Hätte, Wenn und Aber – Fußball ist keine Blumenwiese (oder so ähnlich) (2. März)
Was wäre die Welt ohne unsere Philosophen? Vor allem ohne unsere fußballspielenden Philosophen einschließlich verdienter Ex-Kicker? Falls Sie nicht wissen, was ich meine, hier ein paar Beispiele:
Vor die Aufgabe gestellt, zwei Dinge zu bewerten, kam der unvergessliche Lukas Podolski zu dem Ergebnis: „Es überwiegt eigentlich beides!“ Aha! Sogar die, die längst vergessen haben, wer Andi Möller ist, kennen seine klare Haltung
zu einem damaligen möglichen Vereinswechsel: „Madrid oder Mailand – Hauptsache Italien.“ Was uns zu einem deutschen Nationalspieler führt, der in Italien seine Brötchen verdiente und zur legendären Tasmania Berlin – der Erstligist mit dem Negativrekord von 31 verlorenen Spielen in Serie – wechselte: Horst „Schimmi“ Szymaniak. Der schlaue Fuchs verlangte nämlich beim Vertragspoker, er wolle nicht ein Drittel mehr Gehalt, sondern mindestens ein Viertel mehr. Da konnte Horst Hrubesch noch so sehr ein Spiel „Paroli laufen“ lassen, Roy Makaay sich freuen, dass er auch in Spanien schon mal deutscher Meister war und Kaiser Franz – nein, nicht der von Sissi – weltmännisch schwadronieren, dass sich am Ergebnis nichts mehr ändere – es sei denn, eine Mannschaft schieße noch ein Tor… Woher Oliver Kahn zu der Weisheit kam, dass „die Holländer vorne vom Feinsten bestückt“ seien, bleibt wohl für immer sein Geheimnis. Am meisten jedoch muss ich lachen, wenn ich an Willi „Ente“ Lippens denke: Der in Deutschland geborene niederländische Nationalspieler, dessen Name wohl für immer in einem Atemzug mit Rot Weiß Essen genannt werden wird, geriet in grauer Vorzeit mit einem Schiedsrichter aneinander. Damals, als es noch keine gelben und roten Karten gab, meinte der Schiri: „Ich verwarne Ihnen!“ Worauf der wegen seines Watschelgangs „Ente“ getaufte Spieler schlagfertig zurückgab: „Und ich danke Sie!“ Was zwar zum sofortigen Platzverweis führte, aber eben auch direkt in den Anekdotenhimmel. Da konnte es Kurzzeit-Nationaltrainer Erich Ribbeck völlig egal sein, ob ein Spieler „bei Bayern München spielt oder sonstwo im Ausland“, der legendäre Günter Netzer feststellen, dass die meisten Spiele, die 1:0 ausgingen, auch gewonnen wurden und Berti Vogts messerscharf diagnostizieren, dass der Tabellenerste auch jederzeit den Spitzenreiter schlagen könne – an „Ente“ Lippens kam nichts heran. Außer vielleicht eine echte Ente: Als 1976 die Zuschauer im Spiel des VfL Bochum gegen die Bayern kurz davor waren einzudösen, macht Bayernkeeper Sepp Maier, „die Katze aus Anzing“, einen Hechtsprung in Richtung einer echten Ente, die im Stadion gelandet war. Die kann knapp entkommen. Denn sie kann wirklich fliegen. Gesagt hat Maier dabei nichts. Aber die Zuschauer geweckt – das hat er. Quasi ein non-verbales philosophisches Statement zum Thema Fliegen und Dösen. Ach, ihr lieben Fußballphilosophen, ohne euch wäre die Welt ein bisschen ärmer. Lassen Sie mich mit noch einmal Horst Hrubesch schließen: „Ich sage nur EIN Wort: Vielen Dank!“
Ich gebe zu, ich verplaudere mich. Denn ursprünglich musste ich an Lothar Matthäus denken, der mich mit einer fußballerischen Weisheit an eine ganz andere Geschichte erinnerte. Die fiel mir ein, als Matthäus die wunderschöne Weisheit formulierte: „Wäre, wäre, Fahrradkette!“ Nun kann man ja einwenden, dass sich wenigstens das Original reimt:
„Hätte, hätte, Fahrradkette!“ Christoph Maria Herbst in seiner Rolle als Stromberg und Peer Steinbrück in seiner Rolle als Kanzlerkandidat der SPD – ups, darf man das so nebeneinanderstellen? – sei Dank. Denn die prägten dieses Wort in den 2010er Jahren. Allerdings habe ich nie verstanden, was die arme Fahrradkette in diesem Spruch soll. Na gut, können Sie jetzt sagen, musst du auch nicht verstehen. Das Leben ist eben keine Blumenwiese! Damit würden Sie Fernsehmoderator Alexander Bommes zitieren, der durch ständiges Wiederholen dieses verunglückten Ausspruchs einer seiner „Gefragt – Gejagt“-Kandidaten seine tatsächlichen komödiantischen Fähigkeiten ein wenig unter Wert verkauft. Wo doch jeder weiß, dass das Leben „kein Pausenhof“ oder zumindest „kein Ponyhof“ ist. Trotzdem sind mir die Briten da lieber: Ihr „woulda, coulda, shoulda“ verstehe ich viel besser. Da passt der Reim, da passen Syntax und Semantik und ich verstehe sofort: Es geht darum, dass ich eine falsche Entscheidung nicht mehr rückgängig machen kann. Höchstens noch in meinem Wunschdenken, so wie die Sängerin Cher in ihrem Song „(If I Could) Turn Back Time“. Auch wenn ich die Zeiger der Uhr zurückdrehen kann, kann ich das, was nun einmal passiert ist, nicht mehr zurücknehmen. Der Mensch ist ein geschichtliches Wesen, heißt es. Alles was er tut, alles was ihm widerfährt, hat Einfluss auf ihn und ist unabänderlich. Er kann es höchstens abmildern, indem er sich beim Psychiater auf die Couch legt und versucht, die Ursachen für sein Handeln zu ergründen. Wenn er weiß, was ihn umtreibt, kann er wenigstens dagegen ankämpfen. Aber niemals ungeschehen machen!
Es hilft nichts, wenn ich nach einem Unfall mit dem Auto sage: HÄTTE ich doch einen Moment besser aufgepasst! Gott sei Dank ist niemandem ernstlich etwas passiert. Und den Sachschaden übernimmt die Versicherung. ABER WENN ich besser aufgepasst HÄTTE, dann WÄRE nichts passiert. Das kann ich tausendfach denken – am Ergebnis ändert sich nichts. Da hilft es auch nichts, dass mir gerade eine uralte Merkregel aus dem Lateinunterricht über den Coniuntivus irrealis einfällt: irgendetwas wie „unerfüllbar gedachter Wunsch- und Begehrssatz in Hauptsätzen…“ Konjunktiv! Irrealis! Der Wunsch mag da sein. Allein er verändert das Geschehen nicht. Das Leben ist eben weder Pausenhof, noch Ponyhof, noch Blumenwiese…
Wie so oft, bringt es der Kindermund auf den Punkt. Als wir nämlich über genau solche Begebenheiten sprachen, grinste mich mein damals hoffnungsvoller junger Nachwuchs an und meint: „HÄTTE, WENN und ABER – alles nur Gelaber!“
Eine Antwort, die mich m e i n e Schulweisheit nicht hätte träumen lassen. Und falls sie es nicht bemerkt haben: Nicht HÄTTE träumen lassen, habe ich gesagt. Da war es also schon wieder, dieses ständig präsente „hätte“! Gelaber! Es ändert nichts!
Denn mein Sohn hatte recht: Was nützt es, wenn ich hinterher die große Einsicht zeige und bereue, was ich falsch gemacht habe? Am Schaden, den ich nun einmal verursacht habe, ändere ich damit nichts mehr. Allenfalls habe ich für die Zukunft gelernt, werde denselben Fehler hoffentlich kein zweites Mal tun. Was aber nutzt das, wenn ich gar keine Chance habe, bei einem nächsten Mal diesen Fehler zu vermeiden? Zum Beispiel weil es kein „nächstes Mal“ mehr gibt? Noch einmal das Beispiel Straßenverkehr: Totgefahren ist totgefahren! Vielleicht setze ich mich nie wieder hinters Steuer. Aber von noch so viel weiser Einsicht wird mein Verkehrsopfer nicht wieder lebendig.
Ungeachtet aller religiöser Inhalte halte ich die Bibel zumindest für ein extrem weises Buch. Sie ist eine der größten Sammlungen, wenn nicht die größte Sammlung tiefer menschlicher Lebensweisheiten, die es gibt. Und für jede Gelegenheit hält sie einen guten Ratschlag bereit. In diesem Fall lautet der sinngemäß: „Seid wachsam, haltet euch bereit.“ Eine mindestens 2000 Jahre alte Weisheit, die wir heute übersetzen können mit: Tue alles, um zu vermeiden, dass du in eine Situation kommst, in der du eingestehen musst: „Zu spät ist eben zu spät“. Oder wie schon Michail Sergejewitsch Gorbatschow, kein Fußballer, sondern ehemaliger russischer Staatspräsident, einmal sagte: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“
Fazit: Lieber vorher wachsam sein und besser aufpassen, nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf andere. Ansonsten biegt man auf einen Schienenstrang seines Lebens ab, bei dem es – wie immer im Leben – kein Zurück gibt. Womit wir wieder bei Cher und „Turn back time“ wären: Geht eben nicht. Und niemand weiß, in welche Richtung dieser ungewollte Lebensstrang führt. Hoffentlich nicht in die fußballerische Weisheit, die uns Andi Brehme hinterlassen hat: „Hast du Scheiße am Fuß, hast du Scheiße am Fuß!“
Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten. 2. März: Hätte, Wenn und Aber – Fußball ist keine Blumenwiese (oder so ähnlich)
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