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13. Februar – Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ als Hörspiel (1947)

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

13. Februar – Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ als Hörspiel (1947)


Mit der Kunst ist es wie mit dem Sport: Man kann sich über das Dargebotene trefflich streiten. Und, wenn nicht gerade wie jetzt, Corona die Stadien und Theater geschlossen hält, kann man sogar darüber abstimmen. Mit den Füßen, zum Beispiel. Beim Fußball sehen wir das – normale Zeiten vorausgesetzt – sogar ziemlich oft: Da sind die Fans desillusioniert und verlassen noch vor Spielende das Stadion. Im Theater sind die Zuschauer meist so höflich und warten bis zur Pause. Wenn sie dann ohnehin kurz den Saal verlassen, kehren sie einfach nicht zurück. Nur wenn Theaterbesucher besonders verärgert sind, reagieren sie ganz unhöflich und verlassen noch während die Schauspieler auf der Bühne agieren – wie sagt man? – den Saal fluchtartig.
Erlebt habe ich eine dermaßen drastische Flucht einmal vor Jahren in einem anerkannt guten Haus. Dort gab es die Aufführung von „Draußen vor der Tür“. Geschrieben hatte es Wolfgang Borchert mit gerade einmal 25 Jahren. Wie sein Theaterstück als moderne Oper klingen würde, hatte er sich bestimmt nicht träumen lassen. Die meisten Zuschauer der Aufführung, der ich beiwohnte, wohl auch nicht. Die Schar derer, die mit mir bis zum bitteren Ende aushielt, war, sagen wir mal: überschaubar!
Vermutlich hielt auch ich nur durch, weil mich die Geschichte so anrührte. Denn „Draußen vor der Tür“, aus gutem Grund Bestandteil des Kanons lesenswerter Schullektüre, erzählt die Geschichte des Kriegsheimkehrers Beckmann, der mit seinen Erlebnissen, mit seinen Schuldgefühlen und, ja auch mit seinen Psychosen nicht mehr klarkommt. Einfach schrecklich. Insofern war die Opernaufführung mit ihren Dissonanzen, schrägen und erschreckenden Tönen ja zumindest konsequent. Sie schmerzten im wahrsten Sinne des Wortes – so wie auch die Handlung des Stücks die Seele schmerzt. Denn Beckmann findet an die Gesellschaft der Nachkriegszeit keinen Anschluss. Überall wird er abgewiesen und bleibt, wie der Titel des Stücks schon sagt, als Mensch „draußen vor der Tür“. Es ist die Geschichte von jemandem, der an seiner Einsamkeit nahezu erstickt. Der verlacht und verstoßen wird. So verstoßen, dass ihn sogar die Elbe wieder ausspuckt, als er sich in diesem Fluss das Leben nehmen will. Vor allem bleibt er mit seinen vielen Fragen allein. So wie der junge Wolfgang Borchert, der sich dieses Stück in nur wenigen Tagen quasi von der Seele schrieb.

„Draußen vor der Tür“ ist ein expressionistisches Drama und gilt aus gutem Grund als Schlüsselstück der so genannten Trümmerliteratur. Ja, es

erzählt eine tragische Geschichte. Und die ist so tragisch wie die Lebensgeschichte von Wolfgang Borchert selbst: zum Kriegsdienst gezwungen, Teilnehmer am Angriff auf das damalige Russland, zieht sich Verletzungen und Infektionen zu. Weil er die politische Führung kritisiert, wird er inhaftiert, weggesperrt. Nach dem Krieg wird seine Lebenssituation nicht besser: Borchert ist ans Krankenbett gefesselt, kommt nicht mehr auf die Beine, findet keinen Anschluss an die neue Zeit. All das findet sich in diesem Stück: Elend, Einsamkeit, Traumata, Verzweiflung, Desillusionierung, die Frage nach dem Sinn des Lebens. Und das Ganze ist nicht etwa das Einzelschicksal des Wolfgang Borchert – auch das wäre tragisch genug – nein, es ist das Schicksal einer ganzen Generation.

Allzu viele Werke hat Wolfgang Borchert Autor nicht hinterlassen. Dafür wurde er nicht alt genug. Die Kurzgeschichte „Nachts schlafen die Ratten doch“ kann man kennen. Unbedingt lesenswert. Aber „Draußen vor der Tür“ ist Borcherts bekanntestes Werk. Bedrängend, bedrohlich, mitreißend und beängstigend. Borcherts Haltung, seine Botschaft ist eindeutig: Der Wahnsinn von Krieg und Gewalt ist das Schlimmste, was Menschen anderen Menschen antun könne.

Trotz Krankheit und körperliche Schwäche gibt es dann aber doch einen Lichtblick im Leben von Wolfgang Borchert: Plötzlich erwacht Interesse an „Draußen vor der Tür“. Am 13. Februar 1947 strahlt der damalige Nordwestdeutsche Rundfunk, NWDR, Borcherts expressionistisches Drama als Hörspiel aus. Und: Für den 21. November 1947 wird die Uraufführung als Theaterstück geplant.

Fast scheint es, als habe Borchert den Wahnsinn des Krieges und seiner Folgen durch sein eigenes Schicksal unterstreichen wollen. Denn die Uraufführung seines Theaterstücks hat er nicht mehr erlebt. Er starb einen Tag vorher… an den Nachwirkungen seiner Erkrankungen während des Krieges.

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