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Sting – Rushing Water

Drei Tage vor seinem 70. Geburtstag beschenkte Sting sich selbst… und seine Fans. Denn am 30. September 2021 erschien mit „Rushing Water“ die zweite Vorab-Single aus seinem nächsten Album „The Bridge“. Diese Single
machte noch mehr als das bereits vier Wochen zuvor veröffentlichte „If It’s Love“ deutlich:

Gelb-schwarzer Ringelpulli

Der Mann aus Newcastle, dem Freunde schon früh wegen seines gelb-schwarzen Ringelpullis, der an eine Wespe erinnerte, den Spitznamen „Sting“, „Stachel“, verpasst hatten, kehrte zu seinen Wurzeln zurück. Denn „Rushing Water“ erinnerte mit einem herrlichen Backbeat und verschiedenen ausgefeilten Gitarreneinlagen an das, was Sting und seine Band „The Police“ erfolgreich gemacht hatte.

In fünf Jahren in den Rock-Olymp

Aus der Rückschau wirkt es erstaunlich: Neues Material lieferten „The Police“ nur zwischen 1979 und 1983. Aber diese kurze Zeit reichte, um die Band in den Rock-Olymp zu befördern. Denn vier der fünf Alben toppten die UK-Charts. Lediglich „Outlandos d’Amour“ schaffte es im UK bis auf Platz 6. Aber auch das ist hervorragend für den Erstling einer Band. „Message In A Bottle“, „Walking On The Moon“, „Don’t Stand So Close To Me“, „Every Little Thing She Does Is Magic“ und natürlich „Every Breath You Take“ kann bis heute nahezu jeder mitpfeifen – vor und rückwärts.

Neuartige Mixture

Dass Songs aus der Soundschmiede von Sting, Andy Summers und Stewart Copeland stammen, wird zumeist schon nach den ersten Takten klar. Denn die Mixtur aus New Wave, Punk, Rock, Pop, R&B, Folk und Reggae, in die die Band anfangs wenige, später mehr Jazzelemente dezent hineinmischte, war einzigartig. Und ist es im Grunde genommen bis heute.

The Bridge: Leben, Tod und Beziehungen

Auch bei seiner Solo-Karriere verwendet Sting diese rockorientierte Mischung, allerdings weitaus weniger häufig, als sich das manch ein beinharter Fan wünscht. Zuletzt war das 2016 bei Stings Album „57th & 9th“ der Fall. Und eben jetzt wieder beim 15. Studioalbum des 17fachen Grammy-Preisträgers, „The Bridge“. Die meisten Songs des Albums entstanden während des Lockdowns im Rahmen der Corona-Pandemie. Deshalb spiegeln sie nicht nur die persönlichen Krisen des Musikers wider, sondern auch die seiner Zuhörerinnen und Zuhörer. Oder wie Sting sagt: „Diese Lieder handeln von einem Ort zum anderen, von einem Geisteszustand zum anderen, von Leben und Tod, von Beziehungen.“

Extremsituationen: Rushing Water

Der Lockdown ließ erkennen: In (und nach) Extremsituationen machen sich die persönlichen Krisen, die jeder mehr oder weniger intensiv durchläuft besonders bemerkbar. Krisen, die sozial, psychologisch und/oder politisch begründet sind. Krisen, die es auch außerhalb von Extremsituationen gibt, wenn auch oft nicht so deutlich erkennbar. Um aber die vielen kleinen und großen Unterschiede und Differenzen, die uns voneinander entfernen, also das Trennende im Leben, zu überwinden, braucht es eine Brücke. Eben: „The Bridge“. Laut Sting gilt das für „Rushing Water“ in besonderer Weise. Er singt:

„Wie oft habe ich diesen Traum gehabt,
der mich aus meinem Schlummer reißt?
Wie soll ich da wieder einschlafen?
Schafe zählen wie im vierten Buch Mose?
Wann werde ich jemals wieder zur Ruhe kommen
und mich nicht ständig fragen, ob ich genügend abliefere?
Da ist dieses Geräusch von tosendem Wasser,
das meinen Kopf flutet.
Es ist der Klang von Gottes eigener Tochter,
die deinen Namen ruft.“

Albtraum

In „Rushing Water“ beschreibt Sting einen immer wiederkehrenden Albtraum, auf eine tiefsitzende Angst. Die ist so groß, dass er nicht wieder einschlafen kann. Mit herkömmlichen Mitteln wie dem Schäfchenzählen kann er ihr nicht beikommen. Diese Angst beschreibt er mehrfach symbolhaft als rauschendes, tosendes Wasser – eine sehr bildhafte Beschreibung für die Gedanken, Sorgen und den emotionalen Druck, die ihn regelrecht überfluten und sein inneres Gleichgewicht massiv beeinträchtigen.

Buch der Zahlen: Numeri (4. Buch Mose)

Dem setzt der Musiker eine spirituelle Dimension gegenüber: Denn das „Buch der Zahlen“, verweist auch auf das Buch Numeri, das vierte Buch Mose, in der Bibel. In all dem Tosen, also in der Krise, hört er die Tochter Gottes rufen. Die fungiert als eine Art Leuchtfeuer, weist einen Weg aus der Krise. Verbunden ist dies mit dem Glauben an so etwas wie eine höhere Macht, mit der der Mensch verbunden ist und die ihm beisteht.

Antike Sirenen vs. Jeremia

Ein Vorbild für weibliche Stimmen, die sich den Menschen zuwenden, sind die Sirenen der Antike: Mischwesen aus Mensch und Vogel oder Fisch, die mit betörenden Gesang vorüberfahrende Schiffer anlockten, um sie zu töten.

Da allerdings die Stimme den Sänger mit seinem Namen anruft, ihn also kennt, ist ein Bezug zum Buch Jeremia aus der Bibel wahrscheinlicher. Zumindest gläubige Menschen dürften sofort an Vers fünf im ersten Kapitel denken:

„Ich habe dich schon gekannt, ehe ich dich im Mutterleib bildete,
und ehe du geboren wurdest…“
(Jer 1,5)

Stings Kontext

Spielt Sting in seinem Text wirklich auf Bibelstellen an? Viele von Stings Songs gelten als „sophisticated Songs“, gehören also zu denen, die tiefgründige, philosophische und religiös-spirituelle Themen behandeln. Deshalb werden manche Textpassagen in ihrer Tiefe erst verständlich, wenn man den sozio-kulturellen Kontext des Musikers berücksichtigt. Notwendig ist also ein Blick auf die Biographie von Gordon Matthew Thomas Summer:

Katholisch

Der Sohn eines Milchmanns ist ein waschechter Geordie-Boy, stammt aus Wallsend in der Nähe von Newcastle. Er wurde katholisch getauft und erzogen, besuchte die katholische St. Cuthbert’s High School, eine von Jesuiten geleitete Bildungseinrichtung. Während seiner Schulzeit war Sting lange als Ministrant aktiv. Nachdem er zwischen 1971 und 1974 eine Ausbildung als Englisch- und Musiklehrer absolvierte, unterrichtete er zwei Jahre lang rund 20 km nördlich von Newcastle an der St. Paul’s First School in Cramlington, wiederum einer katholischen Schule. Auch wenn der Musiker später aus der Kirche austrat, kann er seine katholische Prägung nicht verleugnen.

Buch Jona

Im Gegenteil: Er nutzt sie für seine Songs. So textet er für „Rushing Water“:

„Ich erinnere mich an die Erzählung von Jona:
Er war im Bauch eines Wals gefangen.
Wie oft muss er Erfolg haben?
Wie oft muss er scheitern?“

Wieder eine Anspielung auf einen biblischen Text, dieses Mal auf eine Lehrerzählung, also eine konstruierte Geschichte. Deren Hauptaussage: Gott gibt Jona einen Auftrag, dem dieser aber lebensgefährlich zu sein scheint. Vor lauter Angst versucht er, sich diesem Auftrag durch Flucht mit einem Schiff zu entziehen versucht. Gott schickt einen Sturm, der erst dann abklingt, nachdem Jona über Bord gegangen ist und von einem Wal verschluckt wird.

Jona und der Wal

Nach menschlichem Ermessen kaum möglich wird Jona vom Wal wieder ausgespien, erkennt in dem gesamten Vorgang Gottes Macht, der er nicht entkommen kann. Also fügt er sich, nimmt Gottes Auftrag an und kann ihn mit göttlichem Beistand auch zu einem guten Ende bringen. Damit steht die Jona-Erzählung für die Erfahrung von Herausforderungen im Leben, der Gefahr des Scheiterns und der Überwindung von Schicksalsschlägen und Nackenschlägen.

Sting reflektiert mit dem Verweis auf die Jona-Erzählung eine Erfahrung, die jeder jederzeit machen kann, besonders aber in Krisenzeiten: wiederholt scheitern und sich dennoch die Hoffnung auf Rettung, im theologischen Sinn Erlösung, zu bewahren.

Kampf und Hoffnung gehören zum Leben

Mit dem Verweis auf die Jona-Erzählung fordert Sting zum Nachdenken über persönliche Unsicherheiten auf. Er zeigt, dass der Kampf zwischen Verzweiflung und Glauben zum menschlichen Leben dazugehört, im Alltag vielleicht weniger deutlich spürbar als in Krisenzeiten. Eben immer dann, wenn man wiederholt scheitert, aber darum kämpft, sich dennoch die Hoffnung auf Rettung, im theologischen Sinn Erlösung, zu bewahren. Gedanken, die vom Lockdown während der Coronapandemie mit all seinen Beeinträchtigungen und persönlichen Verlusten geprägt sind.

Immer zwischen zwei Polen

In „Rushing Water“ bedeutet das Leben: Es ist völlig normal, dass Menschen zwischen zwei Polen hin- und hergerissen sind: auf der einen Seite Nackenschläge und Verzweiflung, also die Tiefpunkte im Leben; auf der anderen Seite die Hoffnung, dass irgendwann alle Belastungen vorüber sind, dass das Leben sich von seiner schönen, angenehmen Seite zeigt – wenn man so will die Höhepunkte im Leben.

Angst überwinden

Am Ende des Songs liefert Sting einen Hinweis darauf, wie man inmitten von Chaos und Unsicherheit einen Weg finden kann, um seine Ängste zu überwinden und innere Ruhe zu erlangen. mit diesen beiden miteinander streitenden Polen umgehen kann:

„Lass dich ins Wasser fallen und dein Gehirn fluten.
Lass dich ins Wasser fallen, das deinen Namen ruft.“

Der einzige Weg, seinen inneren Frieden zu finden, besteht also darin, sich diesem Fluss des Lebens anzuvertrauen. Wer das Leben so akzeptiert, wie es ist, findet schneller Lösungen zu seinem Glück als derjenige, der mit dem Leben hadert.

Sting – „Rushing Water“

Der bei Classic Rock Radio gesendete Beitrag ist eine Kurzfassung dieses Textes.

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