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Killers, The – Human

Wer sich heute ganz unvoreingenommen die irischen Charts der letzten Novemberwoche im Jahr 2008 ansieht, kann sich nur verwundert die Augen reiben: Guns N‘ Roses mit ihrem Album „Chinese Democracy“ auf Platz drei, auf der Pole Position die Killers mit ihrem „Day & Ages“. Auf Platz zwei aber waren… nein, nicht Judas Priest, sondern

Kopf-an-Kopf-Rennen

The Priests. Drei katholische Priester, die als The Priests weltweit für Furore sorgten. Platz eins in Norwegen und den Niederlanden, in nahezu allen westlichen Ländern zumindest unter den ersten zehn. Hauchdünn war der Vorsprung der Killers in der letzten Novemberwoche 2008. In der Folgewoche mussten sich Männer aus Las Vegas den irischen Geistlichen sogar geschlagen geben – zumindest in Irland.
Ohnehin gibt es böse Zungen, die unken: Ohne ihre Mega-Single „Human“ hätte sich „Day & Ages“ vielleicht nie so weit vor platzieren können. Kann sein, muss aber nicht sein. Und beweisen wird das nie jemand können.

Human

Klar ist aber: „Human“ ist schlichtweg ein Burner und der größte Hit, den Dave Keuning, Brandon Flowers und Co bis heute hatten. Was sicherlich daran liegt, dass jeder den Refrain sofort mitsingen kann. Mit dem Rest des Textes wird es dann etwas schwieriger. Vor allem, wenn es darum geht, den Text auch zu verstehen.

„Ich tat mein Bestes, habe aufgepasst um zu bemerken,
als der Aufruf kam, auf die Plattform der Hingabe zu treten.
Ich wurde dorthin gebracht, aber ich war freundlich.
Nur manchmal werde ich nervös, wenn ich eine offene Tür sehe.
Schließ die Augen, mach dein Herz frei. Schneid die Fäden durch.“

FAZ über The Killers, Rilke und Kleist

Die altehrwürdige Frankfurter Allgemeine Zeitung versuchte sich vor ein paar Jahren in einem Blog an der Interpretation des Textes und landete prompt in höheren Sphären, nämlich bei Rainer Maria Rilke und Heinrich von Kleist. Verkürzt kommt die Redakteurin des dortigen Feuilletons zu dem Ergebnis, dass es bei „Human“ um Leben und Tod geht, um völlige Hingabe und um ein Stoßgebet handelt. Was ja auch ohne bei Rilke und Kleist nachzulesen durchaus nachvollziehbar ist.

Existentielle Situation

Ebenso, dass Brandon Flowers angesichts gewaltiger Entscheidungen nervös wird:

„Manchmal werde ich nervös, Wenn ich eine offene Tür sehe.
Schließe deine Augen, mach dein Herz frei, zerschneide die Schnur!“

Dieses Bild erschließt sich erst beim Refrain:

„Meine Lebenszeichen sind da, aber meine Hände sind kalt.
Ich falle auf die Knie und suche nach einer Antwort.
Sind wir Menschen oder sind wir Tänzer?
Ich erweise der Anmut und Tugend meinen Respekt!“

Und was sagt die Grammatik dazu?

Die Diskussion, warum „human“ und „dancer“ im Singular verwendet

werden, könnte über ein „einer für alle“ schnell beendet werden. Spannender aber die Frage: Was verbirgt sich hinter der Schnur, zu deren Durchtrennen Brandon Flowers auffordert? Wer fällt auf seine Knie und genau beobachtet sogar regelrecht in sich zusammen, wenn man es ernst nimmt und tatsächlich „Schnüre“ durchtrennt? Schon werden die „dancer“ zu Marionetten. Schade, dass das Feuilleton der FAZ an dieser Stelle nicht zum Beispiel auf Kant und dessen „Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen“ zu sprechen kommt. Oder auf andere, ähnliche Aufforderungen, die letztlich allesamt eine Selbstbefreiung des Menschen im Sinn haben.

Menschen oder Marionetten?

Hier könnte nun allerdings die Diskussion wirklich losgehen: Menschen oder Marionetten würde auf diese Weise zur entscheidenden Frage des Songs. Marionetten hängen an Fäden, werden durch den Puppenspieler geführt, sind fremdbestimmt – oder um es freier zu formulieren: Sie werden gelenkt, missbraucht und manipuliert. Gerade so, wie es dem Puppenspieler gefällt und in den Kram passt. Wobei das Bild der Marionetten eben nicht nur auf jene Figuren aus Holz und Stoff zutrifft: Auch „im richtigen Leben“ versuchen eine ganze Menge Menschen, andere Menschen zu manipulieren und nach ihren Vorstellungen zu lenken. Um dadurch für sich Vorteile zu erzielen.

Freiheit annehmen

Zum Menschsein aber gehört, – und damit wären wir jetzt tatsächlich bei Kant angelangt – , sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, vor allem aber seine Freiheit anzunehmen. Eine Freiheit, die lediglich da eine Grenze erfährt, wo sie auf die Freiheit eines anderen Menschen stößt. Frei nach dem Motto: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.“ Diese „goldene Regel“ fasst das zusammen, was die Zehn Gebote der Bibel etwas ausführlicher dargestellt wird. Zehn Angebote zum Menschsein. Ein Mensch in Freiheit – und keine Marionette.

Subversiv wie David Bowie

Bleibt zum Schluss noch zu ergänzen: Brandon Flowers berichtet in einem Interview, dass die Band vor der Veröffentlichung des Songs völlig uneins war und sich heftig über ihn gestritten habe. Grund sei der subversive Inhalt gewesen. Er selbst habe sich deswegen an David Bowie (und dessen markante Art, Songtexte zu schreiben), erinnert gefühlt.

Nun wolle er, so Flowers, kein Prediger sein, aber der Song habe schon mit dem Verlust von Moral und Problemen in der heutigen Gesellschaft zu tun. Er sei da eher altmodisch und versuche, an verschiedenen Geflogenheiten festzuhalten, die andere vielleicht als überlebt ansähen.

Bloß nicht aus der Reihe tanzen – oder doch?

Inspiriert wurde Brandon Flowers übrigens durch den Journalisten Hunter S. Thompson. Der Erfinder des Gonzo-Journalismus hatte nämlich in der für ihn bissigen Weise gesagt:

„Wir erziehen eine Generation von Tänzern, die Angst haben, auch nur einen Schritt aus der Reihe zu tanzen.“

Tänzer, Marionetten oder Menschen, die ihre Freiheit leben wollen? Eine Menge Stoff zum Nachdenken. Und eine Menge Stoff, um einen Song darüber zu machen.
The Killers – Human

Der bei Classic Rock Radio gesendete Beitrag ist eine Kurzfassung dieses Textes.

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