Drücken Sie Enter, um das Ergebnis zu sehen oder Esc um abzubrechen.

Beerdigt in einer Chipsdose? (31. Juli)

Zugegeben: Tod und Sterben gehört zu den Dingen, die man als junger Mensch gern verdrängt. Trotzdem werden sie gelegentlich zum Thema. Zum Beispiel gestern Abend, als Hank mich unvermittelt fragt: „Möchtest du in einer Chipsdose beerdigt werden?“ Erst denke ich, Hank macht wieder einen seiner merkwürdigen Witze. Aber schnell merke ich, dass es ihm ernst ist.

Hank

Für die, die selten auf dieser Webseite sind: Hank ist ein alter Kumpel, der in Wirklichkeit Johannes heißt, seinen Vornamen aber schon zu Grundschulzeiten auf Hannes einkürzte und dann in der Pubertät plötzlich nur noch Hank genannt werden wollte – ein Name, von dem er nie wieder loskam. Ein blöder Name. Aber Namen sind ohnehin Schall und Rauch, wie mein Großvater zu sagen pflegt. Wichtig sei, dass der Mensch ein echter Kerl ist. Und das ist Hank. Mit ihm kann man stundenlang Gespräche führen. Hank weiß alles. Oder zumindest weiß er zu fast allem etwas zu sagen. So auch zum Thema „Beerdigung in einer Chipsdose“.

Fred Baur und die Chipsdose

Ein gewisser Fredric John Baur habe sich in solch einer Chipsdose bestatten lassen. Kennen müsse ich den Mann nicht, versichert mir Hank. Der Mann war Lebensmittelchemiker, beschäftigte sich den lieben langen Tag damit, in welcher Verpackung welche Produkte am besten haltbar sind. Auf diese Weise erfand er vor über 50 Jahren die charakteristische Verpackung für Chips der Marke „Pringles“. Die wurde natürlich patentiert und ist bis heute Markenzeichen dieser Sorte. Wenn also nicht den Mann, so würde ich doch zumindest seine Erfindung kennen. Manchmal kann Hank aber auch wirklich dröge sein. Na klar, wer kennt diese Chips nicht? Und damit auch die runde Röhre, in der sie stecken.

Thai Sweet Chili-Sarg?

Fred Baur war zu Lebzeiten so stolz auf seine Verpackungsidee, dass er verfügte: Er wolle in einer Pringles-Dose begraben werden. Als Hank das erzählt, entsteht vor meinem geistigen Auge sofort das Bild eines zwei Meter langen Sarges, der die Form einer Pringles-Verpackung hat. Auf Ideen kommen die Leute. Aber gut, warum nicht? Obwohl ich mir den röhrenartigen Sarg gut vorstellen kann, bin ich mir bei der Farbe nicht sicher. Jede Pringles-Sorte hat eine andere Farbe. Welche Sorte also wird für Fred Baurs Sarg Pate gestanden haben? Wenn ich nicht alles durcheinanderwerfe, dann haben die Original-Pringles eine rote Verpackung. Aber ein roter Sarg? Na, ich weiß nicht. Dann schon eher wie die Geschmacksrichtung Thai Sweet Chili: Die ist orange. Aber ich habe sie auch schon in Violett gesehen. Nein, jetzt habe ich es: Meine Lieblingssorte ist Sour Creme & Onions. Und die stecken in einer grünen Pappschachtel. Ein grüner Sarg also. Und selbst wenn er nicht grün sein sollte: Dieser riesige runde Kopf mit den winzigen Augen und dem gigantischen Schnurrbart muss in jedem Fall dabei sein. Der ist auf jeder Pringles-Packung. Eine Sarggestaltung, die mir Spaß zu machen beginnt.

Opas Asche im Wohnzimmerregal

„Was grinst du denn so blöd“, reißt mich Hank aus meinen Träumen. Und erzählt, dass die Familie von Fred Baur dessen Leiche natürlich in ein Krematorium brachte. Erst die Asche packten die Familienangehörigen in eine Pringles-Dose. Genauer: in zwei. Denn trotz Feuerbestattung blieb am Ende so viel Asche zurück, dass die bei weitem nicht in eine einzige Chipsdose hineinpasste. Also setzte Baurs Familie einen Teil der Asche in einer normalen Urne unmittelbar neben der Chipsdose bei. Eine zweite Urne erhielt Fred Baurs Enkel. Na ja, wenn man mir Opas oder Omas Asche ins Wohnzimmerregal stellen würde – ich bin mir nicht sicher, ob ich mich freuen würde. Andere Länder eben – und andere Sitten.

Beerdigungskultur

Hank und ich haben gestern noch lange über Bestattungen geredet. Dass ein Fußballfan unbedingt im Trikot seines Lieblingsvereins beigesetzt werden will – davon hatte sogar ich schon gehört. Auch wenn ich nicht weiß, ob unsere alles klar regelnde deutsche Beerdigungskultur das tatsächlich erlaubt. Oder ob es sich eher um das Ausnutzen einer Grauzone handelt. Hank weiß

natürlich auch hier noch eins draufzusetzen: In Österreich habe sich ein Fußballfan in einer Urne bestatten lassen, die die Form eines Fußballs hat. Warum auch nicht?
Viel besser gefällt mir aber eine andere Möglichkeit: Wenn ich mich nicht irre, kann man in der Schweiz und in Japan die Asche eines Toten derartig stark zusammenpressen lassen, dass ein Diamant entsteht. Den kann die oder der Hinterbliebene dann als Erinnerung an einen Verstorbenen schön gefasst als Ring am Finger tragen. Oder als Anhänger um den Hals. Auch eine Möglichkeit. Keine schlechte, finde ich. So hat man den Verstorbenen immer ganz nah bei sich.

Praktisch denken – Särge schenken

Ich gebe zu: Ich bin hin- und her gerissen. Das Verhältnis zu Bestattungen hat sich in den letzten Jahrzehnten bei uns drastisch verändert. Grabstellen werden nach Ablauf der Pachtzeit aufgelöst, anonyme Beerdigungen und Seebestattungen werden immer beliebter. Meine Oma fragte uns schon vor längerer Zeit, ob wir Wert auf eine Beerdigungsfeier legten, wenn sie mal sterben würde. Ob wir ein Grab bräuchten, das wir ab und an besuchen könnten? Am liebsten würde sie ihre Asche ins Meer streuen lassen. Wir könnten dabei sein, müssten das aber nicht einmal. Blieben wir zu Hause, würde es billiger. Dann bliebe mehr von ihrem Ersparten für uns übirg. Ja, Oma denkt immer sehr praktisch. Sie sieht dem Tod gelassen entgegen. „Kannst du eh nicht ändern“, sagt sie, wenn das Thema mal darauf kommt. Und manchmal hängt sie ihren Lieblingsspruch an: „Praktisch denken – Särge schenken! Irgendwann braucht jeder einen!“ Ja, meine Oma, das ist schon eine ganz besondere Frau.

Ort der Erinnerung

Seebestattung und anonyme Beerdigung – sie haben sicher einen Nachteil: Trauernde Hinterbliebene haben dann keinen festen Ort, an dem sie an ihren geliebten Angehörigen denken können. Ich bin mir nicht sicher, ob ich so einen Ort überhaupt brauche. Mir gefällt die Vorstellung, dass ich völlig unabhängig von einem Ort an einen lieben Verstorbenen denken kann, ihn „in meinem Herzen trage“, wie Hank das dann pathetisch formuliert. „Aber es ticken nicht alle so wie du, Fräulein“, fügt er noch schnell an. „Fräulein!“ Hank weiß genau, dass ich diese Formulierung hasse. Aber er zieht mich nur zu gern damit auf.
Vor allem hat er recht: Nicht alle ticken so wie ich. Ganz sicher gibt es Menschen, denen die Erinnerung an einen Verstorbenen leichter fällt, wenn es einen konkreten Ort der Erinnerung gibt. In Filmen sieht man das ja immer wieder mal: dass Hinterbliebene ans Grab eines Verstorbenen gehen und dort dann dem Toten alles erzählen, was so in ihnen vorgeht. Das, so denke ich, wird mir nie passieren. Aber bestimmte Webseiten wollen so einen Ort virtuell schaffen: anonym beerdigt, im Internet unvergessen! Es soll ja richtige Gedenkstätten auf solchen Webseiten geben. Ob das aber den Trauernden wirklich hilft? Hank ist sich da nicht so sicher. Ich mir auch nicht.

Oma im Ohr

„Was denn nun“, will Hank irgendwann wissen. Ob ich in einer Chipsverpackung beerdigt werden möchte? Nein, ich persönlich eher nicht. Andererseits: Warum soll nicht einer, der stolz und dankbar auf sein Leben zurückblickt, sein Dasein auf dieser Erde mit einem letzten Akzent beenden? Einen Akzent, der es anderen erleichtert, sich an ihn zu erinnern?

Vielleicht sollte ich mit meiner Oma noch einmal reden. Ihre Idee mit der Seebestattung ist ja grundsätzlich nicht schlecht. Aber einen Brilli im Ohr zu tragen, der aus Oma besteht – irgendwie beginne ich, mich mit diesem Gedanken anzufreunden. Zu Oma würde das passen. Und zu mir auch. Vielleicht ist ja genau das das Wichtigste: dass es zu den Vorstellungen der Hinterbliebenen und Verstorbenen passt, was nach ihrem Leben passiert. Und dass man rechtzeitig miteinander darüber redet.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

Kommentare

Hinterlassen Sie ein Kommentar

Datenschutz
Ich, Klaus Depta (Wohnort: Deutschland), verarbeite zum Betrieb dieser Website personenbezogene Daten nur im technisch unbedingt notwendigen Umfang. Alle Details dazu in meiner Datenschutzerklärung.
Datenschutz
Ich, Klaus Depta (Wohnort: Deutschland), verarbeite zum Betrieb dieser Website personenbezogene Daten nur im technisch unbedingt notwendigen Umfang. Alle Details dazu in meiner Datenschutzerklärung.