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Kinks, The – Celluloid Heroes

Stress zwischen Brüdern ist eine normale Angelegenheit. Wenn man Musik macht, kann der Bruderzwist durchaus problematisch sein. Barry und Maurice Gibb stritten zuerst. Dann vertrugen sie sich und wurden mit Bruder Robin als Bee Gees zu Weltstars. Liam und Noel Gallagher machten es anders herum: Die wurden erst zu Stars. Dann zofften sie sich nahezu ohne Pause.

Stress zwischen Brüdern

Aber an ihren Dauerzwistigkeiten zerbrachen Oasis. Ähnlich bei einer englischen Rockband mit dem schönen Namen „Die Ausgeflippten“ oder „Die Perversen“: Ray und Dave Davies waren die Aushängeschilder der Kinks. Sogar in Amiland feierte die Band Erfolge, was nicht jeder Gruppe der „British Invasion“ gelang. Aber weil die beiden Brüder einfach nicht mehr miteinander konnten, versiegte das Hitfeuerwerk der Band irgendwann.
Ähnlich die Everly Brothers, ähnlich John Fogerty und seine Creedence Clearwater Revival. Alles frei nach dem Motto: Sie schlugen und vertrugen sich. Wobei manchmal das „Schlugen“ wörtlich zu nehmen ist; und oft genug das „Vertrugen“ leider nicht an letzter Stelle stand. Hinzu kommt: Wenn man ehrlich ist, dann sind die meisten Solonummern der Herren Gallagher, Fogerty, Everly oder Davies sicher nicht schlecht. Aber nur selten kamen sie an das heran, wozu die Herrschaften als intakte Band fähig waren.

Einfluss auf The Pretenders, The Jam u.v.a.

Eine lange Einleitung, die mit dem Hintergedanken „Was wäre, wenn…“ die jeweiligen Musiker sich vertragen hätten liebäugelt. Gerade die Kinks galten als Pioniere des Rock, als Urväter von Punk und Britpop. The Jam und Chrissie Hynde mit ihren Pretenders erzählten schon früh, dass sie sich massiv von den Kinks beeinflusst fühlten.

You Really Got Me

Gegründet wurde die Band 1964. Im Juli desselben Jahres veröffentlichten die Kinks bereits ihre dritte Single. Das Gitarrenriff von „You Really Got Me“ ist ohne Frage eines dieser berühmten Riffs für die Ewigkeit. Und es begründet nicht nur den nationalen, sondern auch den internationalen Durchbruch der Band. Der wäre wahrscheinlich noch aufsehenerregender gewesen, wären die Kinks nicht in massive Auseinandersetzungen mit der US-amerikanischen Musikergewerkschaft geraten. Die Konsequenz: Zwischen 1965 und 1969 durften die Kinks in den USA nicht auf eine Bühne klettern – heute wie damals eine enorme Bremse für den musikalischen Erfolg.

Geballte Sozialkritik

Wer heute Songtexte der Kinks genauer unter die Lupe nimmt, stößt auf geballte Sozialkritik. Das gilt auch, wenn die Band über Filmstars und den Hollywood Walk of Fame singt. „Celluloid Heroes“ war, so Ray Davies, die beste Ballade, die er je geschrieben hatte. Auf den ersten Blick sahen Plattenkäufer das anders. Die sorgten nämlich dafür, dass „Everybody’s In Show Biz“ wie Blei in den Plattenläden stand. An der Musik lag das nur bedingt.

Wer kauft 1972 schon Doppelalben?

Die meisten Plattenkäufer wollten 1972 schlichtweg kein Doppelalbum der Kinks erwerben. Doppelalben waren 1972 noch eine ziemlich seltene Angelegenheit. Klar, Jimi Hendrix (Electric Ladyland, 1968) The Beatles „White Album“, 1968), die Bee Gees (Odessa, 1969), The Who (Tommy, 1969), Eric Clapton mit seinen Derek And The Dominos (Layla And Other Assorted Love Songs, 1969), Crosby, Stills, Nash & Young (4 Way Street, 1971) und die Rolling Stones (Exile On Main Street, 1972) hatten vorgemacht, dass Doppelalben funktionieren. Aber das Kinks-Management kam auf die damals doch sehr ungewöhnliche Idee, ein Studioalbum UND eine Live-LP in eine Hülle zu packen. Das war den Plattenkäufern irgendwie zu viel.

The Who: Weniger ist mehr

Apropos zu viel: The Who hatten ein Jahr zuvor quasi das Gegenteil gemacht: Die hatten so viele Songs im Studio eingespielt, dass sie ein Doppelalbum damit füllen konnten. Aber trotz des Erfolgs mit „Tommy“ blieben Musiker realistisch: Tommy war eine Rock-Oper – da konnten ein Doppelalbum durchgehen. Aber ansonsten? Deshalb strichen The Who nach Ende der Aufnahmen die vorliegenden Songs derart zusammen, dass aus dem geplanten Doppelalbum „Lifehouse“ das Einfach-Album „Who’s Next“ wurde.

Über Nacht am Hollywood Walk Of Fame

Wie auch immer: Auch wenn sich „Everybody’s In Show Biz“ schlecht verkaufte, ist „Celluloid Heroes“ ein begnadeter Song. Ray Davies übernachtet in Los Angeles in einem Hotel ganz in der Nähe des Hollywood Walk of Fame, schaut sich den natürlich an… und macht sich seine eigenen Gedanken – nicht ohne das berühmt-berüchtigte ironische Schmunzeln des Songwriters:

„Wenn du den Boulevard hinuntergehst:
Tritt nicht auf Greta Garbo!
Sie sieht so schwach und zerbrechlich aus.
Deshalb hat sie versucht, so hart zu sein.
Aber sie machten sie zu einer Prinzessin
und sie setzten sie auf einen Thron.
Doch sie kehrte dem Ruhm den Rücken,
weil sie allein sein wollte.
Rudolph Valentino sieht sehr lebendig aus.
Er schaut den Damen in ihren Kleidern nach,
wenn sie traurig an ihm vorbeigehen.
Vermeide es, auf Bela Lugosi zu treten,
denn er könnte sich umdrehen und beißen
Aber bleibt dicht bei Bette Davis!
Denn sie hatte so ein einsames Leben!
Selbst wenn man ihn mit Müll zudecken würde –
George Sanders hätte immer noch Stil!
Und würdest du auf Mickey Rooney herumtrampeln:
Er würde sich immer noch umdrehen und lächeln.
Aber tritt bitte nicht auf die liebste Marilyn.
Denn sie war nicht sehr zäh.
Sie hätte aus Eisen oder Stahl gemacht sein müssen.
Aber sie war nur aus Fleisch und Blut!“

Vergessene Stars

Das sind nur einige der Stars, die auf dem Hollywood Walk of Fame verewigt sind. Weit über 2.700 sind es mittlerweile – bis auf ganz wenige Ausnahmen Sterne, die mit einem Symbol versehen sind, das anzeigt, ob es sich bei der oder dem Geehrten um jemanden aus Film, Fernsehen, Musik, Radio oder Theater handelt. Dass im Stern der Name der geehrten Person groß zu lesen ist, versteht sich von selbst. Ray Davies ging es wohl schon vor 50 Jahren so, wie es heute einem Besucher des Walk of Fame geht:

„Einige erkennst du wieder, von anderen hast du noch nie gehört.
Menschen, die arbeiteten und litten und für den Ruhm kämpften.
Einige hatten Erfolg, andere litten vergeblich.“

Weit über 2.700 Sterne

Was deutlich macht: Ruhm ist vergänglich! Heute noch mit einem Stern auf dem Walk of Fame geehrt – in ein paar Jahren weiß kaum noch jemand, wer dieser Mensch dort eigentlich war. Und genau das ist die Diskrepanz, auf die Ray Davies mit seinem Song aufmerksam macht: Ein Held zu sein, wie die Stars in den Hollywood-Streifen – das möchten viele. Die Figuren, die auf der Leinwand dargestellt werden, sind unsterblich und unverwundbar. Die Menschen, die diese Rollen spielen, jedoch nicht. Hinter jeder Rolle jedoch steht ein Mensch. Und dessen wirkliches Leben ist zumeist ganz anders als im Film oder auf der Theaterbühne. Hollywood ist das eine – die US-amerikanische Realität jedoch sieht anders aus, so die Hauptaussage des Songs.

Spiegel der Erfahrung des Rockstars?

Ein wenig mag Ray Davies dabei auch auf seine eigenen Erfahrungen als Rockstar anspielen: Auf der Bühne umjubelt, nur Stunden später noch voller Adrenalin allein im Hotelzimmer. Heute würde er vermutlich anfügen: Und nicht mehr in der Lage, irgendwo in Ruhe ein Schnitzel zu essen, weil irgendwer garantiert ein Selfie schießen möchte.
Wie immer gilt: Was in der großen, weiten Welt passiert, lässt sich auch auf die eigene, kleine Welt herunterbrechen. Und so stellt sich die Frage: Wie verhalte ich mich gegenüber anderen Menschen? Himmele ich sie einseitig an? Versuche ich, auch einen Blick hinter ihre Maske zu werfen, um sie zu verstehen? Und vor allem: Was bleibt von mir selbst einmal? Ein Stern, auf den Tausende Tag für Tag mit ihren Füßen herumtreten, vielfach ohne den Geehrten zu kennen? Oder zumindest im Kreis meiner Freunde und Verwandten etwas, weshalb sie sich gerne an mich erinnern?

Häufig gespielte Abschiedshymne

Kleine Randnotiz: Auch wenn der Song nicht chartete, spielten viele US-Radio-Stationen „Celluloid Heroes“ bis weit in die 1980er Jahre hinein. Heute ist der Song vor allem dann on Air, wenn ein Radiosender den Tod eines Hollywoodstars bekanntgibt.
Auch mehr als 50 Jahre nach der Veröffentlichung von „Celluloid Heroes“ ist der Song immer noch aktuell. Hier sind die Kinks.

Der bei Classic Rock Radio gesendete Beitrag ist eine Kurzfassung dieses Textes.

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