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Carpe Diem vs. unnützes Wissen! (24. Juni)

Wie das beim Aufräumen so ist: Plötzlich halte ich einen Artikel in Händen, den ich vor rund 20 Jahren aufgehoben habe. Demnach wurden einer damals aktuellen Untersuchung zufolge an den Küsten der Niederlande und Schottlands mehr linke Schuhe angeschwemmt als rechte Schuhe. Was Wissenschaftler doch so alles erforschen! In diesem Fall agierte die Forschung nicht auf ganz so hohem Niveau. Denn das Zählen hätten vermutlich auch Drittklässler übernehmen können.
Und schon reihe ich mich mit diesem nahezu gotteslästerlichen, weil wissenschaftskritischem Denken nahtlos ein in den Chor der notorischen Nörgler an diesem Forschungsobjekt ein. Deren Anfragen hatten allerdings ein ganz anderes Kaliber:

Alles bedacht?

Haben die Forscher auch die unterschiedlichen Einwohnerzahlen in den Niederlanden und in Schottland berücksichtigt? Verfälscht möglicherweise der Linksverkehr auf den Britischen Inseln die Statistik? Und was ist mit Kontinentaleuropäern – also Menschen, die im Rechtsverkehr leben – , die infolge eines Unfalls früher ihr linkes Bein verlieren als ihr rechtes? Hat man diese genauso berücksichtigt wie Menschen von der Insel, die möglicherweise das rechte Bein schneller verloren? Wurde die Untersuchung auch wirklich gründlich geführt? Gibt es möglicherweise einen Zusammenhang zu Menschen, die zwei linke Hände haben? Haben die auch zwei linke Füße? Fragen über Fragen, die die Untersuchung – kaum war sie veröffentlicht – schon wieder ins Zwielicht geraten ließen.

Chancen bei Weiterführung der Forschungsarbeit

Hätte man hier konsequent und gewissenhaft weitergearbeitet, wären möglicherweise gleich noch eine ganze Reihe von Erkenntnissen hinzugekommen,

die die Menschheit seit ihren Anfängen beschäftigen. Zum Beispiel, warum beim Waschen von Socken schon nach kurzer Zeit einzelne Exemplare übrigbleiben, deren Gegenstücke aber wie vom Erdboden verschluckt sind. Für die Niederländer wäre zudem eine ganz andere Frage von existentieller Bedeutung gewesen: Ob nämlich an ihren Küsten oder an den schottischen mehr Holzschuhe angeschwemmt wurden. Vielleicht hätte man aus diesem Befund die Zukunftserwartungen der Oranje-Nation, ja vielleicht sogar aller Europäer oder der ganzen Welt in irgendeiner Weise extrapolieren und damit vorhersagen können. Sein oder Nicht-Sein, das ist auch hier einmal die Frage.

Alles anders durch den Brexit?

Was mich sofort zur nächsten Überlegung führt: Würde die Untersuchung heute, nach dem Brexit, zu denselben Ergebnissen führen wie damals, vor dem Brexit? Läge veränderte Ergebnisse denn überhaupt am Brexit? Vielleicht haben sich ja die Gewohnheiten, einen Schuh zu verlieren im Laufe der Jahre verändert? Vielleicht im UK anders als im restlichen Europa? So wie sich das Mitführen und Vergessen von Regenschirmen dank des Klimawandels ja möglicherweise auch verändert hat. Und schon eröffnet sich ein ganz neues Forschungsfeld: Gibt es möglicherweise einen Zusammenhang zwischen irgendwo in Cafés, Bussen und Bahnen vergessenen Regenschirmen und an Küsten angeschwemmten Schuhen? Das wäre doch ein ganz praktisches Forschungsfeld, eines, das die Menschheit wirklich bewegt. Oder?

Keine anderen Sorgen?

Es liegt mir fern, über wissenschaftliche Untersuchungen zu lachen. Aber manchmal stelle ich mir schon die Frage, was Wissenschaftler alles so erforschen. Und warum überhaupt? Welche Forschungsprojekte bezuschussen möglicherweise die EU oder irgendwelche anderen Organisationen? Mit welcher Absicht? Gibt es keine wichtigeren Themen? Ich hätte da ein paar: Was folgern wir aus der Tatsache, dass Kinder in Corona-Zeiten noch mehr als bislang unter Gewalt, auch sexueller Gewalt ihrer Erziehungsberechtigten leiden? Was tun wir dagegen, dass Kinder zu Kindersoldaten regelrecht abgerichtet und zu Grausamkeiten gezwungen werden, die sie ihr Leben lang nicht mehr vergessen? Was tun wir dagegen, dass Kinder, aber auch Erwachsene zur Prostitution gezwungen werden? Wem das noch nicht reicht, für den habe ich noch ein paar andere Schlagworte: Umweltverschmutzung, Klimakatastrophe, Verkehrskollaps, planmäßiger Betrug und Bandenkriminalität, durchgeknallte Narzissten in verantwortungsvollen Positionen und Ämtern bis hin zum Staatslenker – woher kommt das alles? Und was können wir dagegen unternehmen?

Trübe Gedanken

Ja, mich überfallen angesichts unserer Gesellschaft und unseres Planeten trübe Gedanken. Ist die Menschheit auf dem besten Weg, sich selber abzuschaffen? Sind wir mittlerweile so weit, dass wir es uns in unserer Zeit zu bequem gemacht haben? Hauptsache Brot und Spiele? Geht es uns so wie den einstmals mächtigen antiken Ägypter, Babylonier, Griechen, Römer und vielen anderen Völkern, deren Namen die meisten von uns heute nicht einmal mehr kennen, weil sie und ihre Kultur untergegangen sind? Sind wir wie viele von ihnen unfähig geworden, den Herausforderungen des Alltags zu begegnen? Einigkeit und Recht auf Freizeit? Sind wir bereits so dekadent, dass wir uns nicht genug auf die wichtigen Dinge des Daseins fokussieren? Ganz ehrlich: Ich weiß das nicht. Aber manchmal stelle ich mir diese Fragen. Und fürchte, dass wir tatsächlich langsam, aber sicher dahinsiechen, ohne auch nur irgendetwas davon bemerken.

Perspektiven

Ich weiß, ich kann die Welt nicht ändern. Muss ich auch gar nicht. Allenfalls in meiner eigenen kleinen Welt kann ich versuchen, mich auf die Dinge zu konzentrieren, die wichtig sind. Die mir wichtig sind. Auf einen respektvollen Umgang mit Menschen, mit Freunden, Bekannten, Nachbarn, Kollegen. Mit jedem, der mir begegnet. Wenn ich es dann noch schaffe, verantwortungsvoll mit meiner Umwelt umzugehen, dann ist das schon Aufgabe genug.
Hilfreich dabei könnte es sein, all dem, was meine Kräfte bindet, weniger Platz in meinem Leben zu geben. Das, was mir nicht wichtig ist, nicht mehr so intensiv wie bisher an mich heranzulassen. Mich von Energie- und Zeiträubern, von wirklich Unnützen zu befreien. Schlagzeilen eines bestimmten Formats nicht mehr zur Kenntnis zu nehmen, könnte Energie und Kreativität freisetzen.
Oder wissen Sie noch, ob es nun linke oder rechte Schuhe sind, die in Holland und Schottland vermehrt angetrieben wurden? Falls ja: Vergessen Sie es! Falls nein: Vergeuden Sie nicht Ihre Zeit damit, es oben noch einmal nachzulesen. Carpe Diem! Das tut Ihnen gut. Und unserer Gesellschaft.
Der Artikel, den ich seinerzeit aufgehoben habe, habe ich soeben entsorgt. Ein erster Schritt!

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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