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Gregory, Tom – Forget Somebody

Die einen sagen so, die anderen so. Die, die die Stadt Blackpool im Nordwesten Englands mögen, schwärmen vom Strand an der Irischen See, der jährlichen Lightshow an der Strandpromenade, vielleicht auch noch vom Blackpool Tower, der nicht nur über eine Aussichtsplattform verfügt, sondern sogar einem Zirkus

sein Zuhause bietet. Aus dem Jahr 1894 stammt dieser Aussichtsturm und erinnert wohl nicht von ungefähr ein bisschen an den Eiffelturm in Paris. Außerdem passt er wunderbar zu dem altmodischen Freizeitpark mit Holzachterbahnen in unmittelbarer Nähe.

Verarmte Arbeiterstadt

Diejenigen, die Blackpool weniger mögen, übersehen gern, dass der Blackpool Pleasure Beach als einer der größten Freizeitparks in Europa gilt. Sie verweisen eher darauf, dass die Stadt im 19. Jahrhundert Hauptreiseziel der britischen Arbeiterklasse war. Vielleicht einer der Gründe, warum Blackpool heute als Armenhaus Großbritanniens gilt: Im britischen Index der Mehrfachbenachteiligung liegt Blackpool an Platz 317 – das ist der letzte Platz der untersuchten Kommunen. Kein Wunder also, dass die Stadt nicht nur als eine der ärmsten des Vereinigten Königsreichs gilt. Sondern dass die Lebenserwartung ihrer rund 140.000 Einwohner etwa zehn Jahre unter der liegt, die für die Bewohner von London-Westminster erhoben werden konnte. Irgendwie passend, dass die Blackpool eine Städtepartnerschaft mit dem westfälischen Bottrop unterhält – der deutschen Stadt mit dem niedrigsten Bruttoinlandsprodukt pro Kopft unter den kreisfreien Städten Deutschlands.

Thomas „Tom“ Gregory

Wer in Blackpool aufwächst, hat es nicht leicht. Das Geld zum regelmäßigen Besuch der Freizeiteinrichtungen fehlt meistens. Und selbst wenn es da ist: Man will ja auch mal etwas anderes tun. Dieses Andere aber ist in Blackpool Mangelware. Schön, wenn Papa und Mama über eine größere Plattensammlung verfügen und sich so der hoffnungsvolle Nachwuchs mit dem Hören von Musik die Zeit vertreiben kann. Im Falle eines gewissen Thomas Gregory, genannt Tom, – Sie ahnen es schon: geboren in Blackpool! – waren das vor allem Platten von Kool & The Gang und James Taylor. Deren Musik brachten Tom Gregory auf die Idee, eigene Songs zu schreiben.

Schulzeit auf ehemaliger Schule für Priestersöhne

Ob ihn seine Schulzeit, die er als zwölf- bis 18jähriger in der alt-ehrwürdigen Rossall-School verbrachte, dabei bereicherte, ist nicht überliefert. Immerhin war diese Tages- und Internatsschule 1844 gegründet worden, um “den Söhnen von Geistlichen und anderen zu moderaten Kosten eine klassische, mathematische und allgemeine 

Bildung der höchsten Klasse zu bieten und alle Dinge zu tun, die zur Erreichung der oben genannten Ziele notwendig, hilfreich oder förderlich sind“. Das muss man sich erst mal auf der Zunge zergehen lassen!

„The Voice UK“ und „The A Word“

Wie auch immer: Gegen Ende seiner Schulzeit bewarb sich Tom für die zweite Staffel der britischen Casting-Show „The Voice UK“, scheiterte dort jedoch bereits vor der Endphase. Doch aufgeben war nicht. Allenfalls war es Zeit für eine Feinjustierung. Und so ergatterte Tom in der BBC-Fernsehserie „The A Word“ eine Rolle – eine Serie übrigens, die unter die Haut geht. Denn sie handelt davon, wie eine Familie damit umgeht, dass bei ihrem kleinen Sohn eine besondere Form von Autismus festgestellt wird.

Erste Hit-Singles

Letztlich bestärkte die TV-Rolle Tom darin, sein eigentliches Ziel, nämlich das einer Musikerkarriere, weiterzuverfolgen. Durch diverse Teilzeitjobs und verschiedene Reisen kam Tom auch nach Deutschland. Und ausgerechnet ein deutsches Plattenlabel, nämlich Kontor Music, wurde auf den jungen Briten aufmerksam. Sein erster Song für dieses Label, nämlich “Run To You” aus dem Jahr 2017, erreichte über 20 Millionen Streams und Chartplatzierungen in Deutschland. Seine Nachfolgesingles  “Small Steps” und “Fingertips” und charteten im gesamten deutschsprachigen Raum, letztere schaffte es sogar in Frankreich bis auf Platz fünf der Radiocharts. “Rather Be You” erschien im Herbst 2020 als Vorab-Single aus Toms erstem Album “Heaven In A World So Cold”, während rund ein Jahr später “Footprints” als zweite Single aus Toms zweitem Album “Things I Can’t Say Out Loud” chartete.

Songwriter mit Ohrwurmqualitäten

Mittlerweile gilt Tom Gregory als jemand, der sehr genau weiß, was einen guten Song ausmacht: nämlich eine Melodie, die sich in den Gehörgängen festsetzt, einen Refrain, den man beim zweiten Mal Hören mitsingen kann, und ein Text, der bei Hörerinnen und Hörern irgendetwas zum Schwingen bringt. All das gilt auch für Toms letzte Single, die wieder einmal als Vorab-Single eines neuen, anstehenden Albums erschien. “Forget Somebody” heißt sie und überrascht schon beim ersten Hören: Denn der ist ein bisschen schneller und bewegter als seine bisherigen Songs – und das, obwohl er eine traurige, nachdenkliche machende Geschichte erzählt.

Forget Somebody

“Fallen wir, weil wir zu hoch geklettert sind?
Sind wir unter den Lichtern erfroren?
Du bist aus dem Focus, bin ich jenseits deiner Gedanken?
Gerade jetzt habe ich das Gefühl, als würden wir in die Irre laufen.
Zu viele Abstürze, die dazu führen,
dass wir auf dem Boden jegliche Kontrolle verlieren
und uns im Kreis drehen.”

Sich im Kreis drehen, und zwar am Ende einer Beziehung – genau davon handelt der Song. Ein seltsames Gefühlskarussell, das da in Gang kommt: Einerseits weiß der Betroffene genau, dass es kein Zurück mehr gibt, das Beziehungs-Aus endgültig ist; andererseits will er es einfach nicht wahrhaben.

Passt zusammen: tanzen und trauriger Inhalt

Trotz des für Toms Verhältnisse eher flatten Tempos, trotz der 80er Jahre-Gitarren, die an Toms frühe Indie-Karriere erinnern, ist “Forget Somebody” alles andere als ein fröhlicher Song. Bei seinen Live-Auftritten habe er gelernt, wie sehr sein Publikum es liebe zu tanzen, sagt Tom Gregory im Interview. Also musste der Rhythmus zum Bewegen, zum Mitswingen einladen – was seinem eher traurigen Inhalt keinen Abbruch tut. Denn viele seiner Fans kennen derartige Situationen aus eigener Erfahrung und könnten sich mit dem Inhalt identifizieren.

Aus dem Leben gegriffen

“Es kann nicht sein, wie es endet
Du musst wissen: Ich will nicht nur jemanden,
wenn dieser Jemand nicht du bist.
Ich will dich nicht ohne mich.
Ich lerne erst, wie es ist, jemanden zu vergessen.”

Im Song findet sich kein Wort darüber, wie es der angesprochenen Ex geht. Und so scheint es, dass sie die ganze Situation längst abgehakt hat, irgendwie einen Schritt weiter ist. Da orientiert sich Tom am wirklichen Leben: Denn auch da ist es oft so, dass ein Partner mit der Trennung abgeschlossen hat, während der andere immer noch mit seinen Gefühlen kämpft. Deshalb wird eine Trennungsphase so oft zu einem heftigen Kampf. Loszulassen fiele in einer Welt der Sozialen Medien erst recht wahnsinnig schwer, so Tom ergänzend zu seinem Song.

Abschließen, um neu anfangen zu können

Jemanden zu vergessen, ihn bewusst aus seinen Gedanken und aus seinem Leben zu streichen, fällt schwer. Doch meistens muss man erst mit etwas komplett abschließen. Nur dann ist man frei genug, um sich mit ganzer Kraft etwas Anderen, Neuen zuzuwenden. Das gilt sicher auch für eine Liebesbeziehung zu einem anderen Menschen.

Trotz dieser traurigen Erkenntnis enthält “Forget Somebody” zumindest eine Spur Hoffnung: Trennungen mögen bedauerlich sein, aber sie sind menschlich. Du bist mit deinen Erfahrungen nicht allein. Die Erfahrungen anderer zeigen: Das Leben geht trotzdem weiter.

Tom Gregory und “Forget Somebody”.

Der bei Radio Salü gesendete Beitrag ist eine Kurzfassung dieses Textes.

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