gelangt er im Mai 1949 mit einem Flüchtlingsschiff nach Israel. Bei seiner Einreise nimmt ihm ein Beamter der Einreisebehörde quasi das letzte, was ihm geblieben war: seinen Namen. Der Beamte, so erzählt Kishon in einer seiner Geschichte, streicht einfach das „t“ am Namensende und ersetzt seinen Vornamen mit der Bemerkung „Ferenc gibt es nicht“ durch Ephraim.

Erstaunlich ist es, dass sich die tragischen Wendungen

in Kishons Leben lediglich in seiner politischen Haltung niederschlagen: So habe er bereits in seiner Jugend erkannt, dass es gegen Antisemitismus lediglich eine Antwort gäbe, nämlich einen starken jüdischen Staat Israel, den der Autor in Interviews immer wieder verteidigt. In seinen Texten finden sich weder Verbitterung noch Aggression, im Gegenteil: Seitdem er 1952 in der Zeitung Ma’ariv eine tägliche Kolumne übernimmt, die er 30 Jahre lang betreut, liegt sein Schwerpunkt in humoristischen, pointierten und nahezu liebevollen Beschreibungen menschlicher Schwächen, Schrullen und Eigenarten. Dabei erweist sich Kishon als akribischer Beobachter der kleinen und großen Ärgernisse, vor allem im israelischen Alltag, dessen Bürokratie und in der Politik, von denen viele Parallelitäten im Deutschland derselben Zeit hatte und zum Teil immer noch haben. Immer wieder dient auch Kishons eigene Familie als Erzählfolie für seine Geschichten, wobei nicht genau festgemacht werden kann, inwieweit er seine Wahrnehmungen lediglich auf seine Familie transferiert oder tatsächliche Familienerlebnisse satirisch überzeichnet literarisch verarbeitet.

Wer schreibt, der bleibt – Ephraim Schriftsteller hatte seine eigene Interpretation dieses Satzes: Weil ihn die Großväter derjenigen, die nach seinen Lesungen um ein Autogramm bittend Schlange stehen, in der Nazizeit wie viele andere Juden am liebsten umgebracht hätten, empfinde er beim Schreiben seiner humorvollen Geschichten, erst recht aber beim Signieren seiner Bücher große Genugtuung. Dabei empfinde er, so stellt er klar, der neuen Generation Deutscher gegenüber keinerlei Hass. Für ihn gebe es keine kollektive Schuld, sondern leidglich kollektive Schande. Seine humoristischen Darstellungen seien sein Versuch, zur Versöhnung beizutragen.

Vielleicht gehört solch eine Haltung zu dem, was das eigene Leben überdauert: als Leitbild, ja Vorbild für andere das Leben von der heiteren Seite zu nehmen, selbst wenn die eigene Vita anderes nahelegt. Oder wie Kishon mit Blick auf die erbetenen Autogramme sagt: Nicht weinen, sondern unterschreiben!

Seit Anfang der 1980er Jahre lebte Ephraim Kishon in Appenzell (Schweiz) und in Tel Aviv. Er starb am 29. Januar 2005 an den Folgen eines Herzanfalls. Sein Grab ist auf dem Alten Friedhof in Tel Aviv.

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