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7. Februar – Martin Niemöller über Zivilcourage

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

7. Februar – Martin Niemöller über Zivilcourage

Als am 11. August und 12. August 2017 rechtsradikale Gruppen in Charlottesville (US-Bundesstaat Virginia) demonstrierten, eine Frau töteten und 19 Menschen zum Teil schwer verletzten, tat sich der damalige Präsident Donald Trump schwer damit, die Taten zu verurteilen. Republikaner wie Demokraten forderten, das Unrecht beim Namen zu nennen und inländischen Nazi-Terrorismus zu verdammen. Trumps damaliger Leiter des Ministeriums für Veteranen, David Shulkin, wollte seinen Chef wohl nicht direkt attackieren. Also zitierte er ein Gedicht, wie er sagte. Einen Text des deutschen evangelischen Pfarrers und Theologen Martin Niemöller.
Ein Text, dem man vielleicht zufällig begegnet – den man aber danach nie wieder loswird. Ein Text, der sich von Zeit zu Zeit wieder einmal meldet. Einer, der mir sagt: Manchmal muss man aufstehen und gegen offensichtliches Unrecht eintreten. Ein Text, mit dem der evangelische Theologe lange nach dem 2. Weltkrieg eigentlich eine Antwort darauf geben wollte, warum seine Generation nichts gegen die Deportation von Juden unternommen habe, warum sie zugesehen und geschwiegen habe. Tatsächlich aber geht Niemöllers Text viel weiter.

Von Kommunisten handelt Niemöllers Text, von Sozialdemokraten und Juden. Und, weil man heute nicht wirklich weiß, welche der vielen Fassungen dieses Textes authentisch ist, auch von Gewerkschaftlern und Katholiken. In kurzen, knappen Sätzen zeigt Niemöller auf: Eine Gruppe nach der anderen wird von der Staatsmacht aus dem Alltag gerissen, abgeholt und inhaftiert. Ich habe geschwiegen, ich gehörte ja nicht dazu, heißt es sinngemäß nach jeder Verhaftungswelle. Die Begründung: Ich gehörte ja nicht dazu. Was wohl so viel heißt, wie: Wenn Unrecht geschieht, dann geht mich das nichts an. Ich bin ja nicht betroffen. Warum soll ich da etwas sagen? Also schweige ich lieber fein still, ducke mich weg.
Eine groteske Vorstellung. Eine, die zum Scheitern verurteilt ist. Die Konsequenz beschreibt Niemöller knochentrocken in seinem letzten Satz: Als er selbst nämlich abgeholt wurde, gab es niemanden mehr, der dagegen aufbegehren konnte. Diejenigen, die für ihn hätten eintreten können, waren nämlich schon alle vorher der Staatsgewalt zum Opfer gefallen.

Wie kommt jemand dazu, solch einen Satz zu sagen? Hilft ein Blick auf die Person Martin Niemöller? Vielleicht. Auf einem U-Boot bringt er es im 1. Weltkrieg bis zum Kommandanten, ist radikaler Antisemit und Antidemokrat, der nach dem Krieg für die Wiedereinführung der Monarchie ist, will eigentlich Bauer werden,


studiert aber Evangelische Theologie, weil das Geld für einen eigenen Hof nicht reicht, wird Pfarrer in Berlin. Viele, viele Jahre ist er mehr als nur Sympathisant des Nazi-Regimes, engagiert sich in mehreren rechtsradikalen Organisationen. Als die Nazis den sog. Arierparagraphen einführen, bedeutet dies auch die Entfernung von Nichtariern aus Kirchenämtern und damit eine Schwächung der Kirche. Niemöller organisiert die Gründung des Pfarrernotbundes, der gegen den Arierparagraphen protestiert und Betroffene unterstützt. Aus diesem Pfarrernotbund geht später die „Bekennende Kirche“ hervor – eine Vereinigung, die eine Art kirchliches Notrecht für sich formuliert und damit den religiösen Widerstand gegen das Unrechtsregime begründet. Die braunen Machthaber hatten vor allem bei den sogenannten Deutschen Christen entschiedene Anhänger. Die verstanden sich nämlich als „SA Jesu Christi“ und wollten das Christentum mit der nationalsozialistischen Ideologie „gleichschalten“, wie das damals hieß. Auf deutsch: die Kirche einkassieren, der Partei unterstellen.
Als sich Niemöller und Co dagegen wenden, kommt es dicke: Amtsenthebungen, Verfolgung, Inhaftierung von Pastoren und Laien sind schlagartig an der Tagesordnung, Bücher und Zeitschriften werden ratzfatz verboten. Während Niemöller die Auffassung vertritt, dass Politik und die wesentlichen Elemente des Glaubens nicht vermischt werden dürfen, sieht Hitler das Gegenteil realisiert: Das Engagement der „Bekennenden Kirche“ sieht er als Kampf gegen den Staat. Über diese Frage kommt es bei einer persönlichen Begegnung zwischen den beiden zu einer heftigen Auseinandersetzung. Von da an scheint es eine Entfremdung zwischen Niemöller und dem NS-Regime zu geben, auch wenn der Theologe weiterhin nationalistisch denkt.
Ab 1934 beobachtet die Geheime Staatspolizei den Berliner Pfarrer und verhaftet ihn 1935 kurzzeitig, nachdem Niemöller mehrfach die Kirchenpolitik des Staates angegriffen hat. 1937 wird der Theologe erneut verhaftet. Am 7. Februar 1938, also heute vor 83 Jahren, beginnt ein erneuter Prozess gegen Niemöller, der mit einer siebenmonatigen Festungshaftstrafe endet. Die vorausgegangene Untersuchungshaft wird zwar angerechnet, doch Niemöller wird als „Hitlers persönlicher Gefangener“ ins Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht. Mit Ausbruch des 2. Weltkriegs (1930) meldet sich Niemöller freiwillig, um erneut als U-Boot-Kommandant Dienst zu tun, was man jedoch mit der Begründung seines gegen den Staat gerichteten Verhaltens ablehnt. 1941 kommt Niemöller ins Konzentrationslager Dachau. Nachdem er noch 1945 in ein Lager in Südtirol verbracht wird, wird er dort am 30. April befreit. Die Inhaftierung verändert Niemöllers theologische Einstellung. Mehrere Jahre überlegt er ernsthaft, zum Katholizismus zu konvertieren, was aber letztlich am Widerspruch seiner Frau scheitert.

Wer also ist Martin Niemöller? Soviel schein klar zu sein: Niemöller war wohl weder Pazifist, noch Gegner des Nationalsozialismus oder gar Demokrat. Aber er war auch derjenige, der nach dem 2. Weltkrieg maßgebliche Ideen zur Neustrukturierung der Evangelischen Kirche in Deutschland entwickelte, ohne diese umsetzen zu können, der als Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vorstand und ab 1954 radikal pazifistische Ideen entwickelte. Und das alles ist nur ein Teil von dem, was für Niemöller Biographie entscheidend ist. Eine Bewertung seines Lebens und Handelns verbietet sich jedoch, zumindest her, an dieser Stelle. Hier geht es ausschließlich um die Frage, ob es die angesprochenen Stationen in seinem bewegten Leben ermöglichen, den bereits angesprochenen kurzen Text Niemöllers zu verstehen.
Ich denke, ja! Mit Blick auf Niemöllers Leben wird klar: In seinem Text geht es nicht um Selbstschutz. Er ist vielmehr der Aufruf, sich schon gegen die Anfänge wehren. Weil es danach vielleicht zu spät ist.
Aber woher weiß man im Vorfeld, was man besser verhindern sollte, weil daraus ansonsten Chaos entsteht? Und: Darf ich alles verhindern, weil daraus vielleicht, vielleicht aber auch nicht, ein Problem werden könnte? Niemöllers Richtschnur war die eine Frage: Was würde Jesus tun? Würde der in dieser und jener Situation auch schweigen oder zusehen? Ausschlaggebend ist also Niemöllers Theologie. Und das ist die Theologie des Christentums: Wenn jemand Hilfe benötigt, dann hilf ihm. Wenn jemand zu schwach ist, seine Stimme zu erheben, dann mach du dich zu seiner Stimme. Wenn jemandem Unrecht geschieht und er sich nicht selbst dagegen wenden kann, dann wende du dich für ihn dagegen.
So betrachtet gehen Niemöllers Sätze weit hinaus über die Frage, warum seine Generation bei der Deportation von Juden geschwiegen habe. Sie implizieren, dass sich jeder Mensch stets der Frage nach seiner Verantwortung für seine Mitmenschen stellen soll. In jeder Situation. Aber Vorsicht: Wer sich ernsthaft darauf einlässt, der verändert sein Leben. Denn einmal ernsthaft gestellt lässt diese Frage einen nie wieder los!

Nachtrag: Im Frühjahr 2018 wurde David Shulkin von seinem Präsidenten gefeuert. Er war wegen Dienstreisen, bei denen er seine Frau mitgenommen und die Kostendienstlich abgerechnet hatte, nicht mehr zu halten…

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