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Katastrophen und der liebe Gott (19. Juli)

Geht Ihnen das auch so? Wenn ich die Fernsehbilder sehe, die Nachrichten lese, dann überkommt mich Wut. Wut, Hilflosigkeit, Ohnmacht. Und Fassungslosigkeit. Da haut es Regen vom Himmel, wie es bei uns in Deutschland seit Jahrzehnten nicht mehr vorgekommen ist. Menschen verlieren alles, stehen vor den Resten ihrer Existenz, vor dem Scherbenhaufen ihres Lebens. Und dann müssen
die Einsatzkräfte, die stundenlang immer wieder ihr Leben riskiert haben, um andere Menschen zu retten, Gaffer und Schaulustige von den Orten des Entsetzens wegschicken. Katastrophentouristen, die sensationsgeil ihr Handy in den Filmmodus stellen und sich am Leid und dem Schicksal der Betroffenen ergötzen. Geht’s noch? Wie abgestumpft sind diese Typen eigentlich? Und was gibt es bei denen an den Stellen, an denen im Körper anderer Menschen Empathie, Mitleid und Hirn sitzt? Ich weiß es nicht.

Welle der Hilfsbereitschaft

Glücklicherweise gibt es auch andere: Menschen, die spontan ihre Gummistiefel und Schaufeln einpackten, in die Unglücksgebiete fuhren und, sobald es möglich war, tatkräftig anpackten; Menschen, die schon in den ersten Stunden ihre Autos vollluden und Hilfsgüter in die betroffenen Gebiete karrten; Menschen, die eben den Aufrufen um Spenden sofort und spontan Folge leisteten. Lebensmittel, Kleidung, Hygieneartikel – das alles fehlte den Flutopfer von den ersten Minuten an. Das alles ist jetzt vorhanden. Deshalb bitten die Organisatoren vor Ort mittlerweile auch darum, von Sachspenden Abstand zu nehmen. Was jetzt gebraucht wird, ist Geld. Geld für die, die alles verloren haben; Geld, das hilft, die Verluste von Hab und Gut halbwegs zu verschmerzen. Der Verlust von Menschen ist nicht zu verschmerzen. Der Wiederaufbau mag Jahre dauern. Über den Verlust geliebter Menschen hinwegzukommen, dauert länger. Die Hilfsbereitschaft wildfremder Menschen, die damit verbundene Dankbarkeit, diese unerwarteten positiven Begegnungen mit Menschen können dazu beitragen, über die erlittenen Verluste hinwegzukommen. Denn Gott-sei-Dank ist die Hilfsbereitschaft groß.

Und wo ist mal wieder der liebe Gott?

Gott-sei-Dank? Gerade angesichts von Naturkatastrophen, angesichts von Leid stellt sich immer dieselbe Frage: Wenn es denn einen guten und gnädigen Gott gibt – wo war er denn, als die Unwetter über die Menschen im Südwesten Deutschlands, in Bayern, in Belgien, den Niederlanden und in Österreich hereinbrachen? Eine Frage, die man tausendfach stellen kann. Bei jedem Erdbeben, bei jedem Wirbelsturm, natürlich auch bei der unmenschlichen Hitze der letzten Wochen in Kanada und dem Norden der USA. Bei jedem Krieg, in dem Unschuldige sterben und Menschen fliehen müssen, egal ob in Syrien, im Jemen oder sonst wo auf der Welt. Auschwitz und andere Schrecken nicht zu vergessen! Welchen Sinn macht das alles? Wozu, um Gottes Willen, ist das alles notwendig? Warum muss das?

Gott schickt Plagen

In der Bibel scheint das alles einfach zu sein: Da verweigert der Pharao den Israeliten die Freiheit, und schon geht es rund: Trinkwasser verfärbt sich zu Blut, Heuschrecken fressen die Ernte weg, eine Plage jagt die nächste, bis sogar die Kinder sterben. Und ratz fatz ist der Pharao umgestimmt. Ja, beim Lesen der Bibel höre ich den erschreckten Herrscher förmlich flehen: „Nun haut doch schon ab! Hauptsache, hier kehrt wieder Normalität ein.“ So einfach ist das in der Bibel. Sie lässt uns glauben, dass es Gott höchstpersönlich war, der grausamste Mittel einsetzte, um seinem Volk Gerechtigkeit zukommen zu lassen. In diesem Fall die Freiheit.

Gottes besiegt das Böse

Dass dem Pharao die ganze Angelegenheit nicht gefallen hat, liegt auf der Hand. Deshalb sandte er, kaum dass die Schrecken abebbten, seine Truppen los, um die Israeliten doch noch aufzuhalten. Die sollten zurückkommen, alles sollte so weitergehen wie vor den schrecklichen Plagen. Allerdings bleiben die Truppen mit ihren schweren Streitwagen im Schlick des Schilfmeeres stecken. Und als die Wassermassen zurückkehren, ertrinken sie jämmerlich. Ob sich das alles historisch wirklich so abgespielt hat, sei einmal dahingestellt. Wer aber schon einmal im Wattenmeer der Nordsee unterwegs war und miterlebt hat, wie unerfahrene Wattwanderer vor der „plötzlich und unerwartet“ einsetzenden Flut gerettet werden mussten, hat zumindest ein Gefühl für die Situation. Dass sich die alten Israeliten ein Loch in den Bauch freuten, den Verfolgern endgültig entkommen zu sein, ist menschlich. Dass sie sich ihre Rettung nicht anders erklären können als durch ein Eingreifen Gottes, vielleicht auch. Ebbe und Flut gibt es im Schilfmeer nicht. Wohl aber seltene Winde, die die Israeliten ausnutzten. Bei ihren Verfolgern hat das dann nicht mehr funktioniert. Auch wenn die vielleicht nur steckenblieben und die Verfolgung freiwillig aufgaben, auch ohne gleich zu ertrinken.

Katastrophen als Eingreifen Gottes?

Aus solchen und ähnlichen menschlichen Erfahrungen entsteht bei manchen der Glaube, dass sich Gott direkt ins Leben von uns Menschen einschaltet. Deshalb waren fromme Kirchenmänner seinerzeit schnell bei der Hand, AIDS als „Geißel Gottes“ zu bezeichnen. Das menschliche Verhalten, hier eben, so dachte man anfangs, die Homosexualität, hat dem lieben Gott missfallen und schwupp: Er greift ein. So wie bei Sodom und Gomorrha. Nur nicht mit Pech und Schwefel, die vom Himmel fallen, sondern eben mit einem Virus.
Legendär auch der Hurrikan Agnes, der 1972 als teuerster Wirbelsturm aller Zeiten bezeichnet wurde: Auch der sollte ein Zeichen Gottes sein. Genauso wie der schreckliche Tsunami, der Weihnachten 2004 weite Teile Asiens heimsuchte und Tausende von Menschenleben forderte. Alles eine Strafe Gottes? Wer an einen allmächtigen Gott glaubt, für den fällt es schwer, „unmöglich“ zu sagen. Aber warum sollte Gott so etwas tun? Schließlich hatte er doch nach der Sintflut, so die Bibel, versprochen, nie wieder die Menschheit oder Teile davon durch plötzliche Fluten zu bestrafen. Wobei der Schwerpunkt nicht auf „Fluten“, sondern auf „Strafen“ liegt. Und ohnehin müssen sich Verfechter eines strafenden, eifersüchtigen, stinksauren Gottes die Frage gefallen lassen, ob ihre Vorstellungen von Gott nicht doch ein bisschen arg von den Unvollkommenheiten unseres menschlichen Seins geprägt sind.

Sündenbockprinzip

Glaube und Religion sind zurzeit bei uns nicht besonders angesagt. Deshalb ist bislang auch noch niemand auf die Idee gekommen, den lieben Gott in einen Zusammenhang mit der aktuellen Unwetterkatastrophe zu bringen. Wobei das in der Vergangenheit immer die einfachste Lösung war: Wir brauchen immer einen Sündenbock, jemanden, der schuld ist. Weil wir das nicht sein können, ist das dann eben der liebe Gott. Weil aber auch der

nichts unternommen hat, gibt es ihn gar nicht. Eine Logik, die mir zuwider ist. Ich halte nicht viel davon, Gott aus dem Leben herauszudrängen, aber genau dann, wenn man nicht mehr weiterkommt, plötzlich nach ihm zu schreien. Für den Unfug, den wir verzapfen, ist er einfach nicht zuständig. Punkt.

Klimawandel? Die Erde ist eine Scheibe!

Deshalb ist mir ohnehin eine andere Interpretation weitaus lieber: die nämlich, dass uns Katastrophen dazu ermahnen sollten, einmal über uns selbst nachzudenken. Über die Art, wie wir leben, wie wir mit unserer Natur, unserer Umwelt umgehen. Kann man angesichts der unerträglichen Hitze im Norden der USA und in Kanada, angesichts von den größten Buschbränden aller Zeiten in Australien und nun angesichts der ungeheuren Wassermassen in mehreren europäischen Ländern noch immer glauben, dass dies alles Einzelereignisse sind? Dass diese vermeintlichen Einzelereignisse mit dem Abschmelzen der Polkappen sowie der weltweiten Gletscher nichts zu tun haben? Ja, man kann das schon. Man kann ja auch weiterhin glauben, dass die Erde eine Scheibe ist.

Denken und endlich handeln

Man kann aber auch sagen: Jetzt haben uns die Auswirkungen des Klimawandels schon gewaltig zugesetzt. Wenn wir nicht wollen, dass es noch schlimmer wird, dann müssen wir dringend etwas tun. Und zwar nicht nur neue schöne Worte und Parolen veröffentlichen, sondern tatsächlich anpacken und etwas bewegen. Das Wissen, dass viel zu viele unserer Böden versiegelt sind und deshalb nicht genug Wassermassen aufnehmen, ist längst da. Dass Auen fehlen, in denen das Wasser bei steigenden Pegeln ausweichen kann, wissen wir ebenfalls schon lange. Auch, dass vielfach im wahrsten Sinn des Wortes viel zu nah ans Wasser gebaut wurde; ebenfalls dass unsere Bäche und Flüsse dummerweise so begradigt wurden, dass Wasser viel schneller ins Meer fließt, statt unser Grundwasser zu speisen. Und längst liegen die Konzepte für Schwammstädte in den Schubladen: Städte, die mit begrünten Dächern, mit Parks, Wiesen und sogar Sportplätzen Flächen bereitstellen, wo sich Wassermassen sammeln können, um eben nicht in so hohem Maße wie gerade erlebt durch die zugepflasterten Straßen unserer Städte zu jagen. Das alles kostet Geld. Ja und? Die Kosten, die eine Unwetterkatastrophe nach der anderen mit sich bringen, sind am Ende weitaus höher.

Leugner des Klimawandels

Das wird nicht in alle Köpfe hineingehen. Viele Menschen denken immer noch, mit dem Spruch „Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andere an“, hätten sie einen praktikablen „Abwehrzauber“ in der Tasche. So lange es gut geht, werden diese Menschen das auch weiterhin denken. Aber eben nur so lange, wie es gut geht. Der Blick über den großen Teich zeigt ja deutlich genug, dass trotz der Hitze im Norden der USA immer noch etwa die Hälfte der Bevölkerung den Klimaleugner Nummer eins wiederwählen würde. Im Norden, in Kalifornien und an Orten, an denen die Menschen hautnah erleben, dass sich das Klima verändert und ihre Lebensumstände schwieriger werden, scheint hingegen die Stimmung zu kippen. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Menschen im Westen und Südwesten unseres Landes, die jetzt von den Auswirkungen der Unwetter betroffen sind, liebend gern für Maßnahmen zu mehr Umweltschutz und zur Rettung des Klimas bereit sind.

Zynismus pur: Das Gute an Katastrophen

Vielleicht ist das, so zynisch es klingen mag, bei all dem Schrecklichen, das Katastrophen mit sich bringen, dann doch noch etwas Gutes: dass sie Menschen zum Umdenken bringen; dass sie dazu führen, dass wir etwas dafür tun, noch schlimmere Katastrophen dieser Art zu verhindern. Dass eine breitere Menschenmasse durch Leid und Not verhältnismäßig Weniger aufgeweckt werden und ein Stückweit mehr bereit ist, Maßnahmen zu akzeptieren, mitzutragen und sogar selbst zu ergreifen. Das Fatale, das neben all den Verlusten an Menschenleben und materiellen Gütern bleibt, ist die Erkenntnis: In der langen Geschichte der Menschheit haben wir es immer noch nicht geschafft, Maßnahmen zu ergreifen, bevor das sprichwörtliche Kind in den Brunnen gefallen ist. Damit das gelingt, braucht es vielleicht doch das Eingreifen einer Macht, die nicht von dieser Welt ist. Wir Menschen scheinen zu dumm dazu zu sein.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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