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Bowie, David – Suffragette City

Es soll ja Leute geben, die die ZDF-Krimireihe „Friesland“ nur wegen ihrer Anfangsmusik einschalten. Denn da spielt Mick Ronson ein Gitarrenriff, das von der ersten Sekunde an jedem Film dieser Reihe eine gehörigen Portion Drive gibt. Was im Fernsehen dann über knapp 90 Minuten folgt,

Krimireihe „Friesland“

ist jedes Mal eine äußerst gelungene Mischung aus Krimi und Komödie. Mit dem Gitarrenriff und vor allem dem Song, aus dem es stammt, nämlich David Bowies „Suffragette City“, haben die Filme dann herzlich wenig zu tun. Bowies Song spielt schlichtweg keine Rolle mehr.

Die Rettung der Welt

Das allerdings tat er vor 51 Jahren auch nicht. Denn „Suffragette City“ erschien lediglich als B-Seite und damit als Füller der Hit-Single „Starman“ – jenem Lied also, indem Bowies Alter Ego Ziggy Stardust den Jugendlichen der vom Untergang bedrohten Welt eine hoffnungsvolle Nachricht überbringen lässt: dass nämlich ein Außerirdischer von einem fremden Stern, also der „Starman“, die Rettung der Welt bringen würde. Science Fiction pur. Anklänge an die Bibel, die mit der Wiederkunft des Gottessohnes ein neues Paradies verspricht, sind unverkennbar.

„Suffragette City“ ist da weitaus mehr im Hier und Jetzt der 1970er Jahre angesiedelt. Und hat heute sogar an Bedeutung noch einmal hinzugewonnen. Bowie singt:

„Hey Mann, lass mich in Ruhe, du weißt…
Hey Mann, oh Henry, geh vom Telefon weg,
ich muss mein Gesicht sortieren.
Diese sanftmütige Tussi hat gerade meine Wirbelsäule verrenkt.“

Ursprünglich für Mott The Hoople

Fachmagazine wie der New Musical Express bezeichneten „Suffragette City“ als einen der besten Bowie-Songs aller Zeiten. Dabei wollte der den Titel zuerst gar nicht selbst aufnehmen. Komponiert hatte er ihn für die Band Mott The Hoople. Die stand 1972 kurz vor ihrer Auflösung. Bowie bewunderte die Formation rund um Sänger Ian Hunter und wollte die Trennung durch einen Hit aufhalten. Doch „Suffragette City“ lehnten Mott The Hoople ab, nahmen stattdessen Bowies Song „All The Young Dudes“ auf, den auch Bowie später seinem Repertoire hinzufügte. Das verschmähte „Suffragette City“ verwurstete Bowie dann zur B-Seite. Erst später landete der Song auch auf Bowies Album mit dem alles andere als kurzen Titel „The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders From Mars“ – der einzige Song des Albums, der nichts mit Science-Fiction, Außerirdischen und Ähnlichem zu tun hat. Und jetzt mal wieder einer der Lieblingssätze des Rezensenten: Der Rest ist Geschichte. (Okay, und wieder einmal landen fünf Euro im Phrasenschwein!)

Sexuelle Orientierung

Was ein wenig nach Prügelei zwischen Macho und Tussi, zwischen Männlein und Weiblein aussieht, hat, wie so oft in dieser Phase bei Bowie, etwas mit sexueller Orientierung und Befreiung von gesellschaftlichen Konventionen zu tun. Geschenkt – darüber wurde schon oft genug, auch zu anderen Songs geschrieben. Das Besondere an „Suffragette City“ ist der politische Hintergrund, den Bowie in seinem Song, wenn auch nur andeutungsweise, verarbeitet:

Kampf um Gleichberechtigung

Im Jahr 1903 gründete in Manchester die Witwe Emmeline Pankhurst mit vier weiteren Frauen die „Women′s Social and Political Union“. Diese Organisation setzte sich vehement für das Frauenwahlrecht ein und damit verbunden für die Gleichstellung von Frauen in der Gesellschaft. Diese Organisation war durchaus radikal: So erlebte das Vereinigte Königreich in der Folge eine ungezählte Menge von Protestmärschen, Brand- und Bombenanschlägen sowie Hungerstreiks. Der damalige Premierminister Herbert Asquith wurde von Aktivistinnen gar mit Pfeffer und, very british, mit einer toten Katze beworfen. Kein Wunder also, dass sich in Bowie Song auch Spuren dieser Gewalt wiederfinden.

William S. Burrough und Burgess‘ „A Clockwork Orange“

Stichwort „wiederfinden“: Die verkürzte Schreibtechnik, also quasi in Halbsätzen zu schreiben, fand Bowie beim in der Beat-Ära angesagten Autor William S. Burrough, mehr noch im Roman „A Clockwork Orange“ von Anthony Burgess, den sich Bowie in der legendären Kinoadaption von Stanley Kubrick ansah. Burgess verwendete vor allem russische Wörter, die er in die englische Sprache übertrug, und verdrehte zudem uralte Shakespeare-Zitate, so dass sich eine künstliche, oder wie Bowie selbst sagte, „falsche Sprache“ daraus ergab – etwas, das es in dieser Form noch nicht gegeben hatte. Was aber die Interpretation von Bowies Songtext nun auch nicht gerade erleichtert.

Anspielungen: Von Lou Reed bis zu den Suffragetten

Trotzdem sind einige Bezüge und Verweise deutlich zu erkennen: So stammt das ständig wiederkehrende „Hey Man“ aus dem 1968er Song „White Light / White Heat“ der legendären Velvet Underground, also der Band um Lou Reed, John Cale, Maureen Tucker und Sängerin Nico.
Das Wort „Droogie“ bezeichnet in „A Clockwork Orange“ die Gang der Hauptfigur, nämlich Alex.
Ein Film, der Bowie begeisterte. Folglich ist es alles andere als Zufall, dass Bowie und seine Spiders from Mars immer zum selben Einspieler die Bühne betraten, nämlich Beethovens „Ode an die Freude“, und zwar nicht in der klassischen Version, sondern in der Moog-Version, die Wendy Carlos für die Verfilmung eben jenes „Clockwork Orange“ eingespielt hatte.
Letztlich leitete Bowie den Songtitel „Suffragette City“ vom Namen der britischen Frauenbewegung im 19. Jahrhundert ab: Die Suffragetten hatten sich ihrerseits nach dem lateinischen Wort für „Wahlrecht“, „suffragium“, benannt.

Sie ist in Ordnung!

In seinem Song steht Bowie dem Kampf der Frauen um Gleichberechtigung durchaus positiv gegenüber. Denn die hat zumindest indirekt auch etwas mit der von ihm angestrebten sexuellen Befreiung und dem Aufbrechen sinnentleerter gesellschaftlicher Konventionen zu tun. So singt Bowie:

„Du weißt, meine Suffragette City ist außer Sichtweite.
Sie ist in Ordnung.“

Gegen den Status der Gebärmaschine

Der Rest des Textes ist fast egal. Wichtig ist die Intention des Songs: Denn „Suffragette City“ ist nicht nur, aber auch eine Verneigung vor Emmeline Pankhurst und ihrem Kampf um die Gleichberechtigung von Frauen. Er unterstützt die Selbstbestimmung von Frauen, auch bezüglich ihrer Sexualität. Das bedeutet: „Suffragette City“ wendet sich gegen die noch vor 50, 60 Jahren weit verbreitete Einschätzung der Frau als Gebärmaschine, die dem Mann auch in sexueller Hinsicht jederzeit zur Verfügung zu stehen hat.

Vom selben Fleisch

Bei genauerem Hinsehen übrigens ein Ansatz, den schon die ältesten Texte der Bibel verfolgen, der aber in einer von Männern beherrschten Welt gern übersehen wird: Denn dort sind Mann und Frau vom selben Fleisch… und damit gleich viel wert, also gleichberechtigt. Schade, dass davon heute immer noch viel zu wenig zu spüren ist.

David Bowie und „Suffragette City“.

P.S. Dass sich auch die Manic Street Preachers mit ihrem Song „Emily“ tief vor besagter Emmeline Pankhurst verneigen, ist eine andere Geschichte…

Der bei Classic Rock Radio gesendete Beitrag ist eine Kurzfassung dieses Textes.

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