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Pink – Irrelevant

Der Protest, das Aufmucken gehört der Jugend – ein Satz, der so ganz nebenbei besagt: Mit dem Alter vergeht die Lust am Protestieren, das Interesse daran, die Welt zu verändern. Deshalb ließ schon Cat Stevens in „Father And Son“ den Rat des Vaters an seinen Sohn unkommentiert stehen. Denn der disqualifizierte sichaus der Sicht „der Jugend“ von selbst, wenn er dazu riet, erst mal seinen Platz im Leben zu finden und zu heiraten – dann würden die Flausen von selbst vergehen.

Älter werden – Kraft verlieren

Eine Haltung, der sich auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des legendären Woodstock-Festivals und die Autoren sowie Fans der Protestsongs der 1970er Jahre verweigerten: Auf keinen Fall wollte man so erstarren wie die Eltern, wie die Vorgängergeneration, wie das Establishment. Schließlich galt mit Bob Dylan: The Times They Are A-Changing: Wer den Anschluss an die neue Zeit verpasst und im gestern stehenbleibt, den bestraft das Leben. Wobei der letzte Teilsatz bekanntlich aus einem anderen Zusammenhang stammt…
Der Protest also gehört zur Jugend. Und wird die älter, verschwinden die Flausen von selbst. Das könnte durchaus auch Pop- und Rockmusiker gelten: Einmal auf der Höhe des Erfolgs angekommen, werden viele von ihnen satt, verlieren ihre Innovationskraft, ihre Schärfe und ihren Biss. Sie werden alt. Alt, harmlos. Und irgendwann auch beliebig und damit langweilig.

Die alte Pink: früher frech und laut

Wer sich die musikalische Karriere von Alecia Beth Moore, besser bekannt als P!nk, anschaut, könnte Ähnliches vermuten: Die lag am Boden, als sich ihre Eltern scheiden ließen: die Mutter Jüdin mit deutschen und litauischen Wurzeln, der Vater, ein vietnam-Veteran irischer Abstammung und später Mitarbeiter einer Versicherungsgesellschaft. Mit acht Jahren ging ihr ein Bengel im wahrsten Sinn des Wortes an die Wäsche (was der errötenden Alecia den Ausspruch „Look at that pink girl!“ einbrachte, der wiederum später für die Wahl ihres Künstlernamens ausschlaggebend war). Vielleicht ein Schlüssel zur Künstlerin Pink: Denn dieses Beispiel zeigt: Pink hat es früh verstanden, negative Erlebnisse zu kanalisieren und mit ihren Emotionen etwas Positives zu machen. Und vielleicht ist genau so auch die Musik von Pink zu verstehen. Denn die war von Anfang an laut, frech, provokativ. Und vor allem kritisch. 2006 bekam der damalige US-Präsident George W. Bush jr. in „Dear Mister President“ überaus deutlich zu hören, was Pink von ihm hielt – und das war nicht viel.

Immer mehr gesettelt

Irgendwann danach aber hielt die Künstlerin anscheinend nicht mehr mit dem Klischee von Aufruhr und einer gewissen Rotzigkeit stand. Ja, sicher, Pink trat erstmals in ihrer Karriere in Afrika auf; kein weiblicher Rockstar hatte bislang in Australien so viele Tickets abgesetzt wie Pink. Aber als sie im Juli 2010 in Nürnberg

aufgrund einer mangelhaften Trapezsicherung stürzte und sich dabei so sehr verletzte, dass sie das Konzert abbrechen musste, stand dieser Absturz symbolisch für ihre gesamte Karriere. Dass ihr sechstes Studioalbum „The Truth About Love“ eines der bestverkauften Alben der Musikgeschichte wurde, änderte daran wenig. Zu sehr mäanderten ihre Text um die positiven und negativen Seite der Liebe, ihre Beziehung zu Carey Hart und vieles mehr herum. Kurz: Pink hatte ihren Biss verloren.

UNICEF-Botschafterin und Hymne beim Superbowl

Aus der Frau, die schon als Dreizehnjährige Alkohol, Marihuana, LSD und Heroin in so hohem Maße konsumierte, dass als Vierzehnjährige ihr Leben an einem seidenen Faden hing, aus der Rebellin der Rockmusik, als Vorbild für junge Frauen war ein – auch wenn das ein blödes Bild ist – zahnloser Tiger geworden. Irgendwie schien Pink zum Establishment zu gehören, gegen das sie doch vermeintlich so laut angesungen hatte. Oder welche Gründe gibt es sonst wohl, wenn eine Künstlerin plötzlich der Synchronisation eines Animationsfilms („Happy Feet 2“) ihre Stimme leiht, als UNICEF-Botschafterin mehr Schlagzeilen macht als mit der eigenen Musik, beim Super Bowl die US-amerikanische Nationalhymne singen darf (Super Bowl LII), einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame erhält, Mitglied der Tierschutzorganisation PETA wird und in einem Film nach dem anderen in Erscheinung tritt. Keine Frage: So jemand hat es endgültig geschafft. So jemand ist gesellschaftlich fest integriert. Und damit eben auch ein Stück des Establishments. Dem Ganzen kann man allenfalls dann noch die Krone aufsetzen, wenn man mit dem eigenen Töchterchen gemeinsam eine Platte aufnimmt. Dass „Cover Me In Sunshine“ mit Tochter Willow Sage Hart ein genialer Song ist, lassen wir an dieser Stelle mal außen vor.

Die alte Pink ist zurück – Gott sei Dank

Bevor der Shitstorm losgeht: Wer so gedacht hat, hat schlichtweg falsch gedacht. Denn schlagartig ist „die alte Pink“ wieder voll da. Schlagartig schon allein in dem Sinn, dass sie im Sommer dieses Jahres einen Song veröffentlicht hat, den sie innerhalb von sehr wenigen Tagen schrieb, aufnahm und veröffentlichte. Die Rede ist von „Irrelevant“ – ein Song, der die Veränderungen im US-amerikanischen Abtreibungsrecht aufgreift und sich vehement für die Rechte der Frauen einsetzt. So politisch war Pink noch nicht einmal zu Zeiten von „Dear Mr. President“! Und so bissig, böse und aggressiv schon viel länger nicht mehr.

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US-Abtreibungsrecht

Maßlos geärgert hatte sich die Künstlerin. Mit vielen US-Amerikanern darüber, dass der vom ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump auf erzkonservativ getrimmte Supreme Court das bundesweite Recht auf Schwangerschaftsabbruch gekippt hatte: Der oberste Gerichtshof der USA hob Ende Juni 2022 das historische Urteil von 1973 im Fall Roe v. Wade wieder auf und verwies jegliche Regelungen an die einzelnen Bundesstaaten. Damit gibt es von heute auf morgen US-Bundesstaaten, die Abtreibung für alle Beteiligten, also auch Ärzte und sonstige Helfer, unter schwerste Strafen stellen (republikanische regiert) und solche, die an den liberalen Regelungen festhalten (von den Demokraten regiert). Nicht ganz einfach in einem Land, in dem doch alle Menschen gleich sein sollen (aber es natürlich nicht sind).

Sing und halt ansonsten die Klappe

Das zweite Ärgernis handelte sich die Künstlerin gewissermaßen selber ein: So schrieb sie sinngemäß auf Twitter, dass diejenigen, die der Meinung seien, der (männlich dominierte) Supreme Court habe etwas in der Gebärmutter einer Frau zu suchen, sich „verpissen“ sollten. Was ihr in den sozialen Medien auch die Reaktion einbrachte, sie, Pink, sei in diesen Fragen arrogant und irrelevant. Sie möge einfach nur singen, ansonsten doch besser ruhig sein. Das brachte die Sängerin erst recht auf die Palme.
Allerdings reagierte sie zumindest im Netz nicht auf diese Kritik. Mit Menschen, die sich nur im (vermeintlichen) Schutz der Anonymität weit aus dem Fenster lehnen, sind ernstgemeinte Diskussionen unmöglich.

Irrelevant

Deshalb kanalisierte Pink ihre Wut in einem Song. Und meldete sich auch mit ihrer lauten, frechen und offensiven Seite wieder zurück. „Irrelevant“ ist ein Kampflied alter Form – übrigens auch musikalisch, aber das tut hier wenig zur Sache. Wichtiger ist der Text. Pink singt:

„Du kannst mich irrelevant, unbedeutend nennen.
Du kannst versuchen, mich klein zu machen.
Ich werde dein Ketzer sein, du verdammter Heuchler.
Ich werde überhaupt nicht an dich denken!“

Mit den Heuchlern meint Pink vor allem konservative christliche Gruppen, die sich hinter ihrer religiösen Überzeugung verstecken. Und so singt sie:

„Liebt Jesus die Unwissenden?“
Er würde uns alle gerne annehmen.“

“Mein Bauch gehört mir“

Eine Aussage, die bei Pink allerdings zum Totschlagargument wird. Und die nicht dazu beiträgt, die Kluft zwischen Abtreibungsgegnern und Abtreibungsbefürwortern zu schließen. Letztere wollen Frauen die alleinige Verantwortung über ihren Körper zusprechen – eine Position, die in der Vergangenheit auch bei uns in Deutschland zugespitzt mit dem Slogan „Mein Bauch gehört mir“ vertreten wurde. Was der bundesdeutsche Gesetzgeber in dieser Form nicht akzeptierte. Anders sieht es aus, wenn Frauen durch die Geburt an Leib und Leben gefährdet wären, sie durch ein Kind in eine soziale oder wirtschaftliche Notlage geraten würden, wenn das Kind aus einer Vergewaltigung hervorgeht oder schwerstbehindert wäre. Hier räumt der Gesetzgeber legale Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs ein.

Schutz des Lebens, aus den ungeborenen

Die unerbittliche Gegenposition: Jedes Kind ist ein werdendes Leben. Jedes Leben, auch das werdende (wie übrigens auch das erlöschende) ist zu schützen. Die Verantwortung dazu obliegt dem Staat. Eine religiöse Begründung, dass nämlich jedes Leben von Gott geschenkt und deshalb nicht von Menschen beendet werden darf, bedarf es dazu also noch nicht einmal.

Natürlich kann und will Pink diese Debatte nicht umfassend führen – ganz sicher nicht in einem Popsong. Sie selbst sagt:

„Als Frau mit einer eigenen Meinung und der Furchtlosigkeit, diese Meinung auch zu äußern, ist es sehr ermüdend, wenn die einzige Erwiderung darin besteht, mir zu sagen, wie irrelevant ich bin. Ich bin relevant, weil ich existiere und weil ich ein Mensch bin. Niemand ist irrelevant. Und niemand kann mir meine Stimme nehmen!“

Cyndi Lauper „Girls just want to have fun“

Wer genau hinhört, erkennt bei Pink eine Zuspitzung zu Cyndi Laupers Frauenhymne aus den 1980er Jahren. Cindy Laupers „Girls just want to have fun“ führt Pink mit der Textzeile „Girls just want to have rights“ fort und spricht damit ein anderes Thema an: dass nämlich im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ noch lange nicht jeder Mensch gleichberechtigt ist. Immer noch ist Rassismus ein Problem; immer noch hat nicht jeder Bürger uneingeschränkten Zugang zu den Wahlen. (In den USA muss sich jeder Bürger erst einmal registrieren lassen, bevor er wählen darf. Schlecht gebildete Teile der Bevölkerung wissen nicht einmal, wie das geht, fallen als Wähler dementsprechend aus.

Anfrage an die Demokratie

Auch verurteilte Verbrecher büßen unter bestimmten Umständen ihr Wahlrecht ein. Ganz im Sinne der Republikaner, wie böse Stimmen mutmaßen. Denn diese Bevölkerungsschichten würden eher die Demokraten wählen.)
Dementsprechend stellt Pink die Frage:

„Why do we still have to fight?“

Warum müssen wir überhaupt noch kämpfen? Sind die Regeln unserer Demokratie denn nicht eindeutig? Warum also können Politiker einer bestimmten Prägung Bürgern ihre Rechte vorhalten?

The Who „The Kids Are Alright“

Im Refrain von „Irrelevant“ nimmt Pink übrigens Anleihen bei einem weiteren Rockklassiker: 1965 veröffentlichten The Who ihr „The Kids Are Alright“ bejubelten damals die glänzende Zukunft junger Menschen. Dem widerspricht Pink deutlich: Denn die Art und Weise, wie der Start in das Leben nicht nur junger Menschen eingreift, ist für die Künstlerin eine Bevormundung. Mit derselben Zielrichtung veröffentlichten in der Vergangenheit Fall Out Boy und The Offspring jeweils Songs mit dem Titel „The Kids Aren‘t Alright“. Pink nimmt diesen Widerspruch zu The Who in ihren Song hinein. Dort singt sie:

„Den Kindern geht es gar nicht gut, nein,
denn keiner von uns bekommt Recht.
Ich bin müde, aber ich werde heute Nacht nicht schlafen,
weil ich mich immer noch lebendig fühle.“

Kampfansage gegen Un-einige Staaten von Amerika

„Irrelevant“ ist also viel mehr als nur ein Song gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts in den USA. Er ist eine Kampfansage gegen Rassismus, gegen Ungerechtigkeit jeglicher Art. Und eine Kampfansage gegen das US-amerikanische Establishment. Das unterstreicht der zum Song gehörige Videoclip: Der Clip erinnert an Protest- und Bürgerrechtsbewegungen aus der US-Vergangenheit, lässt Schnipsel von Demonstrationen zur Unterstützung von Black Lives Matter, #MeToo, LGBTQIA+-Rechten und Ende der Waffengewalt. Dabei werden auch Aktivisten hervorgehoben, während „those who are to blame“, darunter auch der geschlagene Ex-Präsidenten Donald Trump und sein ehemaliger Rechtsanwalt Rudy Giuliani kurz zu sehen sind, allerdings jeweils bei eindeutig negativen Textpassagen.

Wahlrecht für alle

Konsequent gehen alle Einnahmen aus „Irrelevant“ an „When We All Vote“, eine von Michelle Obama gegründete Initiative. Diese Initiative will die Wahlbeteiligung in den USA fördern und damit vor allem benachteiligten Bevölkerungsschichten eine politische Einflussnahme ermöglichen.
Pink, selbst längst zweifache Mutter, lässt sich also nicht zum Schweigen bringen. Gott-sei-Dank! Stattdessen gibt sie also eine musikalische Antwort auf die US-amerikanische Abtreibungsdebatte und das aktuelle gesellschaftliche Klima in den USA. Und ist damit nicht nur wieder da „wie eh und je“, sondern ganz sicher alles andere als irrelevant. Pink und „Irrelevant“.

Der bei Radio Salü gesendete Beitrag ist eine Kurzfassung dieses Textes.

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