Roxy Music – Both Ends Burning
Bryan Ferry ist wieder da. Mit seinem Album „Loose Talk“ meldet sich der Frontmann der Band Roxy Music eindrucksvoll zurück. Im letzten Jahr hatte Ferry einige Singles wiederveröffentlicht – natürlich um die „Retrospektive: Selected Recordings 1973-2023“ zu promoten. Sieht man vom im Jahr 2000 erschienenen „Live At The Royal Albert Hall“ ab, das längst überfällig ein Konzert aus dem Jahr 1974 auf Tonträger brachte, liegt das letzte echte Bryan Ferry-Album noch länger zurück: „Avonmore“ stammt aus dem Jahr 2014.
Bryan Ferry Orchestra
Davor und danach veröffentlichte der Crooner mit dem bekanntesten Vibrato des Rock zwei Alben mit seinem Bryan Ferry Orchestra, auf dem er seiner Leidenschaft für Songs im Gewand der 1920, 1930er Jahre frönt – auf den Spuren der Lieblingsmusik des Vaters, wie der Mann aus dem Einzugsbereich des nordostenglischen Newcastle einmal erklärte. Diese Leidenschaft brachte dem eleganten Rock-Rebellen, wie unzählige Musikjournalisten seit den 1970ern ihn betitelten, einen Auftritt in der Kriminal-Fernsehserie „Babylon Berlin“ ein: In Folge zehn der ersten Staffel, betitelt mit „Das Phantom von Berlin“, gibt sich der Gentleman die Ehre. Wer einmal Songs von Ferrys Band Roxy Music als Dixieland und Ragtime-Jazz, allesamt eingespielt mit Orchester im Stil der 1920-, 1930er Jahre und damit ganz anders hören möchte, ist mit den beiden Longplayern des Bryan Ferry Orchestra mehr als gut bedient. Auch eingefleischte Roxy-Fans erkennen nicht jeden Song bei den ersten Tönen.
Kraftfahrer, Restaurator, Lehrer an einer Mädchenschule
Schon während des Kunststudiums in Newcastle stand für den Sohn eines Bergarbeiters fest, dass er Musiker werden wollte. Erste Gehversuche mit der Formation „Gas Board“ verliefen im Nichts. 1970 gründete der Mann, der zwischenzeitlich als Kraftfahrer und Restaurator gejobbt hatte, bis es ihn als Kunstlehrer an eine Mädchenschule ins ferne London verschlug, seine eigene Band: Roxy Music. Und die war vom ersten Moment an aufsehenerregend. Beträchtlichen Anteil daran hatten anfangs die schrillen Bühnenkostüme, die von Vivienne Westwood, der erklärten Gegenspielerin der etablierten Modeindustrie inspiriert waren: Von der Federboa über das Leopardenfell bis zum maßgeschneiderten Anzug war alles vertreten, was man sich vorstellen kann. Und was mit dem femininen bis androgynen, grellen Make Up alles bisher bekannte in den Schatten stellte. (Ja, ja, für David Bowie, Marc Bolan, dem Slade-Gitarristen Dave Hill und etlichen anderen Musikern in den frühen 1970er Jahren gilt das natürlich genauso.)
Brian Eno, Andy Mackay, Ray Manzanera
Am extravagantesten inszenierte sich Tastenmann Brian Eno. Oboe- und Saxophonspieler Andy Mackay war schon durch seine Instrumente extravagant. Welche Rockband gibt es sonst noch, die standardmäßig diese Instrumente in ihren Songs verwendet? Philip Geoffrey Targett-Adams, besser bekannt als Ray Manzanera, der über mehrere Jahre in der College-Band „Pooh And The Ostrich Feather“ einen eher psychedelischen Sound kreiert hatte, war der Mastermind der experimentellen Gitarrentöne bei Roxy Music. Und, ja, es stimmt: Manzanera stieß erst Anfang 1972 zu Roxy Music, nachdem er sich auf eine Annonce in der Musikzeitschrift Melody Maker um diesen Job beworben hatte.
Roxy Music: Aufreizendes Bondgirl
Neben dem zum Teil extravaganten Bühnenauftritt der Anfangsjahre waren vor allem die Plattencover von Roxy Music im wahrsten Sinne des Wortes aufsehenerregend: Auf dem selbstbetitelten Debütalbum räkelte sich das Modell Kari-Ann Muller, das auch schon einmal als Bondgirl in Erscheinung trat, ziemlich lasziv und – wir schreiben das Jahr 1972! – leicht bekleidet auf einem leicht faltigen Laken. Nur wohlwollende Kritiker erkannten, dass es sich um Kunst handelt, die an Glamour-Fotos aus den 1940er und 1950er Jahren anknüpfte. (Dass Muller später Yogalehrerin wurde und Chris Jagger, Bruder des weltbekannten Stones-Frontmannes Mick, heiratete, gehört in eine andere Geschichte.)
Amanda Lear
„For Your Pleasure“ von 1973 ist ein recht dunkles Cover, auf dem die Frau zu sehen ist, die die Rolling Stones zum Song „Miss Amanda Jones“ inspirierte, weil sie zu diesem Zeitpunkt mit Stones-Gitarrist Brian Jones liiert war. Nach dem Tod von Jones wechselte Amanda Lear, denn um die geht es, als Muse an die Seite von Salvador Dalí. Dass sie auf einem Cover von Roxy Music erscheint, steht wohl in Zusammenhang mit einer kurzen Beziehung mit Bryan Ferry. Dass der Panther, den Lear an der Leine spazieren führt, so unnatürliche Zähne und Augen hat, ist darauf zurückzuführen, dass diese dem eigentlichen Foto manuell hinzugefügt wurden. Das arme Tier soll ermaßen sediert gewesen sein, dass es noch nicht einmal mehr seine Zähne zeigen konnte…
Playmate Januar 1972
Für die Januarausgabe des Playboy von 1972 wurde Marilyn Cole zum Playmate des Monats auserkoren. Auserkoren hatte dann auch Bryan Ferry die attraktive Frau. Und zwar für das Cover des dritten Albums, „Stranded“. Wieder einmal liegt eine Frau lasziv am Boden, dieses Mal in einem nassen Kleid, unter dem sich zumindest eine ihrer Brustwarzen deutlich abzeichnet.
Halbnackte deutsche Fans
Den Höhepunkt von Plattencovern, die Kunst und Ästhetik darstellten und heute vermutlich von so manchem lediglich als sexistisch angesehen wird, bildete das Album „Country Life“ von 1974: Aufgrund einer Schreibblockade hatte sich Bryan Ferry nach Portugal verzogen. Dort traf er in einer Bar auf die beiden deutschen Roxy Music-Fans Constanze Karoli und Eveline Grundwald. Die posierten mit zwei alles andere als blickdichten Höschen und einem ebensolchen BH – den anderen ersetzten die Hände – für das Cover. Stichwort Hände: Bei der links abgebildeten Schönheit drehten die US-Amerikaner schon vor der Veröffentlichung durch und ersetzten die beiden modelnden Frauen durch ein paar Laubbäume. Dass „Bitter Sweet“ eine deutsche Passage enthält, ist übrigens auch den beiden Damen zu verdanken.
Supermodel Jerry Hall
Für das fünfte Album „Siren“ von 1975 gelang Roxy Music ein Coup: Das damals weltweit bekannte Supermodel Jerry Hall ließ sich mit blauer Farbe bepinseln und posierte – wie könnte es mit Blick auf ein Leben im Wasser auch anders sein – ebenfalls nur äußerst spärlich bekleidet als mythologische Meerjungfrau mit Krönchen im güldenen Haar. Angeblich hielt Bryan Ferry persönlich während der Aufnahmen einen Regenschirm über die Schönheit – eine völlig unnötige Maßnahme. Denn Hall hatte später gewaltige Mühe, die Farbe wieder von ihrem Körper herunterzubekommen, wie sie 1985 in ihren Memoiren mit dem Titel „Tall Tales“ schrieb. Grund genug für den singenden Gentleman, der Dame anzubieten, in seinem Haus ein reinigendes Bad zu nehmen. Da es mittlerweile spät am Abend war, bot Ferry ihr sein Gästezimmer an. Die Beziehung der beiden endete erst, als Hall 1977 Geliebte von Stones-Boss Mick Jagger wurde…
Schaufensterpuppen
Bis zum sechsten Album, „Manifesto“, vergingen vier lange Jahre. Da die bisherigen Cover kaum zu toppen waren, änderte die Band den Stil ihrer Cover komplett. So zeigt „Manifesto“ eine Reihe von Schaufensterpuppen bei einer imaginären Party. Dass ein paar der Puppen eine gewaltige Ähnlichkeit mit Kari-Ann Muller und das sich sogar zwei menschliche Models im Hintergrund die Ehre geben, die mehr als nur große Ähnlichkeit mit Constanze Karoli und Eveline Grundwald ist natürlich purer Zufall. Oder? Bestimmt. Immerhin schließt sich so der Kreis, wenngleich auch auf dem Nachfolgealbum „Flesh & Blood“ von 1980 zwei – natürlich weibliche – Models zu sehen sind, die – überhaupt nicht anzüglich – an einem Speerwurfwettbewerb teilnehmen.
Ferry-Ehefrau Lucy Helmore
Den Schlusspunkt bildet 1982 das letzte reguläre Album von Roxy Music, „Avalon“. Hier ist auf dem Cover zwar eine Frau zu sehen, wenn auch solche nicht zu erkennen: 1982 heiratete Ferry die 14 Jahre jüngere Lucy Helmore. Die posiert im Morgengrauen auf einem See in der Nähe ihres Elternhauses in Irland, ausgeschmückt mit einem Ritterhelm und einem Falken – eine Hommage an den sagenumwobenen König Artus, der seine letzte Ruhestätte in Avalon (Albumtitel!) gefunden haben soll. Trivia am Rande: Aus der Ehe mit Lucy Ferry geb. Helmore stammen die vier Söhne Otis, Merlin, Tara und Isaac; die Ehe selbst wurde nach 21 Jahren geschieden. Lucy litt lange unter Depressionen und verstarb 2018, 15 Jahre nach der Scheidung, an einer Schusswunde, die sie sich in einem Irlandurlaub selbst zugefügt hatte.
Trennung wegen unterschiedlicher Lebensplanung
Hätte es noch ein weiteres Roxy Music-Album gegeben, hätte sich darauf möglicherweise Amanda Sheppard befunden. Mit der 37 Jahre jüngeren Frau war Ferry zwischen 2014 und 2015 ganze 19 Monate verheiratet. Den Ausschlag für die Trennung habe die unterschiedliche Lebensplanung gegeben: Die 29jährige wollte unbedingt Kinder, der 66jährige Dandy fühlte sich für eine weitere Vaterschaft schlichtweg zu alt.
15 Soloalben
Bei Bryan Ferrys 15 Soloalben schaffte es übrigens nur zweimal eine Frau auf das Plattencover: Bei „Boys And Girls“ ging es schlichtweg nicht ohne. Für das 2010er Album „Olympia“ ließ sich Bryan Ferry – man erinnere sich: Der Mann hat Kunst studiert! – von einem Gemälde des französischen Vorreiters des Impressionismus Edouard Manet inspirieren. Nur dass bei Ferry nicht Olympia, sondern, wenn auch in ähnlicher Liegestellung, Kate Moss zu sehen ist, zudem mit Schmuck durchaus modern interpretiert. Laut Ferry handelt es sich bei Manets Olympia wie auch bei Kate Moss um je eine berüchtigte Femme Fatale, die jeweils in Form eines frühen Pin-Up-Bildes arrangiert sind. Dass auf dem Album die alten Mitstreiter Bryan Eno, Andy Mackay und Phil Manzanera zu hören sind, verführte Ferry beinahe dazu, es als Roxy Music-Album herauszubringen. Das Cover hätte an alte Zeiten angeschlossen. Allein die Songs waren dem ewigen Crooner nicht experimentell genug.
Autobiographisch: Both Ends Burning
Nicht mit allen Cover-Models habe er eine Beziehung gehabt, erklärt der ewige Dandy auf Nachfrage und weist vor allem eine Liason mit Kate Moss weit von sich. Dass Ferry aber selten etwas hat anbrennen lassen – davon geben die Cover von Roxy Music eindrucksvoll Zeugnis. So wie auch das eine oder andere Mal die konkrete Bandgeschichte in Songs eine Rolle spielt. Das gilt besonders für einen Song, der sich auf dem 1975er Album „Siren“ befindet. „Both Ends Burning“ handelt von dem immensen Druck, dem sich die Band ausgesetzt fühlte, als sie kurz nach dem Abschluss ihrer Country Life-Welttournee mit einem gnadenlosen Zeitplan belastet erneut ins Studio musste. Ferry singt:
„Bitte lass mich nie im Stich.
Du weißt, ich bin mir nicht so sicher,
ob ich dieses Mordstempo beibehalten kann.
Ich verbanne dich aus meinem Kopf. Aber ich weiß:
Du bist eine Flamme, die nie erlischt.
Dschungelrot ist ein tödlicher Farbton.
Wenn beide Enden brennen, wird das Feuer weiter brennen.
Irgendwo tief in meiner Seele heute Nacht
brennen beiden Enden.“
Kerze brennt von zwei Seiten
Der Song greift das Bild einer Kerze auf, die von beiden Seiten her brennt. Das gibt zwar einen hellen Schein. Aber je umso schneller ist die Kerze unwiderruflich ausgebrannt, verlischt das Licht komplett. Der Song symbolisiert das Ringen mit sich selbst: So stellt sich der Sänger nicht nur die Frage, wie lange er diesen rasanten Lebensstil durchhalten kann. Sondern er ist sich auch bewusst, dass er selbst schon lange nicht mehr die Kontrolle über sein Leben in der Hand hat. Im Song hört sich das so an:
„Ich lebe nur für heute.
Bei mir brennen beide Enden, während du Schafe zählst.
Zur Hölle, wer kann bei dieser Hitze heute Nacht schlafen?
Sag mir, werde ich es jemals lernen?
Es ist zu spät, es läuft auf vollen Touren:
Beide Enden brennen und ich bekomme die Feuer,
die heute Nacht in meiner Seele wüten, nicht unter Kontrolle.“
Sehnsucht nach Erlösung
Am Ende steht die bange Frage:
„Wird es niemals enden?“
Und die Erkenntnis:
„Das alles treibt mich früh ins Grab.“
Fazit: Das innere Feuer, Leidenschaft und Sehnsucht sind lebensbejahende Kräfte, die einen Menschen auch zu Glücksmomenten führen können, die er bisher noch gar nicht gekannt hat. Gleichzeitig enthält der Song aber auch die Warnung, sich nicht ungeprüft treiben zu lassen. Wer immer nur dem neusten Trend hinterherhechelt, hat die Kontrolle über sein Leben bereits verloren. Er mag zwar für einen Moment wie eine beidseitig brennende Kerze einen hellen Schein abgeben. Aber dieses Strohfeuer erlischt schnell und unwiderruflich.
Angesichts der Band-Situation im Jahr 1975 ein warnendes Beispiel für jedermann.
Roxy Music – „Both Ends Burning“
Der bei Classic Rock Radio gesendete Beitrag ist eine Kurzfassung dieses Textes.
HeavenOnAir verweist auf eigene Inhalte, bietet weiterführende Links und nutzt Affiliate-Links zu Amazon. Mit diesen Links kann HeavenOnAir eine kleine Provision für qualifizierte Käufe verdienen, was zur Unterstützung der Seite beiträgt, ohne dass für Sie zusätzliche Kosten entstehen.
Kommentare
Hinterlassen Sie ein Kommentar