Drücken Sie Enter, um das Ergebnis zu sehen oder Esc um abzubrechen.

Roten Rosen, Die – Auld Lang Syne

1987 kamen die Toten Hosen auf eine atemberaubende Idee: Sie wollten einmal zeigen, dass der Unterschied zwischen Spießbürgertum und Punk manchmal nur eine Rhythmusfrage sei, so Andreas Joachim Wolfgang Konrad Frege, den alle Welt nur unter seinem Künstlernamen Campino kennt. Und weil der deutsche Schlager teilweise gar nicht so harmlos sei, wie er sich gebe, so Gitarrist Michael Breitkopf wollten die Hosen „das Abstruse, Surreale, manchmal sogar Böse bei den Liedern herausarbeiten.“

Never Mind The Bollocks – Never Mind The Hosen

Was für mancherlei Schwierigkeiten sorgte: Denn obwohl die Band auf ihre eigene Art und Weise die ausgewählten Schlager parodieren wollen, Namen, Texte und Melodien der Originale also erhalten bleiben mussten, sollte das Ganze trotzdem unverkennbar ein Album der Toten Hosen sein. Rhythmisch war das kein Problem. Optisch schon. Und so kam man auf die Idee, das Albumcover an das legendäre Album der Sex Pistols anzupassen und damit das eindeutige Signal „Punk“ zu geben: „Never Mind The Bollocks“ und „Never Mind The Hosen“ glichen sich wie eineiige Zwillinge. Dass aus „Here’s The Sex Pistols“ nicht „Here’s The Toten Hosen“ wurde, lag an der Plattenfirma: Ein paar Bedenkenträger setzten schließlich durch, dass das Album nicht im Rahmen des regulären Vertrags mit fest definierter Stückzahl an Veröffentlichungen und sonstigem Pipapo sollte. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, wurden für dieses Projekt aus den Toten Hosen „Die Roten Rosen“.

Die Roten Rosen-Pseudonyme

Wo man schon einmal dabei war, konnte man die Spielerei mit Namen auf konsequent durchziehen: Aus dem Hosen-Label „Totenkopf“ wurde das Rosen-Label „Rosenkopf“. Und selbst die Musiker schlüpften in persiflierende Pseudonyme: Campino nennt sich Judas Inocenti, aus Bassist Andreas Meurer wird Vid Sicious, eine Verballhornung des Namens von Sex Pistols-Bassist Sid Vicious; die Gitarristen Andreas von Holst und Michael Breitkopf werden zu „Rüdiger“, Hauptfigur aus dem Kinderbuch „Der kleine Vampir“, und Digger Barnes, dem Patriarchen der Gegenspieler der Ewing-Familie in der zwischen 1978 und 1991 erfolgreich ausgestrahlten TV-Serie „Dallas“. Letztlich trommelte Schlagzeuger Wolfgang Rohde als Kirschwasserkönig Münchhausen. Das Ergebnis: Zum ersten Mal landete Campino & Co in den deutschen Charts, blieben dort 13 lange Wochen und erhielten mit einer Goldenen Schallplatte eine passende Auszeichnung. Nur zur Erinnerung: Während es heute „Gold“ für 100.000 verkaufte Alben gibt, mussten damals noch 250.000 Alben verkauft werden.

Preiswerte Produktion

Vermutlich wechselten die Bedenkenträger der Plattenfirma blitzschnell zur „Ich-hab’s-doch-schon-immer-gewusst-Fraktion“, zumal die Band lediglich zehn Tage Studiozeit benötigt hatte, so dass die Plattenfirma die Produktionskosten mit rund 5.000 DM aus der Portokasse zahlen konnte.

Bei Erfolg Wiederholung

Was einmal geht, geht auch ein zweites Mal: Als die britische Punkband „The Boys“ 1980 ein punkiges Weihnachtsalbum veröffentlichten, vertauschten sie einfach die Buchstaben des Bandnamens und veröffentlichten es unter dem Anagramm „The Yobs“ als „The Yobs Christmas Album“. Ein klarer zweiter Fall für „Die Roten Rosen“, wenn auch viele Jahre später: Denn 1998 schlüpften die Toten Hosen wieder in die Rolle der „Roten Rosen“, dieses Mal mit Weihnachtsliedern. Der Albumtitel „Wir warten aufs Christkind“ adaptiert den Namen des mehrstündigen Kinderprogramms, das die ARD zwischen 1960 und 1995 regelmäßig am Nachmittag des Heiligen Abends ausstrahlte. (Die Sendung war so erfolgreich, dass sie 2001 wiederbelebt wurde.)

Warten aufs Christkind

Auf dem Album spielten „Die Roten Rosen“ deutsche und englischsprachige Weihnachtslieder sowie ein paar weitere Stücke in der ihnen typischen rockig-punkigen Weise ein. Während Campino an seinem Pseudonym „Judas Inocenti“ festhielt, nannte sich Bassist Andreas Meurer nun „Cardinal Mendoza“, Andreas „Kuddel“ von Holst und Michael „Breiti“ Breitkopf tobten sich als „Johannes der Säufer“ bzw. als „King Scratch Salomon“ aus. In wortspielerischer Anlehnung an den biblischen König Herodes bearbeitete Wolfgang Rohde als „Herr Rohdes“ die Trommelfelle.

The Boys

Aufgrund Rohdes gesundheitlicher Probleme übernahm Stephen George Ritchie bei mehreren Stücken die Schlagzeugparts. Entsprechend seines Hosen-Namens Vom Ritchie tritt er auf „Wir warten aufs Christkind“ als „Vom, The Baptist“ in Erscheinung. Randbemerkung: Vom Ritchie war zwischen 1999 und 2012 auch – welch Zufall – Schlagzeuger bei eben jenen „The Boys“. Dass Gitarrist und Sänger Honest John Plain, Gründer von – kaum zu glauben, aber wahr – von besagten „The Boys“ sowie sein Bandkollege Sänger und Gitarrist Matt Dangerfield als Gastmusiker bei „Wir warten aufs Christkind“ aufliefen, gibt dem Ganzen noch einmal einen Extrakick.

Besatzer im Probenraum

Um den Spaßcharakter zu verdeutlichen, gaben die Toten Hosen zu Protokoll, dass sich in ihrem Probenraum wieder einmal „Die Roten Rosen“ breitgemacht hätten. Die Songs selbst, zum Teil ernsthafte Weihnachtslieder, erhalten durch die Bearbeitung der „Roten Rosen“ größtenteils einen neuen Charakter, ohne ihre Wurzeln zu verlieren. Das gilt auch für „Auld Lang Syne“. Ein Lied, das nicht nur zu Weihnachten passt, sondern auch zum Jahreswechsel gern gesungen wird.

Auld Lang Syne nach Robert Burns

Grundlage ist ein uraltes schottisches Volkslied, das der – ebenfalls schottische – Dichter Robert Burns veränderte und ergänzte und bereits 1788 veröffentlichte. Burns gilt wegen seiner vielen politischen Texte und Lieder, aber auch wegen seiner Gedichte, vor allem aber wegen „Auld Lang Syne“ als schottischer Nationaldichter – neben (und vielleicht auch ein bisschen nach) Sir Walter Scott. (Gern hätten wir an dieser Stelle ausgeführt, dass Scott eigene Versionen von Goethes „Erlkönig“ und „Götz von Berlichingen“ und vieles mehr verfasste, aber das würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Also lassen wir das lieber.)

Hymne an vergangene Zeiten

Nun ist das mit „altem Englisch“ so eine Sache. Selbst der Google-Übersetzer kapituliert kläglich: Auch ihm gelingt es nicht, „Auld Lang Syne“ einfach als „Vergangene Zeiten“ zu übersetzen. Womit klar wird: Das Lied ist ein Rückblick auf das vergangene Jahr und damit tatsächlich ideal auch für die persönliche Reflexion zum Jahreswechsel. Auch wenn es etliche Strophen hat, die je nach Version ein wenig variieren: Am bekanntesten ist und bleibt der Refrain. Und der wird immer gern laut gesungen, nicht nur im Vereinigten Königreich, so dass das natürlich auch hier ausdrücklich erlaubt ist. Dieser Refrain lautet:

„Wegen der alten Zeiten, meine Liebe,
wegen der alten Zeiten
werden wir in aller Freundlichkeit noch ein Gläschen trinken,
eben um der alten Zeiten willen!“

Persönliche Beziehungen

Zugegeben, das mit dem Mitsingen ist mit der deutschen Übersetzung so eine Sache. Denn die zerstört das Versmaß, was aber die geneigte sangesfreudigen Leserin und Leser natürlich längst bemerkt haben.

Zurückliegende Erlebnisse, gemeinsame Feiern, verschiedene Glücksmomente und vor allem persönliche Beziehungen bilden den Hauptbestandteil der Strophen. Die lassen sich am besten ein wenig freier wiedergeben:

„Sollte etwa eine alte Bekanntschaft vergessen
und nie daran wieder erinnert werden?
Sollte eine alte Bekanntschaft vergessen sein
und mit ihr die vergangenen Zeiten?

Wir zwei sind im Feuer gestählt
rund um die Uhr,
auch wenn die Meere zwischen uns einmal angeschwollen sind.
(Das alles) seit den vergangenen Zeiten.“

Intakte Verbindung trotz Trennendem

Angeschwollene Meere – ein sprachliches Bild dafür, dass sich im Leben immer einmal wieder etwas Trennendes zwischen Menschen schiebt. Einer von vielen Gradmessern eines intakten Miteinanders: das Gefühl zu haben, als habe man sich gestern noch gesehen, obwohl man sich länger nicht begegnet ist und länger nichts miteinander unternommen hat. Denn einer intensiven Beziehung können auch längere Trennungen nichts anhaben. Umso lieber schwelgt man dann gern in der Erinnerung an gemeinsame Erlebnisse und gemeinsame gute Zeiten.

Blick in die Zukunft

Doch an dieser Stelle bleibt „Auld Lang Syne“ nicht stehen. Der Blick in die Vergangenheit dient dazu, den Blick in die Zukunft vorzubereiten: So gut wie das gemeinsame Miteinander in der Vergangenheit war, so gut soll es auch in der Zukunft sein. Das Versprechen, sein Bestes für eine erfolgreiche Zukunft zu geben – Dichter Robert Burns stellt dies im Denken seiner Zeit als eine Art Bundesschluss dar: Er lässt dieses Versprechen per Handschlag besiegeln. Ein uralter Brauch, auch bei uns in Deutschland. Hier kennen wir sogar die Formulierung „sich etwas in die Hand versprechen“.

Per Umtrunk besiegelt

Und ebenfalls alten Traditionen folgend wird ein so weitreichendes Versprechen angemessen besiegelt – nämlich mit einem entsprechenden Umtrunk, „mit einem tiefen Schluck“, wie es im Lied heißt. Im Lied klingt das so:

„Ganz sicher wirst du immer mein sicherer Hafen sind
und ich der deine. […]
Hier ist meine Hand, mein treuer Freund.
Schlag mit deiner ein.
Darauf nehmen wir jetzt mal einen tiefen Schluck,
um der alten Zeiten willen.“

Und vor allem um der Zukunft willen, müsste man sinngemäß ergänzen.

Die Zukunft angehen mit der Friedensbotschaft von Weihnachten

Sich selber an gute, alte Zeiten zu erinnern und daraus die Kraft zu schöpfen, die Zukunft zumindest ebenso gut zu meistern – mit der Friedensbotschaft von Weihnachten im Rücken könnte dies ein guter Motor für das neue Jahr sein. Übrigens auch dann, wenn man alles daransetzt, dass das neue Jahr nicht genauso gut, sondern besser wird als das vergangene.

Die Toten Hosen – „Auld Lang Syne“.

Der bei Classic Rock Radio gesendete Beitrag ist eine Kurzfassung dieses Textes.

Kommentare

Hinterlassen Sie ein Kommentar

Datenschutz
Ich, Klaus Depta (Wohnort: Deutschland), verarbeite zum Betrieb dieser Website personenbezogene Daten nur im technisch unbedingt notwendigen Umfang. Alle Details dazu in meiner Datenschutzerklärung.
Datenschutz
Ich, Klaus Depta (Wohnort: Deutschland), verarbeite zum Betrieb dieser Website personenbezogene Daten nur im technisch unbedingt notwendigen Umfang. Alle Details dazu in meiner Datenschutzerklärung.